Während die Türkei in ihr zwanzigstes Jahr unter der Herrschaft der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) geht, hat der Druck auf die kurdische Sprache mit offiziellen und faktischen Verboten, gezielten Schikanen und sogar Todesfällen im Zusammenhang mit der kurdischen Sprache einen Höchststand erreicht.
Das Scheitern des so genannten Friedensprozesses zwischen der Türkei und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Jahr 2015 und die Verhängung des Ausnahmezustands gegen oppositionelle Kräfte nach dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016 führten zu einem erhöhten Druck auf die kurdische Sprache. Viele Einrichtungen wurden geschlossen, und es gab sogar mehrere Todesfälle, als Menschen wegen ihrer Sprache rassistisch angegriffen wurden.
Eine kurze Geschichte des Verbots der kurdischen Sprache
Die Verbote der kurdischen Sprache in der Geschichte der Türkei waren meist implizit und inoffiziell, aber auch einflussreich. Im Jahr 1958 veröffentlichte Musa Anter den Text eines kurdischen Liedes in der Zeitung İleri Yurt, die in Amed (tr. Diyarbakır) gedruckt wurde. Im folgenden Jahr wurde er wegen seiner Artikel verhaftet. 1977 wurde die kurdische Zeitung Roja Welat ins Leben gerufen, die jedoch nach dem Militärputsch 1980 wieder eingestellt wurde.
Die kurdische Sprache wurde offiziell verboten, als die Junta 1980 ein generelles Verbot für alle nichttürkischen Sprachen erließ. Das Verbot wurde 1991 aufgehoben, im selben Jahr, in dem die kurdischen Parlamentsabgeordneten Leyla Zana, Orhan Doğan und Hatip Dicle verhaftet wurden, weil sie ihren parlamentarischen Eid auf Kurdisch abgelegt hatten.
Auch heute noch können kurdische Kinder nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, und nichttürkische Sprachen, die im Land gesprochen werden, werden nur als Wahlfächer für zwei Stunden pro Woche angeboten. Im Jahr 2021 stellte das Bildungsministerium bei 20.000 Neueinstellungen drei neue Lehrkräfte für Kurdisch ein, verglichen mit 938 für Englisch, 503 für Arabisch und sogar 25 für Russisch.
Kurdisch wurde von öffentlichen Diensten ausgeschlossen, einschließlich der KADES-Anwendung, die vom Innenministerium entwickelt wurde, um von häuslicher Gewalt betroffene Frauen zu unterstützen. Der Dienst wird auf Türkisch, Persisch, Arabisch, Englisch, Französisch und Russisch angeboten, aber nicht auf Kurdisch.
Die Bemühungen der Basis wurden ebenfalls behindert, da die kurdischsprachige Zeitung Azadiya Welat, das kurdische Kinderfernsehen Zarok TV, das Kurdische Institut Istanbul, der Kulturverein KURDİ-DER, die Nachrichtenagenturen DİHA und Jinha sowie verschiedene Nichtregierungsorganisationen, die sich mit der kurdischen Sprache befassten, durch Notstandsverordnungen geschlossen wurden.
Trotz des Drucks gelang es vielen Kommunalverwaltungen mit gewählten kurdischen Bürgermeister:innen, mehrsprachige Dienste in den Provinzen mit kurdischer Mehrheit einzurichten und in bestimmten Gebieten auch Dienste in anderen Minderheitensprachen anzubieten. Die vom türkischen Innenministerium ernannten Treuhänder, die an die Stelle der gewählten Bürgermeister:innen von der Demokratische Partei der Völker (HDP) traten, entfernten jedoch alle mehrsprachigen Hinweisschilder, strichen Dienstleistungen in kurdischer und armenischer Sprache und schlossen nicht-türkischsprachige Vorschulen und Horte sowie Dienstleistungen für Frauen, von denen ein großer Teil nicht gut oder gar nicht Türkisch spricht.
Kurdische Abgeordnete, die sich im türkischen Parlament auf Kurdisch äußern, werden in den Parlamentsunterlagen nicht erwähnt, abgesehen von einem Vermerk, dass eine „unbekannte Sprache" verwendet wurde. Auch kurdischsprachige Kunstschaffende werden von den Behörden unter Druck gesetzt und behindert.
Wegen kurdischer Sprache getötet
Seit 2015 wurden laut der Nachrichtenagentur Mezopotamya mindestens fünf Menschen getötet, weil sie Kurdisch gesprochen haben. Einige Vorfälle schaffen es in die Nachrichten, aber die meisten werden nicht gemeldet oder aufgezeichnet. Einige der gemeldeten Vorfälle lauten wie folgt:
Der einundzwanzigjährige Sedat Akbaş wurde im September 2015 in Istanbul getötet, nachdem er auf der Straße von acht Männern rassistisch angegriffen wurde, als er am Telefon Kurdisch sprach. Im darauffolgenden Oktober wurde der Sänger Selim Serhed von einem Kunden in der Bar, in der er arbeitete, nach einem Streit über das Singen auf Kurdisch getötet.
Im Dezember 2018 wurden Vater und Sohn Kadir und Burhan Sakçı in der Provinz Sakarya niedergeschossen, als sie auf der Straße spazieren gingen und sich auf Kurdisch unterhielten. Der Vater verlor sein Leben, während der Sohn nur knapp mit schweren Verletzungen überlebte.
Im November 2019 wurden die landwirtschaftlichen Saisonarbeitskräfte Şirin Tosun und Mahsun Zeren in Sakarya von acht Männern beschossen, weil sie einem Fahrzeug mit einem Kennzeichen aus einer kurdischen Stadt zuwinkten. Zeren überlebte den Angriff, während Tosun nach 51 Tagen auf der Intensivstation verstarb. Im Juni 2020 wurde Barış Çakan in einem Park in der Hauptstadt Ankara brutal angegriffen, als er mit seinen Freunden kurdische Musik hörte. Er überlebte den Angriff nicht.
Die Bauarbeiter Eren Sömer und Ufuk Çelik überlebten einen Angriff im Jahr 2016, nachdem sie untereinander Kurdisch gesprochen hatten. Im Jahr 2018 wurde Fikret Aydemir von Soldaten angegriffen, weil er Kurdisch sprach. Im Jahr 2019 wurde das ältere Ehepaar Bedriye und Ekrem Yaşlı in einem Krankenhaus in Çanakkale von einem Verwandten eines Patienten geschlagen, weil sie untereinander Kurdisch sprachen.
Im Jahr 2020 wollten die städtischen Theater in Istanbul ein Stück in kurdischer Sprache aufführen, doch das Stück Bêrû wurde vom Gouverneursamt verboten. In einem Gerichtsverfahren gegen vier HDP-Mitglieder wurde das Singen auf Kurdisch als Beweis für terroristische Aktivitäten angeführt.
Gefangene erhalten keine kurdischsprachigen Zeitungen, Briefe in kurdischer Sprache werden nicht ausgehändigt. Die Gefängnisverwaltungen beschlagnahmten kurdischsprachige Bücher und Zeitschriften. Gegen Gefangene wurden Kommunikationsverbote verhängt, weil ihre Besucher mit ihnen auf Kurdisch sprachen, und ein Gefangener wurde beschuldigt, bei einem Gespräch mit seiner Mutter auf Kurdisch verschlüsselt zu sprechen. Gegen die kurdischen Politikerinnen Leyla Güven, Hülya Alökmen und Fethiye Ok Çiçek wurde in der Vollzugsanstalt Elazığ ermittelt, weil sie „in einer unbekannten Sprache tanzten und sangen", als sie mit neun anderen weiblichen Gefangenen den traditionellen kurdischen Govend tanzten.
Die Vereinten Nationen begehen den 21. Februar als Internationalen Tag der Muttersprache, und das Thema für 2022 ist der Einsatz von Technologie für mehrsprachiges Lernen. Kurd:innen und andere nicht-türkischsprachige Völker in der Türkei begehen diesen Tag seit 2000.