Nach Ermordung von Ahmet Gün: Tatbeteiligter stellt sich Polizei

Nach der Ermordung des kurdischen Lokalpolitikers Ahmet Gün in Şirnex hat die Militärpolizei einen Tatverdächtigen festgenommen. Der 60-jährige Dorfschützer stellte sich bei einer Wache der Gendarmerie.

Nach der Ermordung des kurdischen Lokalpolitikers Ahmet Gün in Şirnex (tr. Şırnak) hat sich ein Tatbeteiligter der Militärpolizei gestellt. Der 60-Jährige stellte sich nach Angaben der Behörde bei einer Wache der Gendarmerie und gab an, an dem Angriff am Donnerstag in der Gemeinde Sêgirkê (Şenoba) beteiligt gewesen zu sein. Er soll am Dienstag einem Haftrichter vorgeführt werden.

Der Lokalpolitiker Ahmet Gün war Bezirksverordneter in Sêgirkê und Vorstandsmitglied der „Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie“ (DEM, ehemals HEDEP). Er war bei dem bewaffneten Angriff gestern Vormittag so schwer verletzt worden, dass er noch vor Ort starb. Sein Sohn kam mit lebensgefährlichen Schussverletzungen in ein Krankenhaus und wurde notoperiert. Ein Neffe von Gün blieb unverletzt. Er war es auch, der die vier Täter identifizierte, woraufhin die Gendarmerie eine Fahndung einleitete.

Drei der vier Tatbeteiligten sollen Dorfschützer sein

Wie bereits vermutet wurde, handelt es sich bei den Tatbeteiligten um Mitglieder des Dorfschützerclans der Familie Babat. Drei von ihnen seien noch im aktiven Dienst. Mahmut Gün, der den Angriff überlebte und der Gendarmerie die Namen der Angreifer nannte, schilderte gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) die Attacke. Demnach hielten sich die Männer in ihrem Dorf Taloka auf, um Brennholz für den Winter zu sammeln, als sie von den Dorfschützern angegriffen wurden. Mindestens zwei der Angreifer seien bewaffnet gewesen; mit einem Maschinengewehr sowie einer Pistole: Waffen aus dem Inventar des Staates.

Mahmut und sein Cousin Abdurrahim Gün hätten versucht, die bewaffneten Angreifer festzuhalten, es aber nicht geschafft. Einer der Täter – jedoch nicht der Festgenommene – habe sich losgerissen und mit seiner Kalaschnikow das Feuer auf sie eröffnet. Abdurrahim Gün sei unter anderem schwer am Bein getroffen worden und zu Boden gesackt. Daraufhin habe Mahmut Gün den anderen Angreifer losgelassen und sei zu seinem verletzten Cousin gerannt. Erst dort habe er gesehen, dass sein Onkel ebenfalls von den Kugeln getroffen wurde und augenscheinlich tot am Boden liegt. Ahmet Gün wurde am späten Montagabend in seinem Geburtsdorf beerdigt.

Laut Mahmut Gün soll dem Angriff ein seit Monaten schwelender Konflikt vorausgegangen sein. Dahinter stecke ein Streit zwischen Jugendlichen bei einem Fußballspiel, in den sich Eltern und andere Verwandte einschalteten. Der Streit habe sich zuletzt derart entwickelt, dass Ahmet Gün und seine Familie auf Betreiben des früheren Chefs des Dorfschützerverbands des Babat-Clans mit einer Art Embargo belegt wurden. Geschäftsinhaber im Ort seien von Şeyhmuz Babat unter Druck gesetzt worden, der Familie nichts zu verkaufen, Kinder mussten die Schulen wechseln, andere Angehörige seien in andere Städte gezogen. Ahmet Gün selbst sei mehrfach mit dem Tod bedroht worden. In Sêgirkê gebe es kaum eine Person, die nicht davon wüsste, dass Şeyhmuz Babat gegenüber dem türkischen Gouverneur von Şırnak geprahlt hätte, die Gemeinde Sêgirkê „auch von dem letzten Terroristen zu säubern“.

Bezahlter Terror im Auftrag des Staates

Dorfschützer sind paramilitärische Einheiten, die in Kurdistan gegen die Guerilla und unliebsame Oppositionelle eingesetzt werden, ihre heutige Bezeichnung lautet „Sicherheitswachen“. Sie bestehen zu einem beträchtlichen Teil aus Stammesführern, Großgrundbesitzern, Familien und Einzelpersonen, die oft seit Jahrzehnten mit dem Staat zusammenarbeiten und versuchen, in Kurdistan für die Interessen des Staates einzutreten. Ein Teil der Dorfschützer tritt diesem System freiwillig bei, andere werden mit Mord, Verhaftung und Vertreibung bedroht und müssen unter Druck Dorfschützer werden.

Babat-Clan seit den 1990ern als Dorfschützer aktiv

Das heutige Dorfschützersystem ist 1985 entstanden, ein Jahr nach dem Auftakt des bewaffneten Kampfes der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Damals begann die türkische Regierung unter Turgut Özal damit, kurdische Stämme und Clans im Krieg gegen die PKK anzuwerben und zu bewaffnen. Die Babats gehören seit Anfang der Neunziger zu den freiwilligen Dorfschützern in Şirnex und beteiligen sich seither am schmutzigen Krieg des türkischen Staates gegen die Guerilla, Mitglieder des Clans ließen als Todesschwadron „Dolch-Team“ (Hançer Timi) zahlreiche Menschen „verschwinden“. Der Dorfschützerverband gehört auch zu den Hauptprofiteuren des Ökozids in Şirnex und ist an der Seite der türkischen Armee neben Militäroperationen in Nordkurdistan auch in die Invasion Südkurdistans involviert.