Das Kurdische gehört weltweit zu den wenigen Sprachen, deren Nutzung jahrzehntelang als Straftat galt und deshalb geahndet wurde. Bis 1991 war in der Türkei ein striktes Sprachverbotsgesetz in Kraft, das Kurdisch in allen Lebensbereichen unter Strafe stellte – ein Verbot kurdischer Namen miteingeschlossen. Zwar wurde das Gesetz aufgehoben und die Reformpakete im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen ließen zunächst eine gewisse Lockerung erhoffen. Doch in der Praxis wird die kurdische Sprache weiter diskriminiert und ihre Nutzer:innen werden mit Repression überzogen.
Das jüngste Beispiel dieser Diskriminierung spielte sich unlängst in Mersin ab. Es verdeutlicht die fehlende Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen des türkischen Staates. Der an einer Grundschule im Kreis Akdeniz unterrichtende Türkischlehrer Hüdai Morsümbül wurde von der Provinzdirektion für Nationale Bildung zu einer Disziplinarstrafe verdonnert, weil er in seinem Unterricht die kurdische sowie die arabische Sprache verwendet haben soll. Zu allem Überfluss soll er seine Schülerinnen und Schüler der fünften Klasse dazu verleitet haben, Kurdisch als Wahlfach zu wählen. Damit habe er „eindeutig“ gegen das türkische Beamtengesetz Nr. 657 verstoßen.
„Trotz Beschwerden“ gegen seine Person und mehreren „Verwarnungen“ habe Morsümbül sich bei der Gestaltung seines Unterrichts „jenseits des Lehrplans“ bewegt, geht aus der Entscheidung der Disziplinarkommission hervor. „Sie haben Kurdisch und Arabisch unterrichtet und die Schulkinder Ihrer Klasse kurdische und arabische Wörter schreiben lassen. Deshalb sind Sie nach Artikel 125/C-a des Beamtengesetzes zu bestrafen“, heißt es weiter. Die Regelung sieht im Fall von Morsümbül vor, einen Tagessatz vom monatlichen Bruttolohn abzuziehen. Es handelt sich aber nicht um die erste Bestrafungsmaßnahme gegen den seit 23 Jahren als Lehrer arbeitenden Kurden. Zuvor war er aufgrund der Nutzung des Kurdischen im Unterricht bereits an eine andere Schule zwangsversetzt worden.
Hüdai Morsümbül | Foto: privat
„Kurdischunterricht“ in der Türkei
Seit 2012 können Kinder an staatlichen Schulen in der Türkei Kurdisch und andere nichttürkische Sprachen „lernen“ – als Wahlfach für zwei Stunden pro Woche. Dass es sich dabei um eine Mär handelt, legen selbst staatliche Daten nahe. Im Jahr 2021 stellte das Bildungsministerium bei 20.000 Neueinstellungen drei neue Lehrkräfte für Kurdisch ein, verglichen mit 938 für Englisch, 503 für Arabisch und sogar 25 für Russisch. In diesen zusätzlichen, selbst gewählten Fächern wird allerdings fast ausschließlich das „nationale Bildungsziel“ gelehrt. Konkret bedeutet das Indoktrination in der Muttersprache: Kinder lernen, den Staatsgründer Atatürk bedingungslos zu lieben, seinen Lebenslauf auswendig aufzusagen und Propagandalieder für ihn zu singen. Kurdische Organisationen fordern seit Jahren, dass das Kurdische nicht nur als Wahlfach angeboten werden dürfe, sondern kurdischen Kindern als muttersprachliches Pflichtfach auf den Lehrplan gesetzt werden müsse.