Nach dem Drohnenangriff auf das südkurdische Flüchtlingslager Mexmûr hat die Campbevölkerung die internationale Öffentlichkeit zu einer entschiedeneren Haltung gegenüber der Türkei aufgerufen. „Wir verurteilen den türkischen Staat, seine Partner und alle Akteure, die bei diesem Angriff eine Rolle gespielt haben“, erklärte Elif Ürek vom Volksrat Mexmûr und verwies auf die Verantwortung der NATO, die den Luftraum über dem Nordirak offenhält. Das offensichtliche Einverständnis und die stillschweigende Duldung angesichts der Kriegsverbrechen des türkischen Staates mache internationale Akteure zu Mittätern.
Bei dem Drohnenangriff auf Mexmûr, der sich um etwa 8.20 Uhr Ortszeit im zweiten Bezirk ereignete, wurde eine Frau leicht verletzt. Das Ziel war offenbar das Haus eines Lehrers, dessen Baby in einer Wiege schlief, als die Scheiben durch die Detonationswelle zerbarsten. Insgesamt entstand Sachschaden an zehn Häusern. Dass Menschenleben verschont blieben, lag vermutlich daran, dass die arbeits- und schulfreien Tage im Irak auf Freitag und Samstag fallen und kaum jemand im Camp unterwegs war.
Babywiege im Haus des Lehrers Beşir
Mexmûr soll entvölkert werden
Erst gestern Abend war im ezidischen Kerngebiet Şengal eine Person durch einen türkischen Drohnenangriff gegen einen Kontrollpunkt der lokalen Sicherheitskräfte Asayîşa Êzîdxanê verletzt worden. „Deshalb haben wir mit dieser Attacke gerechnet“, sagte Ürek. Vor allem mit Blick auf die Aufklärungsflüge, zu denen es seit Tagen über dem Camp kommt.
„Diese Bomben richten sich gegen Zivilpersonen. Es handelt sich um Angriffe, die einem Konzept folgen. Mexmûr gilt dem türkischen Staat als ein primäres Ziel“, erklärte Ürek. „Wie kann es sein, dass sich der Irak und die für den Luftraum verantwortlichen Akteure angesichts seit etwa einer Woche andauernden Aufklärungsflügen blind stellen und nicht intervenieren? Wenn wir uns das Gesamtbild anschauen, sehen wir Stillschweigen und partnerschaftliches Handeln.“ Ziel solcher Angriffe sei es einerseits, die kurdische Befreiungsbewegung zu „zerschlagen“ und andererseits, die kurdische Bevölkerung und ihre Freundinnen und Freunde „ins Visier zu nehmen“, fuhr Ürek fort. „Dass das Camp Mexmûr direkt zum Ziel von Drohnen wird, soll bezwecken, die Bewohnerinnen und Bewohner zu vertreiben.“
Bilder der Zerstörung in Mexmûr
Dem türkischen Staat die Partnerschaft entziehen
„Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass diese Menschen für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in Mexmûr sind. Der türkische Staat hingegen beabsichtigt, den IS-Genozid gegen die Bevölkerung von Şengal und die Angriffe der Miliz gegen Mexmûr zu vollenden. Als Şengal gestern Abend bombardiert wurde, wussten wir, dass wir das nächste Ziel werden würden. Wir fordern alle relevanten Akteure auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und dem faschistischen türkischen Staat die Partnerschaft zu entziehen. An das kurdische Volk appellieren wir, für seine Würde einzustehen. Am Anfang der Geschichte von Mexmûr steht der Widerstand. Diese Tradition werden wir auch heute fortsetzen. Ganz gleich, wie viele Angriffe noch kommen mögen und Abkommen über unsere Köpfe hinweg vereinbart werden: wir stehen zu unserer Führung und werden unseren Weg kämpfend bestreiten.”
Größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit.
Im Flüchtlingslager Mexmûr, das etwa 60 Kilometer südwestlich von Hewlêr (Erbil) liegt und offiziell unter dem Schutz des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) steht, leben heute etwa 13.000 Menschen. Die meisten von ihnen waren in den 1990er Jahren aufgrund der Repression des türkischen Staates und der Politik der verbrannten Erde gezwungen, ihre Dörfer in der Botan-Region in Nordkurdistan zu verlassen. Nach einer mehrjährigen Odyssee und Aufenthalten in verschiedenen Camps haben sie 1998 am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Die Campbevölkerung bildet damit die größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit.
Tödliche Luftangriffe der Türkei
Zum Angriffsziel wird das Lager bereits seit seiner Gründung. In der Regel ist die Türkei der Aggressor. Die türkische Regierung hat Camp Mexmûr im Rahmen ihres „Antiterrorkampfes” zum „PKK-Stützpunkt“ umgewidmet, um Kriegsverbrechen zu legitimieren. Erst am 5. Juni war eine von einer türkischen Drohne abgefeuerte Rakete in dem Lager eingeschlagen, drei Menschen kamen ums Leben. Wenige Tage zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Camp als „Brutstätte“ von Qendîl bezeichnet und im Staatsfernsehen erklärt: „Sollten die Vereinten Nationen das Camp nicht säubern, wird es die Türkei als UN-Mitglied selbst tun.“ Vergangenes Jahr im April starben in Mexmûr drei Frauen bei einem tödlichen Luftschlag der Türkei.