Am 14. Mai stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei bevor. Die Wahlen finden unter dem Eindruck des schweren Erdbeben vom 6. Februar mit Epizentrum in Kurdistan statt. In diesem Zusammenhang hat die Guerilla eine Feuerpause ausgerufen, die vorläufig bis zu den Wahlen verlängert wurde. Die Journalistin Tekoşîn Axîn interviewte Zozan Çewlîg, Mitglied der Kommandantur des zentralen Hauptquartiers der YJA Star (Verbände freier Frauen), zu den aktuellen Entwicklungen. Das Interview wurde bei Stêrk TV ausgestrahlt.
Kürzlich tagte der Kommandorat der YJA Star. Welche Entscheidungen wurden auf der Sitzung getroffen und welche Rolle fällt hierbei der Guerilla und den Kommandantinnen der YJA Star zu?
Der Mai ist ein wichtiger Monat für unsere Bewegung. In diesem Monat haben wir in unserer Geschichte viele Kämpfer:innen verloren; ich gedenke ihrer mit Respekt und verneige mich im Andenken an sie. Zu Ihrer Frage möchte ich sagen, dass wir auf unserer Sitzung die Entwicklung der Situation von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] in den letzten drei Jahren bewertet und wichtige Entscheidungen getroffen haben. Rêber Apo leistet seit 24 Jahren unter schwersten Bedingungen großen Widerstand. Das Imrali-System, das an Rêber Apo als Person exekutiert wird, richtet sich gegen die gesamte Gesellschaft. In unserer Sitzung haben wir eine Bewertung der allgemeinen Lage durchgeführt, ganz oben stand dabei für uns die Situation von Rêber Apo auf der Agenda.
Insbesondere in den letzten Jahren wurde er der schwersten Isolation unterzogen. Wir haben uns tiefgreifend damit auseinandergesetzt, warum er einer immer stärkeren Isolation ausgesetzt wird und jede Kommunikation unterbrochen wurde. Damit hängt auch der zweite Punkt zusammen, mit dem wir uns beschäftigt haben, nämlich die Frage, inwieweit wir als Verteidigungskräfte, insbesondere als YJA Star, unserer Verantwortung gegenüber Rêber Apo gerecht werden. Die wichtigste Entscheidung war diese: Wir müssen die Vernichtungspolitik gegen Rêber Apo genau verstehen und sie auf der Grundlage dieser Analyse zerschlagen. Rêber Apo steht für uns im Zentrum. Die Praktiken die sich gegen ihn richten sich gegen uns, das kurdische Volk und die gesamte Menschheit. Diese Tatsache muss in diesem Sinne verstanden werden und der Kampf dagegen muss auf höchster Ebene auf der Grundlage der Prinzipien der Frauenbefreiungsideologie, der Freiheit und der Linie von „Jin Jiyan Azadî“ geführt werden.
Rêber Apo bedeutet für uns freies Leben. Wir verfolgen seine Situation mit größter Aufmerksamkeit. Als opferbereite Kämpferinnen bekräftigen wir noch einmal, dass die Situation von Rêber Apo für uns einen Kriegsgrund darstellt.
Am 6. Februar kam es zu diesem riesigen Erdbeben. Die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) hat eine Feuerpause ausgerufen. Der türkische Staat greift trotz dieser Feuerpause in Nordkurdistan und den Medya-Verteidigungsgebieten weiter an. Wie bewerten Sie diese Angriffe? Wie verhält sich die Guerilla zu den Angriffen?
Die Entscheidung der KCK war wichtig und unsere Kräfte haben sie mit großer Sensibilität befolgt. Auch unser Volk hat sich dieser Entscheidung angeschlossen. Alle haben erkannt, dass wir eine humanistische Bewegung sind. Die Folgen des Erdbebens und das Leid der Menschen haben uns zu dieser Entscheidung gebracht. Es war eine moralische Entscheidung. Der Besatzerstaat verhielt sich jedoch nicht im Sinne der Voraussetzungen einer solchen Entscheidung, sondern nutzte die Feuerpause vielmehr als Gelegenheit für neue Angriffe. Die Operationen in den Widerstandsgebieten, insbesondere in den Medya-Verteidigungsgebieten, wurden ausgeweitet und die militärischen Operationen in Bakurê Kurdistanê (Nordkurdistan) fortgesetzt. Dieses Thema muss auf der Tagesordnung der Guerilla stehen, und sie darf diesen Angriffen nicht nachgeben, es darf keine Lücken geben. Unser Volk muss aufmerksam sein und dem Kolonialfaschismus die notwendige Antwort bei den Wahlen geben.
Die Guerilla hat in den letzten acht Jahren gegen alle Angriffe großen Widerstand geleistet. Vor allem die YJA Star haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Zwei wichtige Kommandantinnen waren dabei Gulçiya Gabar und Hêjar Zozan. Können Sie etwas zu den beiden sagen?
Hevala Gulçiya ist zusammen mit der Genossin Pelşîn gefallen. Hêjar Zozan, die Kommandantin der [nordkurdischen] Provinz Serhed, ist ebenfalls gefallen. Ich gedenke dieser Freundinnen voller Respekt und spreche ihren patriotischen Familien mein Beileid aus. Die kämpferische kurdische Frau stellt eine Akkumulation von größter Erfahrung im Freiheitskampf dar. Wir haben mit Menschen wie Sara (Sakine Cansız) begonnen und heute sind es Frauen wie Gulçiya und Hêjar. Diese Akkumulation von Erfahrung kommt in der Parole „Jin Jiyan Azadî“, die heute um die ganze Welt hallt, zum Ausdruck.
Die Kommandantin Gulçiya hinterließ mit ihrer Führungsrolle ein großes Vermächtnis. Sie war in den kritischsten Tagen als Kommandantin von Behdînan bis Amed, von Erzîrom bis Kobanê aktiv. Sie selbst stammte aus der Region Mêrdîn und war eine von tiefem Patriotismus geprägte Persönlichkeit. Sie war immer bereit, jede Schwierigkeit zu überwinden, diente in jeder Situation als Kommandantin und wurde ein Vorbild in der Manifestation freier Frauen als Frauenarmee.
Hêjar Zozan war Kommandantin der Provinz Serhed, sie fiel zusammen mit Heval Bager. Hevala Hêjar stammte aus Erdêxan. Während ihrer Universitätszeit wurde sie sich der Unterdrückung des kurdischen Volkes bewusst und erkannte die Wahrheit hinter der Ideologie von Rêber Apo. Auf der Suche nach Freiheit schlug sie den Weg in die Berge ein. Als Mitglied der Spezialeinheiten leistete sie Großes auf der Linie der Gefallenen. Hevala Hêjar nahm bewusst an den Arbeiten teil und kämpfte zusammen mit Şehîd Delal. Sie spielte eine wichtige Rolle in der technischen Weiterentwicklung der Spezialeinheiten. Gleichzeitig stellte sie sich den feindlichen Invasionsoperationen in Heftanîn entgegen und kämpfte an der Seite von Esmer, Zelal und Bager eine große Schlacht.
Wie ist Ihre Position zu den Wahlen am 14. Mai?
Der Erdoğan-Faschismus hat dem kurdischen Volk seit 20 Jahren großes Leid zugefügt. Seine Politik basierte von Anfang an auf der Vernichtung des kurdischen Volkes. Diese Politik wird mit massiver Repression umgesetzt. Es handelt sich um eine Kraft, die ihre Existenz auf der Vernichtung des kurdischen Volkes aufbaut. Diese Politik wird auch im Wahlkampf verfolgt. Erdoğan ist eine Mentalität, ein Regime. Diese Mentalität stellt eine große Gefahr, vor allem für freiheitliche Kräfte, Frauen und die Jugend dar. Die Frauen und die Jugend müssen diese Situation erkennen und sich dem Regime bei diesen Wahlen entgegenstellen. Diese Wahl ist von immenser Bedeutung. Es geht darum, ob man in der Türkei im Faschismus oder in einem demokratischen Land leben möchte. Alle sollten sich dieser Bedeutung entsprechend verhalten und wählen gehen. Diese Wahlen werden über das Schicksal der Frauen, der Jugend und unserer Gesellschaft entscheiden. Wir sind davon überzeugt, dass diese Wahlen mit Hilfe der Frauen, der Jugend, der Alevit:innen, der Arbeiter:innen und der demokratischen Kräfte zu einem Sieg der Yeşil Sol Parti (Grüne Linkspartei) führen werden. Aus diesem Grund wurden Journalist:innen und Politiker:innen festgenommen und inhaftiert. Es besteht auch die Möglichkeit, dass diese politischen Operationen in Provokationen und Komplotte umschlagen. Unser Volk muss aufmerksam und sensibel dafür sein. Das Regime ist im Zap militärisch erledigt, und dank unseres Volkes wird es auch politisch in Ankara besiegt werden. Das wird den Weg für die Demokratisierung der Türkei ebnen und den diktatorischen Kriegstreibern bei den Wahlen ein Ende bereiten. Davon sind wir fest überzeugt.