Am Bagok gefallen: Identität von HPG-Kämpfer geklärt

Rund sechs Monate nach seinem gewaltsamen Tod, mutmaßlich durch Chemiewaffen, ist die Identität eines in Mêrdîn gefallenen Guerillakämpfers geklärt. Es handelt sich um Welat Alikî aus Rojava.

Leiche verkohlt und verstümmelt

Rund sechs Monate nach seinem gewaltsamen Tod ist die Identität eines in Mêrdîn (tr. Mardin) umgekommenen Guerillakämpfers geklärt. Die Volksverteidigungskräfte (HPG) teilten am Montag mit, dass es sich um Welat Alikî handelt. Der in Qamişlo im Nordosten von Syrien geborene Kurde gehörte einer Einheit aus drei Kämpfern an, die im Dezember vergangenen Jahres bei einer türkischen Militäroperation am Bagok-Massiv im südlich von Mêrdîn gelegenen Nisêbîn (Nusaybin) getötet wurden. Ihre Leichen waren jedoch derart entstellt, dass ihre Identität nur über einen DNA-Abgleich mit Angehörigen festgestellt werden konnte. Im Fall der beiden anderen Kämpfer, bei denen es sich um Demhat Amed und Argeş Bagok handelte, gelang dies zwar schon im Januar. Verwandte von ihnen hatten damals allerdings angegeben, dass die Leichen teilweise verkohlt waren und möglicherweise zusätzlich verstümmelt wurden, da ihnen Gliedmaßen fehlten. Sie äußerten den Verdacht, dass die Kämpfer durch den Einsatz geächteter Chemiewaffen gestorben sein könnten.

Weil Welat Alikî syrischer Staatsbürger war, zog sich die Identitätsfeststellung in seinem Fall über Monate hin. Die HPG würdigten ihn als selbstlosen und mutigen Verfechter der Werte der Freiheit, der bis zuletzt die Militanz der kurdischen Befreiungsbewegung repräsentierte. Seinen Angehörigen und der Bevölkerung Kurdistans sprach die Organisation ihr Mitgefühl aus. Zu den persönlichen Daten des Gefallenen machten die HPG folgende Angaben:

                              

Codename: Welat Alikî

Vor- und Nachname: Raman Celal

Geburtsort: Qamişlo

Namen von Mutter und Vater: Mutîa – Lokman

Todestag und -ort: 27. Dezember 2023 / Mêrdîn

 

Welat Alikî kam zwar in Rojava zur Welt, entstammte allerdings einer ursprünglich in der nordkurdischen Provinz Sêrt (Siirt) ansässigen Nomadenfamilie, die sich zunächst in Nisêbîn niederließ und später nach Qamişlo übersiedelte. Qamişlo und Nisêbîn, früher eine einzige Region, sind ein kleines Abbild des geteilten Kurdistans. Hier wird die Realität von Binxet und Serxet besonders deutlich. Binxet, also „unter der Linie“, wird verwendet, um kurdische Gebiete in Syrien nahe der türkischen Grenze zu bezeichnen. Die auf türkischem Staatsgebiet liegenden kurdischen Gebiete in unmittelbarer Nähe zur Grenze Syriens werden als Serxet bezeichnet, was „über der Linie“ bedeutet. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Anfang der 1920er Jahre das französische Mandatsgebiet des heutigen Syrien vom Osmanischen Reich abgeteilt. Die Grenze zur heutigen Türkei verläuft in diesem Bereich entlang der Bahnlinie. Damit wurden Qamişlo und Nisêbîn getrennt.


Die Realität von Binxet und Serxet führte bei Welat Alikî schon im Kindesalter dazu, dass er die Widersprüche des Systems erkannte. In der Schule wurde er zusätzlich mit dem antikurdischen Rassismus des Baath-Regimes konfrontiert, der eingebettet ist in den arabischen Nationalismus. Das stabile Elternhaus, das sich von der kurdischen Identität trotz allgegenwärtiger Repression nicht abwandte, dürfte als Indikator eine ebenso große Rolle gespielt haben wie seine eigene starke Persönlichkeit, die eigene Kultur zu bewahren und die kurdische Identität als Gegengift für die Welt der Unterdrückung einzusetzen.


Früh in seinem Zuhause politisiert, entwickelte Welat Alikî schon als junger Heranwachsender den Wunsch, sich in den kurdischen Widerstand einzubringen. Die Revolution von Rojava machte es ihm nicht schwer, einen Weg zu finden. Doch als Dschihadisten ab 2013 zu Zehntausenden von überall auf der Welt nach Syrien und in den Irak strömten, um im „Kalifat“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu leben, war nicht nur die Revolution, sondern die gesamte Bevölkerung bedroht. Um sie zu schützen, schloss sich Welat Alikî noch im selben Jahr den Verteidigungskräften von Rojava an. Zwei Jahre verbrachte er mal in Nordsyrien, mal im ezidischen Hauptsiedlungsgebiet Şengal im Nordirak, wo er sich zum Schutz der Ezidinnen und Eziden, die im August 2014 vom IS beinahe ausgelöscht worden waren, an verschiedenen Offensiven gegen die Dschihadisten beteiligte.


Von Şengal aus ging Welat Alikî zur Guerilla in die Berge. Dass er später auf eigenen Wunsch hin in den Einsatz im nördlichen Kurdistan kam, war auf den Umstand zurückzuführen, dass er „Vergeltung“ forderte für die Isolation des PKK-Begründers Abdullah Öcalan im türkischen Imrali-Gefängnis und die zahlreichen Opfer des Widerstands um demokratische Autonomie im Verlauf der türkischen Militärbelagerung im Winter 2015/2016. Nur in Nordkurdistan könne dieses Ideal erreicht werden, sei sein Leitspruch gewesen. Das Bagok-Massiv in Nisêbîn, der Heimat seiner Vorfahren, betrachtete er als sein Zuhause. Deshalb habe er immer wieder den Wunsch geäußert, dort zu kämpfen, wo die Spuren seiner Familie liegen. „Diesen Wunsch haben wir unserem Freund erfüllt“, so die HPG. „Ihn zu leben, gelang Hevalê Welat bis zum 27. Dezember 2023. Mutig leistete er zusammen mit Argeş und Demhat selbstlosen Widerstand gegen den Feind. Sie kämpften bis zum letzten Augenblick und schlossen sich der Karawane der Gefallenen an. Unsere Verbundenheit gilt ihnen und dem Versprechen, die Ideale aller unserer Freundinnen und Freunde zu erreichen und Kurdistan von den Besatzern zu befreien.“