Das türkische Kulturministerium hat mehrere syrisch-orthodoxe Kirchen und Klöster im Tur Abdin auf die nationale Tentativliste gesetzt. Diese Vorschlagsliste stellt ein Verzeichnis der Kulturgüter dar, die für die Eintragung in die UNESCO-Liste des Welterbes für geeignet gehalten werden. Insgesamt vier Kirchen und fünf Klöster aus Spätantike und Mittelalter im Tur Abdin sind für zukünftige Nominierungen vom Kulturministerium ausgewählt worden. Dabei handelt es sich um die Gebetshäuser Mor Sobo, Mor Quryaqos, Mor Azozo und die Muttergotteskirche, sowie die Klöster Mor Gabriel und Mor Abay, Gründungen aus dem späten 4. Jahrhundert, Zafaran (Dayro d-Mor Hananyo) aus dem 5. Jahrhundert, das Kloster Mor Loozor, das im im 5. oder 6. Jahrhundert auf den Ruinen eines zoroastrischen Tempels gegründet wurde, und das Kloster Mor Jakob d’Saleh, das nach unterschiedlichen Quellen zwischen 400 und 600 n. Chr. entstanden ist.
Der Tur Abdin - übersetzt „Berg der Knechte Gottes“, ist ein Gebirgszug aus Kalkstein. Es ist das Kernland der Suryoye, das sich von Mêrdîn (tr. Mardin) über Midyad (Midyat) und die mesopotamische Ebene bis in den Irak und nach Syrien zieht. Suryoye ist die Eigenbezeichnung für nach unterschiedlicher Auslegung mehrere christliche Volksgruppen im Mittleren Osten. Zu den Suryoye werden Aramäer:innen, Assyrer:innen, Chaldäer:innen und mitunter auch Maronit:innen und Melkit:innen gezählt.
Muttergotteskirche im Tur Abdin | © Gouverneursamt Mardin
Im Tur Abdin gibt es mehr als 80 Klöster und Kirchen. Unzählige Menschen aus der Region waren unter den Opfern des Völkermords an den Armenier:innen 1915. Die Ereignisse sind als „Seyfo“ oder „Sayfo“ (Syro-Aramäisch für „Schwert“) ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Schätzungen des UNHCR zufolge kamen beim jungtürkischen Völkermord zwischen 1915 und 1918 rund 750.000 Angehörige der Suryoye ums Leben. Später wanderten viele nach Europa und in die USA aus, so dass heute nur noch wenige tausende und vor allem ältere Suryoye im Tur Abdin leben.
Egîn ebenfalls auf Tentativliste
Die historische Stadt Egîn (tr. Kemaliye) in der nordkurdischen Provinz Ezirgan (Erzincan), ist ebenfalls in die Vorschlagsliste für zukünftige Nominierungen zur Aufnahme in die UNESCO-Liste aufgenommen worden. Egîn ist der kurdische Name für die ursprüngliche Bezeichnung Akn, was auf Armenisch Frühling bedeutet. Die Stadt wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts von Vasallen des armenischen Königs Seneqerim Johannes, dem letzten Herrscher des armenischen Großreiches Vaspurakan, gegründet. Bis zum Genozid an den christlichen Völkern im Osmanischen Reich hatte die armenisch-apostolische Gemeinde Akns zwei Kirchen und zwei Klöster.
Der „Dunkle Canyon“ in Egîn
Egîn ist bekannt für seine alten Holzhäuser, die wie Schwalbennester am Hang kleben. Darüber hinaus ist die Stadt für den „Dunklen Canyon“, der zu den fünf tiefsten der Welt zählt, berühmt. Eine Besonderheit ist die Steinstraße, die ursprünglich nur den über den Euphrat erreichbaren Ort an die Außenwelt anbinden sollte und mitten in die rund 600 Meter senkrecht abfallende Felswand oberhalb des Flusses gebaut wurde. Die Arbeit dauerte mehr als 130 Jahre und forderte viele Todesopfer. Erst 2002 wurde die einspurige, gut zwei Meter breite Sandpiste, die in der Hitliste der „gefährlichsten Straßen der Welt“ vermerkt ist, fertiggestellt.
Blick auf Egîn
Insgesamt befinden sich mit Egîn und den christlichen Gotteshäusern im Tur Abdin 85 Kulturdenkmäler auf der Tentativliste der Türkei.