Kafro – Ein aramäisches Dorf, das der Staatsdoktrin trotzte

Mitte der 90er Jahre wurde das aramäische Dorf Kafro im Tur Abdin bei Midyad vom türkischen Militär zwangsgeräumt. Nun ist der Ort wieder mit Leben beseelt.

In den 1990er Jahren, als der türkische Staat in Kurdistan eine Politik der Entvölkerung, Vertreibung und systematischer Vernichtung der Lebensgrundlagen betrieb, wurden mehr als 4.000 Dörfer vom Militär verbrannt. Eines davon war das aramäische Dorf Kafro. Laut mündlicher Überlieferung hat Kafro seinen Entstehungsursprung noch vor Christi Geburt. Der Ort liegt zwölf Kilometer nordwestlich von Midyad (Midyat, Provinz Mêrdîn/Mardin) auf einer steilen Anhöhe am Bagok im Tur-Abdin-Gebirge. Der „Berg der Gottesknechte“ war einst eines der wichtigsten Zentren des nahöstlichen Christentums und wurde vermutlich schon im 1. Jahrhundert christianisiert.  

Nach der Entstehung der türkischen Republik 1923 erhielt Kafro den offiziellen türkischen Namen Elbeğendi. Nach dieser Diskriminierung folgten weitere. Als Bestandteil des Tur Abdin war Kafro wie die ganze Region vom Schicksal der Ausbeutung betroffen, die Menschen dort wurden wie andere ethnische und religiöse Minderheiten auf dem Gebiet der Türkei Opfer der Staatsdoktrin „ein Staat, eine Sprache, eine Religion“. Dutzende sogenannte „Morde unbekannter Täter” an Aramäern, ausgeführt von offiziellen Staatsbediensteten und paramilitärischen Kräften, folgten. Die Repression und Assimilationspolitik trieb viele in die Flucht; inzwischen leben die Aramäer zu großen Teilen in der Diaspora, vor allem in Europa und in den USA. Die Bewohner von Kafro trieb es zumeist nach Deutschland, in die Schweiz und Schweden.

Mitte der 90er Jahre wurde Kafro zwangsgeräumt – 1995 verließen die letzten drei Familien das Dorf. Der Ort war dem Verfall preisgegeben, aber die Sehnsucht hat die Bewohner nie losgelassen. Ganz gleich, wo auf der Welt sie leben, hängen sie leidenschaftlich an ihrem Glauben und am Tur Abdin.

2002 gründeten Exil-Kafroer den „Entwicklungsverein Kafro“. Sein erklärtes Ziel: Den Ort wieder zu besiedeln und weiter zu entwickeln. Ermutigt auch durch die damalige EU-Perspektive der Türkei kehrten vier Jahre später die ersten Kafroer aus dem europäischen Raum in ihr Dorf zurück. Ihre Häuser waren zwar nicht mehr bewohnbar; aber sie bauten neue. Die typischen zweistöckigen Steinhäuser, deren Vorhöfe von einer Mauer abgegrenzt werden, erinnern an die Zeit vor der Flucht der Aramäer. Mittlerweile sind es rund 60 Familien, die nach Kafro zurückgekehrt sind. In den Sommermonaten kommen fast 200 Familien, um ihren Urlaub in dem Dorf zu verbringen. Seit 2006 ist Kafro wieder mit Leben beseelt.