Die Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG) haben den Tod von drei ihrer Mitglieder bekannt gegeben. Die Kommandantin der Frauenguerilla YJA Star (Yekîtiyên Jinên Azad), Hêjar Zozan, ist demnach am 16. April zusammen mit dem Kämpfer Bager Baz bei Auseinandersetzungen mit türkischen Militäreinheiten in der Serhed-Region in Nordkurdistan gefallen. Botan Goyî fiel am 7. April im Kampf gegen die Besatzung Südkurdistans im Zap. Zu seinen Todesumständen erklären die HPG: „Seit Beginn der Invasion des türkischen Staates am 14. April 2022 wehren unsere Kräfte die Besatzung mit einem aufopferungsvollen Geist ab. Mit der Geschichte des Widerstands, die sie schreiben, lassen sie die Angriffe ins Leere laufen. Eine für diesen historischen Widerstand entscheidende Stellung ist jene von Kela Çemço im Zap gewesen. Elf Monate und zwanzig Tage lang versuchte die türkische Armee mit ihrer gesamten Kraft und allen ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich chemischer Kampfstoffe und anderen verbotenen Waffen, Kela Çemço zu überrennen. Es gelang ihr nicht.
Kela Çemço ist nicht gefallen, denn seine in professionellen Guerilla-Teams organisierten Verteidigerinnen und Verteidiger zeigten jeden Tag aufs Neue überragende Leistungen mit der von ihnen angewandten Kriegstaktik und fügten dem Feind schwere Verluste zu. Auf Beschluss des zuständigen Einsatzführungskommandos, das diesen Widerstand befehligte, haben sich unsere Einheiten am 4. April aus Kela Çemço zurückgezogen. Nur drei Tage später sind sie im Widerstandsgebiet Saca auf Invasionstruppen gestoßen. Im Zuge eines Angriffs der türkischen Armee sind Gefechte ausgebrochen, zwei Personen aus unseren Reihen entschlossen sich zum Verrat. Einzig unser Weggefährte Botan Goyî widersetzte sich dem Feind, kämpfte selbstlos und starb den Gefallenentod.
Selbst wenn zwei Abweichler Verrat begangen haben: Dieses Ereignis wird den einzigartigen und großen Widerstand von Kela Çemço nicht überschatten können. Fast ein Jahr dauerte der Kampf an dieser Verteidigungsstellung an. Wir hatten in dieser Zeit weder Verluste in Kela Çemço noch etwaige Schwierigkeiten. Der Rückzug von dort wurde auf Grundlage der Entscheidung unserer Bewegung getroffen, alle militanten Aktionen auf unbestimmte Zeit einzustellen und in dem Zusammenhang eine Erhitzung der politischen Dynamik zu vermeiden. Am 4. April ist die türkische Armee unter der Regie von zwei Verrätern in das von uns verlassene Kela Çemço eingedrungen. Dass diese vermeintliche Einnahme des Gebiets nun mit plumper Propaganda als Erfolgsgeschichte verkauft wird, zeigt in aller Deutlichkeit die Niederlage der Besatzer. Rund zwei Wochen mussten vergehen, ehe sie den Mut aufbrachten, in die Guerillastellungen von Kela Çemço einzudringen. So lange dauerte es, bis sie überzeugt davon waren, dass sich niemand unserer Kräfte mehr dort befand. Wären sie im Besitz einer ehrenhaften militärischen Haltung, müssten sie sich nicht in Lügen flüchten. Sie würden die Wahrheit offenbaren mit den Worten ‚Wir inspizieren den von der Guerilla verlassenen Tunnel.‘“
Die vollständige Identität des Gefallenen und seine Biografie lauten:
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Codename: Botan Goyî
Vor- und Nachname: Bilal Mihemed Elî
Geburtsort: Zaxo
Namen von Mutter und Vater: Gurbet – Mihemed
Todestag und -ort: 7. April 2023 / Zap
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Die Familie von Botan Goyî stammt ursprünglich aus einem Dorf in Qilaban (tr. Uludere) in der nordkurdischen Provinz Şirnex. Die Eltern gehören dem in der Botan-Region ansässigen Stamm der Goyî an und migrierten vor Jahren in den Süden nach Zaxo. Dies ist die Stadt, in der Botan Goyî geboren wurde und aufgewachsen ist. Die Schule brach er nach der elften Klasse ab, da er im südkurdischen Bildungssystem keine Perspektive für sich sah. Er war in einem patriotischen Umfeld aufgewachsen, sensibel für seine Umwelt und sich bewusst über seine soziale Identität. Doch die alte Heimat lag sehr tief in ihm geborgen und blieb als Sehnsucht all die Jahre bewahrt. Als Heranwachsender auf der Suche nach einem freien Leben und einer freien Identität, begann er sich intensiver mit der kurdischen Bewegung zu beschäftigen. Sein Cousin Berxwedan Goyî kam in Minbic ums Leben und der Angriffskrieg der Türkei gegen Efrîn, der zur Vertreibung hunderttausender Menschen aus ihrer Heimat führte und von den Besatzern als Freifahrtschein für Massaker am kurdischen Volk genutzt wurde, entfachte in Botan Goyî eine große Wut. Mit dem Ziel, Vergeltung zu üben, schloss er sich am 1. Juni 2018 der kurdischen Guerilla an. Es war der vierzehnte Jahrestag der PKK-Offensive gegen innere und äußere Vernichtungsangriffe.
„Hevalê Botan stürzte sich mit Liebe und Leidenschaft in die Reihen der Guerilla. Er war Feuer und Flamme für das Leben in den Bergen und umschloss die tiefgründige Freundschaft bei der PKK mit einer Sehnsucht, wie sie nur eine nach Wasser dürstende Wüste empfindet. Mit den neuen Fähigkeiten, die er sich auf Grundlage der apoistischen Ideologie aneignete, schuf er sich neu und durchlief große Veränderungen. Er erlernte schnell alle grundlegenden Guerillaregeln und folgte seinen erfahrenen Freundinnen und Freunden. Botan Goyî hatte eine extrem schnelle Auffassungsgabe und Talent, vorausschauend zu handeln und Wissen schnell in die Praxis zu transferieren. Er war bescheiden und aufrichtig in allem, was er tat, und seine selbstlose Vorgehensweise wurde von all seinen Kameraden geschätzt. Ihm galt die Liebe und der Respekt aller“, schreiben die HPG.
„Hevalê Botan widmete sich voll und ganz jenen Guerillataktiken, die die Angriffe der türkischen Armee – die versucht, durch den brutalen Einsatz modernster Kriegstechnik die Überlegenheit über die Guerilla zu erlangen – vereitelten und gleichzeitig dem Feind schwere Schläge versetzten. Stets wollte er seine Kenntnisse und Erfahrungen vertiefen, sich weiter spezialisieren, um den Feind zur Rechenschaft zu ziehen. Die Expertise in den Taktiken der Guerilla der demokratischen Moderne wurde für unseren Freund Botan eine Leidenschaft. Auf dieser Grundlage schlug er vor, die Militärakademie zu besuchen, und als sein Vorschlag angenommen wurde, erhielt er eine umfassende Ausbildung in Sniper-Taktik.“
Als Guerillakämpfer mit den Fähigkeiten eines professionellen Scharfschützen ging Botan Goyî 2021 in den Zap, wo er sich aktiv am Kampf, etwa als Teil der „Revolutionären Guerillaoffensive Bazên Zagrosê“ beteiligte. Darüber hinaus spielte er eine wesentliche Rolle bei der Anpassung des Kampfstils in beweglichen Kleingruppen an den Widerstandsstellungen in der Region. Seit dem Frühjahr 2022 war er in Kela Çemço im Einsatz. „Botan Goyî widmete sich in den fünf Jahren, die er bei der Guerilla verbrachte, voll und ganz der Sache einer freien Zukunft und eines freien Landes für unser Volk. Er kämpfte für Freiheit und für den Sieg – bis zum Tag seines Todes. Die letzten Augenblicke seines Lebens verbrachte er unbeugsam im Widerstand. Für ihn gab es keine andere Option als den Kampf. Er verabscheute den Verrat und kämpfte bis zur letzten Kugel. Botan Goyî wird uns immer in Erinnerung bleiben. Sein Geist wird in Kurdistan ewig leben.“
Zum Tod von Hêjar Zozan und Bager Baz
Hêjar Zozan und Bager Baz kamen nach HPG-Angaben im Zuge eines Gefechts am Çiyayê Tendûrekê in der Serhed-Region ums Leben. Beide befanden sich bedingt durch die von kurdischer Seite kurz nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet im Februar ausgerufenen Waffenruhe in Verteidigungsposition. „Doch das faschistische AKP/MHP-Regime setzt seine Angriffe auf unsere Kräfte trotz Einstellung militanter Aktionen unvermindert fort“, betonen die HPG. Dem Gefecht vorausgegangen war demnach eine Attacke durch türkische Militärangehörige.
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Codename: Hêjar Zozan
Vor- und Nachname: Sevilay Akyıldırım
Geburtsort: Erdêxan
Namen von Mutter und Vater: Eflatun – Bilal
Todestag und -ort: 16. April 2023 / Serhed
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Codename: Bager Baz
Vor- und Nachname: Orhan Kalabalık
Geburtsort: Wan
Namen von Mutter und Vater: Zübeyde – Mihraç
Todestag und -ort: 16. April 2023 / Serhed
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Hêjar Zozan
Hêjar Zozan stammte selbst aus Serhed – einer Region, deren kurdische Bewohnerinnen und Bewohner sich lange Jahre aufgrund ihrer stark ausgeprägten Verbundenheit für den Widerstand gegen die Staatsgewalt Assimilationsdruck, Spezialkriegsmethoden und Repression ausgesetzt sahen. Sie wurde als Tochter einer in Erdêxan (Ardahan) ansässigen patriotischen Familie geboren und wuchs mit dem Bewusstsein der Existenz einer Guerillabewegung auf, die Widerstand für die Befreiung Kurdistans leistete. Der kurdische Befreiungskampf war somit seit ihrer Kindheit ein Teil ihrer Identität. „Das einzigartige Wirken weiblicher Guerillakämpferinnen gegen die Besatzer in den Bergen Kurdistans eröffneten Hevala Hêjar die Möglichkeit, sich als junge Frau mit dem Freiheitswillen und der Philosophie von Rêber Apo zu formen und die Realität der unbezwingbaren kurdischen Frau zu erkennen. Sie stellte das System infrage, das Frauen ignoriert, sie versklavt, hinter Mauern sperrt, und wurde als Studentin an der Gazi-Universität Ankara Zeugin von antikurdischer Diskriminierung und Übergriffen. Durch die ständige Lektüre der Schriften von Rêber Apo vertiefte sie ihr Wissen und fand Antworten auf ihre Fragen. Sie glaubte von ganzem Herzen an die Tatsache, dass die PKK die einzige Hoffnung auf Freiheit für alle Frauen, Jugendlichen und Unterdrückten ist, und traf mit Willensstärke die Entscheidung, den Reihen des Widerstands beizutreten.“
Hêjar Zozan war zunächst innerhalb der Jugendbewegung aktiv. 2002 beteiligte sie sich an Protesten gegen das „internationale Komplott“ gegen Abdullah Öcalan, das sich damals zum dritten Mal gejährt hatte. Sie wurde festgenommen und verbrachte vier Monate im Gefängnis. Nach ihrer Entlassung hielt sie sich noch weitere drei Jahre in der Türkei auf, bevor sie 2005 zur Guerilla ging. Sie erhielt eine Grundausbildung und wurde Teil der Sondereinheit Hêzên Taybet, die eine besondere Opferbereitschaft und ideologischen Tiefgang voraussetzt. „Hevala Hêjar war wissensdurstig und willensstark. Sie war erst Lernende, dann Meisterin. Sie gab ihr Wissen stets weiter und förderte so bei jungen Menschen die Entfaltung der apoistischen Linie. Viele Jahre leistete sie wichtige Beiträge in verschiedenen Bereichen des Kampfes, in kritischen Zeiten war sie als eine der Ersten bereit, zu tun, was sie tun musste und auch wollte. Sie nahm jede Aufgabe mit Geduld und Entschlossenheit an und wurde bereits früh zu einer progressiven Guerillakommandantin. Sie trug einen richtungsweisenden Geist in sich und bewirkte Großes in Strategie, Taktik und Technik. Hevala Hêjar war in Regionen wie Avaşîn, Zap und Heftanîn an federführender Stelle und galt als dynamische Repräsentantin der PKK- und PAJK-Linie.“
In Avaşîn bildete Hêjar Zozan neue Kämpferinnen und Kämpfer aus, im Zap organisierte sie den Widerstand gegen die türkische Invasion und setzte die nach einer Umstrukturierungsphase in den Guerillakampf integrierten neuzeitlichen Taktiken in die Praxis um. Sie galt als „Expertin der Kunst des Krieges“ und war seit 2019 eine der Kommandantin der „Revolutionären Offensive Cenga Heftanînê“. Nach Nordkurdistan wurde sie auf eigenen Wunsch hin versetzt. „Unsere Freundin Hêjar hatte Sehnsucht nach dem Ort, in dem sie geboren und aufgewachsen ist. Sie empfand Stolz und Freude, als versierte und selbstlose Kommandantin und Verfechterin der Linie der freien Frau in die Widerstandshochburg Serhed zurückzukehren. Hevala Hêjar hat ein unvergessliches Vermächtnis hinterlassen. 18 Jahre ihres Lebens war sie jeden Augenblick eine bemerkenswerte Militante und Kommandantin, Verteidigerin des Apoismus, den sie in jeden Bereich des Lebens übertrug, und Kämpferin der Frauenbefreiungsideologie. Es ist unsere Pflicht, die Fahne der YJA Star für Hevala Hêjar zum Sieg zu tragen.“
Bager Boz
Bager Boz wurde in Qerqelî (Özalp) in der nordkurdischen Provinz Wan geboren. Er wuchs in einem vom kurdischen Befreiungskampf geprägten Umfeld als Kind einer patriotischen Familie auf, die zahlreiche Gefallene zu verzeichnen hat. Dadurch gehörte die PKK bereits früh zu seinem Leben.
Als Jugendlicher migrierte Bager Boz in den Westen der Türkei, um zu arbeiten und das finanziell eher schlecht situierte Elternhaus in der strukturell benachteiligten Heimat zu unterstützen. „Der Realität des Feindes, die er aus Wan kannte, begegnete er hier auf eine andere aber ebenso eindringliche und prägende Weise. Er kannte zwar die nackte Unterdrückung und alltägliche Folter in Kurdistan. Doch die genozidäre Politik und Spezialkriegsmethoden, die der Feind seit jeher gegen unser Volk einsetzt, hatten in den türkischen Metropolen völlig andere Dimensionen.
Das Gesehene und Erlebte erzeugten bei ihm eine Wut, die sich nur im Befreiungskampf bewältigen ließ: Hevalê Bager wurde Revolutionär. Als im Jahr 2019 dann eine mit ihm im verwandtschaftlichen Verhältnis stehende Person im Widerstand den Gefallenentod starb, schloss er sich der Guerilla an.“ Bager Baz war praktisch seit dem ersten Tag in den Bergen in den Medya-Verteidigungsgebieten. Hier hielt er sich in nahezu allen Regionen auf und wirkte unter anderem am Aufbauprozess der Kriegstunnel mit. Nach weiteren verschiedenen Stationen in Südkurdistan äußerte er den Wunsch, in Serhed zu kämpfen.
Angesichts des Verlusts von Botan Goyî, Hêjar Zozan und Bager Boz sprechen die HPG den Angehörigen der Gefallenen und der Bevölkerung in Kurdistan ihr Mitgefühl aus. „Mit dem Anspruch und der Entschlossenheit, die Träume und Ideale all unserer gefallenen Freundinnen und Freunde zu verwirklichen, versprechen wir, unseren Befreiungskampf mit einem Sieg zu krönen.“