Şengal: Trotz Widrigkeiten hält die Rückkehr an
Die Rückkehr der ezidischen Bevölkerung in die selbstverwaltete südkurdische Region Şengal hält an. Die Einwohnerzahl hat mittlerweile die Marke von 250.000 überschritten.
Die Rückkehr der ezidischen Bevölkerung in die selbstverwaltete südkurdische Region Şengal hält an. Die Einwohnerzahl hat mittlerweile die Marke von 250.000 überschritten.
Nach dem Beginn des IS-Genozids am 3. August 2014 flohen Hunderttausende Ezid:innen aus der Region Şengal. Unzählige wurden ermordet, auf Sklavenmärkten verkauft und vertrieben. Trotz der Hindernisse seitens der mit der Türkei verbündeten südkurdischen „Demokratischen Partei Kurdistans“ (PDK) und der irakischen Regierung kehren die Menschen weiterhin in die Region zurück, nachdem diese befreit wurde.
Rückkehr nach dem Genozid
Der Journalist Ibrahim Êzidî berichtet für die Nachrichtenagentur Mezopotamya über die jüngsten Entwicklungen in der Şengal-Region. Er erinnert daran, dass die Rückkehrzahlen mit der Gründung des Autonomierats MXDŞ gestiegen sind, und erklärt: „Zum ersten Mal in ihrer Geschichte kehren die Eziden nach einem Völkermord in ihr Land zurück. Dies ist eine äußerst wichtige Botschaft und Antwort auf den begangenen Genozid. Die Ermöglichung dieser Rückkehr war keine einfache Aufgabe und erforderte beträchtliche Opfer. Frauen und unsere Vorreiter:innen haben hierbei eine entscheidende Rolle gespielt. Die Rückkehr ist auch den Menschen zu verdanken, die die Selbstverwaltung in dieser Region etabliert haben, insbesondere Persönlichkeiten wie Mam Zeki, Seîd Hesen und Dijwar Feqîr.“
Ibrahim Êzidî: Die Autonomie von Şengal muss anerkannt werden
Über 250.000 Einwohner:innen
Die Selbstverwaltung hat die geflohenen Ezid:innen immer wieder zur Rückkehr ermutigt. Ibrahim Êzidî berichtete, dass die Zahl der Einwohner:innen der Şengal-Region mittlerweile die Marke von 250.000 überschritten hat. Dies stellt einen großen Erfolg dar.
PDK als größtes Hindernis
Er wies jedoch auch darauf hin, dass die mit der Türkei verbündete PDK das größte Hindernis für die Rückkehr darstellt. Diese suggeriert über verschiedene NGOs in den Flüchtlingslagern, dass Şengal nicht sicher sei, und lässt Antragsteller:innen auf Rückkehr monatelang warten. Weiter sagte er: „Die PDK präsentiert sich als Kraft, die beim Wiederaufbau von Şengal helfen wird. Doch in Wirklichkeit verhält es sich anders. Trotz aller Hindernisse setzt sich die Rückkehr nach Şengal fort. Kürzlich ermöglichte das irakische Ministerium für Migration und Einwanderung in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen etwa 400 bis 500 Menschen die Rückkehr nach Şengal.“
Selbstorganisation in der Şengal-Region
Êzidî erklärte, dass sich die Rückkehrer:innen unter dem Dach der autonomen Verwaltung von Şengal organisieren. Dies geschehe, da die einzigen Kräfte, die die Ezid:innen schützen und ihre Rückkehr garantieren, die YBŞ, YJŞ und Asayîşa Êzîdxanê seien. Er berichtete: „Die Selbstverwaltung von Şengal, die Räte und die Kommunen unterstützen diese Familien nach Kräften. Die Rückkehrer:innen sind auf Hilfe angewiesen. Ihre Häuser wurden zerstört und müssen wiederaufgebaut werden. Diejenigen, die vom IS verletzt wurden, benötigen medizinische Versorgung. Für ein Land, einen Rat oder eine Selbstverwaltung ist dies eine immense Last, die alleine getragen wird.“
Anerkennung des Genozids reicht nicht aus
Êzidî erinnerte daran, dass bisher 20 Länder den Massenmord an den Ezid:innen als Völkermord anerkannt haben. Dennoch reicht die formale Anerkennung allein nicht aus: „Bisher wurden keine Maßnahmen im Sinne der ezidischen Gemeinschaft ergriffen. Neben der Anerkennung des Völkermords muss auch die Autonomie von Şengal anerkannt und das Recht auf Selbstbestimmung akzeptiert werden. Entscheidende Schritte zur Rückkehr der ezidischen Gemeinschaft nach Şengal und zum Wiederaufbau von Şengal sind erforderlich. Erst dann kann von einer wirklichen Anerkennung des Genozids die Rede sein. Bisher existiert diese nur auf dem Papier, während in der Praxis nichts unternommen wurde.“
Der Genozid geht weiter
Êzidî erinnerte daran, dass die Staaten nichts unternehmen, um die Region zu schützen. Er schloss mit den Worten: „Viele Überlebende des Genozids wurden vom türkischen Staat getötet. Man kann sagen, dass der Völkermord an den Ezid:innen weitergeht. Institutionen und Staaten, die den Völkermord anerkennen, sind ihren Pflichten und Verantwortungen nicht gerecht geworden. Diese Verantwortungslosigkeit veranlasst die Ezidinnen und Eziden, ihr Land zu verlassen. Das ist äußerst besorgniserregend. Einige interne Kräfte setzen alles daran, die Eziden zu ermutigen, nach Europa zu gehen. Die irakische und die südkurdische Regierung sowie die Türkei unterstützen Schleuser, die Menschen ins Ausland bringen. Der Exodus der Ezidinnen und Eziden aus Şengal ist eine große Gefahr und steht in Zusammenhang mit dem Genozid. Wenn Şengal nicht geschützt wird und die ezidische Gemeinschaft nicht selbst die Kontrolle über die Region übernimmt, wird ihre Existenz bedroht sein. Die Rückkehr der vertriebenen Ezidinnen und Eziden nach Şengal muss verstärkt werden.“