Amed: Armenisches Viertel rassistisch umbenannt

Das armenische Viertel Kıtılbil in der nordkurdischen Stadt Amed ist vom Zwangsverwalter in „Fetih“ (Eroberer) umbenannt worden.

Die neoosmanische Assimilationspolitik wird durch die vom türkischen Regime an Stelle der gewählten Bürgermeister:innen eingesetzten Zwangsverwalter auch auf der Ebene der Namen von Ortschaften durchgesetzt. Davon sind nicht nur kurdische Orte, sondern auch jede Erinnerung an armenisches Leben verbunden. Von dieser Politik ist unter anderem das vor dem Genozid vor allem armenische Viertel Kıtılbil in Amed (tr. Diyarbakır) betroffen.

Der von der Zentralregierung im Altstadtbezirk Sûr eingesetzte Zwangsverwalter ließ mit Beschluss vom 13. Mai 2022 den Namen des Stadtteils Kıtılbil in „Fetih“ (Eroberer) umbenennen.

Kıtılbil ist armenisch und bedeutet so viel wie „Kategorie“. Das Viertel war bis in die 1990er Jahre ein Dorf. Nachdem die Stadt Amed sich immer mehr ausbreitete, wurde es dann in den Bezirk Sûr eingemeindet. Sûr selbst wurde 2016 von der türkischen Armee bei der Zerschlagung aller Selbstverwaltungsstrukturen weitgehend dem Erdboden gleichgemacht. Der Ort trägt den Namen Kıtılbil seit mindestens 400 Jahren, möglicherweise noch viel länger. In Amed, wo viele verschiedene Identitäten und Glaubensgemeinschaften gelebt haben und teilweise trotz aller Vernichtungspolitik noch leben – insbesondere Kurd:innen, Armenier:innen, Assyrer:innen und Jüd:innen –, gibt es von den verschiedenen ethnischen und religiösen Identitäten geprägte Orte und Erinnerungsstätten. Dieser Reichtum der kulturellen Vielfalt wurde immer mehr von der türkischen Besatzungspolitik ausradiert. Die gewählte Stadtverwaltung der DBP bzw. DTP hatte in Amed große Anstrengungen unternommen, das christliche, jüdische und armenische Leben in Amed wieder aufleben zu lassen. Durch die Zwangsverwalter wird der kulturelle Reichtum von Amed nun aber erneut systematisch vernichtet.

Der Zwangsverwalter von Sûr

Nach Informationen der Zeitung „Artı Gerçek“ hat der Zwangsverwalter von Sûr, Abdullah Çiftçi, am 13. Mai an Stelle des vom Innenministerium aufgelösten Bezirksrats von Sûr den Beschluss zur Umbenennung gefasst. In der Begründung der erst einen Monat später dem Bürgermeister von Kıtılbil mitgeteilten Entscheidung heißt es, der Name Kıtılbil sei schwer auszusprechen, außerdem sei der Ort nicht armenisch, sondern wäre bei der Eroberung von Amida/Diyarbakır durch Sultan Selim I. als Quartier der „islamischen Heere“ im Jahr 1517 gegründet worden. Deshalb werde der Ort in „Fetih“ (der Eroberer) umbenannt.

Erst wurden die Menschen enteignet, jetzt nehmen sie uns den Ortsnamen weg“

Menschen aus dem Stadtteil wie Fesih Karakuzu kündigten gegen die Namensänderung Widerstand und eine Klage an. Karakuzu führt dazu aus: „Zuerst haben sie die Bewohner enteignet, indem sie ihr Land beschlagnahmt haben, und jetzt ändern sie den Namen. Das werden wir nicht hinnehmen.“ Mit Enteignung spielt Karakuzu auf die Beschlagnahme von großen Landflächen im 2016 zerstörten Stadteil Sûr an. In dem historischen Altstadtbereich wurden und werden gut kontrollierbare Wohnblocksiedlungen der staatlichen Baubehörde TOKI errichtet.

Die Änderung der Ortsnamen

Die Änderung der Ortsnamen in der Türkei als Politik wird seit 1913 betrieben. Tausende von ursprünglichen Ortsnamen wurden im Osmanischen Reich und später in der Republik Türkei aus offiziellen Aufzeichnungen gelöscht. Im Zuge der Türkisierungspolitik wurden die historischen und von der lokalen Bevölkerung verwendeten Namen nicht nur gelöscht, sondern deren Benutzung häufig mit Repression belegt und durch türkische Namen ersetzt. Diese Politik betraf nicht nur Ortsnamen, sondern auch die Sprache und Personennamen. Besonders bekannt wurde die Verfolgung der im kurdischen, aber nicht im türkischen Alphabet vorkommenden Buchstaben „Q, W, X“. Regierungen nahmen Namensänderungen mit der Begründung vor, dass die alten Namen „fremd oder spaltend“ seien. Die geänderten Namen waren armenischen, kurdischen, griechischen oder assyrischen Ursprungs.

28.000 Toponyme durch Kemalisten geändert

Während der Herrschaft der kemalistischen Regierungen wurden spezielle staatliche Kommissionen eingerichtet, um Ortsnamen zu ändern. Bisher wurden 12.211 Dorf- und Städtenamen, insgesamt rund 28.000 Bezeichnungen, darunter 4.000 Berg-, Fluss- und andere historisch gewachsene Namen geändert. Die meisten Namensänderungen fanden in den östlichen Regionen des Landes, also in Kurdistan statt, wo nichttürkische Gruppen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen.

Die Türkisierungspolitik

Die Türkisierungspolitik, expliziter die Änderung der Ortsnamen, zeigt sich auch heute in der Praxis der Zwangsverwaltungen von Kommunen, die in Wahlen von der HDP gewonnen wurden, beispielsweise in Amed. Dort wurden zunächst die Kurse zum Erlernen der Muttersprache geschlossen, die Straßennamen geändert und kulturelle Aktivitäten verboten. Die 65 Ko-Bürgermeister:innen der Städte und Kommunen in Kurdistan, die von der HDP gewonnen worden waren, wurden ihrer Ämter enthoben, viele von ihnen auch inhaftiert, die Kommunalparlamente wurden aufgelöst. Die eingesetzten Zwangsverwalter stellten Bürgermeister und Stadträte häufig in Kommunalunion. Sie fassen Beschlüsse und setzen Maßnahmen um, die nicht einmal durch die türkische Gesetzgebung gedeckt sind. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass während die kemalistischen Regierungen immer wieder auf vermeintlich türkische Ortsnamen zurückgreifen, die Assimilierungspolitik der AKP vor allem auch auf neoosmanischer-islamistischer Grundlage stattfindet. Das bedeutet, viele Orte erhalten mit der islamischen Eroberungsgeschichte verbundene Namen wie „Fetih“. Dieser Name stellt angesichts des vom türkische Regime immer noch unter Strafandrohung geleugneten Genozids an den Armenier:innen eine besonders zynische Wahl dar.

Die Kolonialgouverneure

Angelehnt an das französische zentralistische System wird die Türkei auf der Grundlage von Regionalgouverneuren zentralistisch verwaltet. In Kurdistan haben diese Gouverneure eine koloniale Funktion zur Durchsetzung der Türkisierungspolitik. Die Gouverneure stehen gleichzeitig auch an der Spitze des regionalen Militärs und der Polizei. Auf diese Weise sollte in Kurdistan ein türkischer Nationalstaat konstruiert werden. Dieses System stellt in der ganzen Türkei das konstituierende Element der türkischen Nationalstaatlichkeit dar. Zwischen 1986 und 2002 war in Nordkurdistan ein „Ausnahmezustands-Regionalgouverneur“ eingesetzt. Unter dem Vorwand, den Ausnahmezustand zu beenden, installierte die AKP anschließend ihr eigenes System von Gouverneuren, um sich selbst einen neuen Staat im Staate zu schaffen. Anteil daran hatte der heute in Ungnade gefallene politische Ziehvater Erdoğans – Fethullah Gülen. Diese Gouverneure wurden mit außergewöhnlichen Vollmachten ausgestattet.

Zwangsassimilation ist so effektiv wie ein physischer Angriff

Die Kolonialgouverneure regieren heute in Kurdistan mit Erlassen, Dekreten und Willkür. Sie schufen Söldnerarmeen, waren für Befehle an Massakern, für die Entvölkerung von Dörfern und die Umsiedlung von Millionen von Menschen verantwortlich und setzen sich selbst als Zwangsverwalter ein. Diese Praxis hat die kulturelle Vernichtung nicht nur der Kurd:innen zur Folge, sondern vieler anderer Bevölkerungsgruppen in der Region wie auch darüber hinaus in der gesamten Türkei. In der Türkei gibt es außer der Türkischen keine andere Sprache, Kultur und Identität, die nicht zwangsweise assimiliert wurde und weiterhin wird. Der Eingriff in die Sprache, die Kultur und die Geschichte von Bevölkerungsgruppen ist Zwangsassimilation und so effektiv wie ein physischer Angriff.