AStA Hamburg: Wir lassen uns nicht einschüchtern

Einer Hamburger Studentin wird wegen ihrer Beteiligung an der Konferenz „Wir wollen unsere Welt zurück" Unterstützung der PKK vorgeworfen. Der AStA spricht von einem beispiellosen Angriff auf die studentische Selbstverwaltung.

Hausdurchsuchung bei Studentin wegen Konferenzteilnahme

Vor drei Wochen kam es zu einer Hausdurchsuchung durch Polizeibeamte bei einer Studentin, die als Mitarbeiterin für den AStA der Universität Hamburg tätig ist. Das teilte der AstA in einer Stellungnahme mit. Der Betroffenen wird aufgrund ihrer Beteiligung an der Konferenz „Wir wollen unsere Welt zurück" Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach §129b StGB vorgeworfen. Die Konferenz hatte der AStA vom 7. bis 9. April 2023 zusammen mit dem Network for an Alternative Quest in Hamburg veranstaltet. Über tausend Teilnehmer:innen diskutierten anhand international besetzter Panels und Workshops über drängende Fragen unserer Zeit wie Demokratieabbau, die Klimakrise, Alternativen zum Kapitalismus und patriarchale Gewalt.

AStA: Beispielloser Angriff auf studentische Selbstverwaltung

„Terrorismusvorwürfe wegen einer wissenschaftlichen Konferenz? Was absurd klingt, ist leider Realität, denn an der Organisation waren auch kurdische Gruppen beteiligt und gegen diese gehen die deutschen Behörden auf Drängen der türkischen Regierung unerbittlich vor“, kommentierte der AStA in der am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme: „Grundlage dafür ist der §129b StGB, welcher per se nicht strafbare Handlungen kriminalisiert, sofern sie als Unterstützung der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgelegt werden. Diese Strafnorm wird - ganz im Sinne der Regierung Erdogans – immer wieder genutzt, um jegliche politische oder kulturelle Betätigung von Kurd:innen unter Generalverdacht zu stellen.“

PKK verfolgen und HTS von der Terrorliste streichen?

Weiter erklärte der AStA: „Das Ganze passiert, während sich Augen der Weltöffentlichkeit auf die dramatischen Geschehnisse in Syrien richten. Nach dem Sturz der Assad-Diktatur greift das NATO-Mitglied Türkei mithilfe seiner dschihadistischen Proxy-Milizen die autonomen Kantone im Nordosten des Landes an. Die aus der kurdischen Freiheitsbewegung hervorgegangene Selbstverwaltung stellt dort seit zehn Jahren ein Modell einer multiethnischen und demokratischen Gesellschaftsordnung in der gesamten Region dar. Diese Errungenschaften sind nun akut bedroht. Doch während offen darüber debattiert wird, den Al-Qaida-Nachfolger HTS pragmatisch von der Liste der Terrororganisationen zu streichen, werden kurdische Aktivist:innen in Deutschland mit neuer Härte nach §129b StGB verfolgt. Die Hausdurchsuchung offenbart ein bisher nicht gekanntes Ausmaß dieser Unverhältnismäßigkeit, welches sich nur mit geopolitischen Erwägungen des deutschen Staates erklären lässt.“

Konferenz an der Universität Hamburg kurzfristig verboten

So reicht eine Beteiligung kurdischer Gruppen aus, damit eine in ihrem pluralistischen Charakter einzigartige Konferenz wie ,We want our World back', ins Visier der Repression gerät. Eine Konferenz, bei der weltberühmte Wissenschaftler:innen wie John Holloway, Mexikos erste indigene Präsidentschaftskandidatin María de Jesús Patricio Martínez, Akademiker:innen von Toronto bis Turin sowie Aktivist:innen vom brasilianischen Amazonas bis Pakistan aufeinandertrafen, um über emanzipatorische Perspektiven auf aktuelle gesellschaftliche Probleme zu diskutieren. Während die ersten drei Konferenzen in der Reihe ,Die kapitalistische Moderne herausfordern' problemlos an der Universität Hamburg stattfinden konnten, war die vierte für 2023 geplante Konferenz von Beginn an von Repressionsversuchen begleitet. Universitätspräsident Hauke Heekeren entzog kurzfristig die lange zugesagten Räumlichkeiten.“

Ganz auf Linie des Autokraten Erdogan

„Maßgeblich für diese restriktive Maßnahme war der sogenannte Verfassungsschutz, welcher der Konferenz Propaganda für eine terroristische Vereinigung unterstellte. Ganz auf Linie des Autokraten Erdogan wurde der Einsatz für weltweite Menschenrechte, gegen Umweltzerstörung und patriarchale Gewalt sowie für das humanitäre Völkerrecht, somit delegitimiert, weil diese Werte auch in der kurdischen Freiheitsbewegung hochgehalten werden. Bestrebungen zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit gerieten wie so oft in den Fokus der Repressionsorgane, die stärker an der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung interessiert sind, als an den Idealen, die zu ihrer Legitimation herangezogen werden.“

Akademischer Senat verurteilt Einflussnahme des VS

Der AStA sieht die Ereignisse in einer Reihe von Versuchen, gesellschaftskritisches und unbequemes Denken aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Der Akademische Senat, das höchste Gremium der universitären Selbstverwaltung, hat diese autoritäre Maßnahme im Nachhinein mit großer Mehrheit verurteilt und empfahl dem Präsidium der Universität Hamburg, „zukünftige Versuche des Landesamtes für Verfassungsschutz, auf den Inhalt und den Ablauf wissenschaftlicher Tagungen und Veranstaltungen an der Universität Hamburg Einfluss zu nehmen, zurückzuweisen“.

Konferenz durch stadtweite Solidarität ermöglicht

Die Konferenz fand dennoch wie geplant am Osterwochenende 2023 in Ersatzräumen statt, dank stadtweiter Solidarität und der Unterstützung durch zahlreiche Kulturinstitutionen. Über tausend Teilnehmende kamen im Bürgerhaus Wilhelmsburg, im Gängeviertel und in der Roten Flora sowie den selbstverwalteten Räumlichkeiten des AStA zusammen.

Hausdurchsuchung als nachträgliches Mittel der Einschüchterung

Zu der erfolgten Hausdurchsuchung teilte der AStA mit: „Die Veranstaltung nicht verhindert haben zu können, ist den Behörden in ihrem Eifer sich zu Erfüllungsgehilfen des Erdogan-Regimes zu machen, wohl sauer aufgestoßen, weswegen sie im Nachhinein Mittel zur Einschüchterung auffahren: Vor drei Wochen klingelten morgens um 6:00 Uhr zehn Polizeibeamte bei der WG der AStA Mitarbeiterin, durchsuchten und verwüsteten diese. Neben der Beschlagnahmung von elektronischen Geräten wurden Tüten mit Kleiderspenden für Geflüchtete zerrissen und im ganzen Zimmer verteilt, sowie Tagebücher und andere private Gegenstände durchsucht. Zudem wurden tief in die informationelle Selbstbestimmung eingreifende Überwachungsmaßnahmen durchgeführt.“

Wir lassen uns nicht einschüchtern und kritisches Denken nicht verbieten“

Der AStA hatte bereits am 3. April 2023 angesichts des Raumentzugs durch die Universität die enorme Tragweite dieses Präzedenzfalls betont: „Nicht weniger als die Freiheit der Wissenschaft ist in Gefahr. Können in Zukunft überhaupt noch kritische Veranstaltungen an der Universität Hamburg durchgeführt werden? Oder ist nur noch Forschung und Lehre erwünscht, die den gesellschaftlichen Status Quo akzeptiert?“

Angesichts der Hausdurchsuchung stellte der AStA nun fest, „dass unsere Befürchtungen noch übertroffen wurden. Anscheinend reicht es bereits, eine wissenschaftliche Konferenz zu organisieren und mit inhaltlichen Beiträgen zu unterstützen, um mit einem Terrorverfahren verfolgt zu werden. Als AStA meinen wir: Die Konferenz hat vollkommen legal stattgefunden. Es ist jedoch klar, welches Signal, der Staat mit der Einleitung des §129b-Verfahrens senden möchte: Wer herrschende Narrative – wie z.B. das Verbot der PKK in Deutschland - in Frage oder zur Debatte stellt, muss mit Repression rechnen, unabhängig von der Aussichtslosigkeit solcher ,Ermittlungen' in einem Gerichtsverfahren“.

Die vollständige Stellungnahme ist auf der Website des AStA Hamburg veröffentlicht.