Jiyan: Ausstellung in Silêmanî gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Mit der Ausstellung „Jiyan“ will die Vim-Stiftung in Silêmanî Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide in Südkurdistan schaffen.
Mit der Ausstellung „Jiyan“ will die Vim-Stiftung in Silêmanî Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide in Südkurdistan schaffen.
Geschlechtsspezifische Gewalt bestimmt in Südkurdistan noch immer den Alltag vieler Frauen und Mädchen. Vergewaltigungen, schwere Körperverletzung, sexualisierte Nötigungen, Belästigungen, Ausbeutungen, Missbrauch und Femizide – die Facetten geschlechtsspezifischer Gewalt sind groß und betreffen Frauen und Mädchen aller sozialen Schichten und jeden Alters. Nach den Zahlen der im südkurdischen Innenministerium eingerichteten Abteilung zur Verhütung von Gewalt an Frauen sind seit Januar 6.123 Gewaltfälle festgestellt worden. Mindestens zehn Frauen wurden in den ersten acht Monaten des Jahres von einem Mann ermordet, 39 weitere begingen Suizid. Die Zahl der registrierten Fälle von sexualisierter Gewalt für denselben Zeitraum beträgt 86. Frauenorganisationen gehen allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer der Frauenmorde in der kurdischen Autonomieregion weitaus höher liegt. Denn eine Anzahl im mittleren zweistelligen Bereich ist unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen, häufig durch Verbrennungen. Die Erfahrung zeige, dass Täter oft Szenen konstruieren, um Femizid als Selbstmord, Unfall oder natürlichen Tod aussehen zu lassen.
Um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen in Südkurdistan zu setzen und die Problematik der massiven Verletzungen von Frauenrechten ins Licht zu rücken, hat die in Silêmanî sitzende Vim-Stiftung eine Kampagne ins Leben gerufen: „Jiyan“ (Leben). Einerseits soll mit dieser gezielten Initiative Aufmerksamkeit für alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt geschaffen werden. Andererseits will Vim der Gesellschaft und Politik vor Augen führen, dass sie viel zu wenig für Gewaltschutz und Prävention tun. Geschlechtsspezifische Gewalt sei ein gesellschaftliches Problem und müsse aus der Tabuzone geholt und sichtbar gemacht werden. Dazu wurde am Samstag in den Räumlichkeiten der Stiftung eine Ausstellung eröffnet, die ebenfalls den Namen Jiyan trägt.
Die Ausstellung wird in den Stiftungsräumen hinter dem Dayik-Park gezeigt
Ein wichtiger Teil der Ausstellung sind berührende und zugleich erschreckende Frauenskulpturen, die das Bewusstsein für die Qualen und das Grauen schärfen soll, die Frauen in Südkurdistan erleiden oder „im Namen der Ehre” aushalten müssen. Begleitende Aufnahmen erzählen die Geschichten von Frauen, die Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt wurden oder Selbstmord begangen haben.
Kritik an Regierungen in Hewlêr und Bagdad bei Podiumsdiskussion
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde festgehalten, dass geschlechtsspezifische Gewalt und das Desinteresse der Parlamente in Hewlêr und Bagdad an gleichstellungspolitischen Themen die Resultate „patriarchalen Denkens und Handeln” seien. Täglich zeige sich in ihrer Arbeit, dass es sowohl am politischen Willen als auch an ausreichend finanziellen Mitteln für die nötigen Maßnahmen gegen Gewalt und zugunsten der Betroffenen fehle, sagte die Rechtsanwältin Shokhan Hama Rashid Ahmed von WOLA (Women’s Legal Assistance Organization), die wohl aktivste Frauenrechtsorganisation in Silêmanî.
Die Geschichten der Frauen sind auch auf ihren Kleidern zu lesen
Hunderte Männer wegen Gewalttaten an Frauen auf der Flucht
Damit würden die südkurdische Autonomieregion und die irakische Zentralregierung eine Mitverantwortung an den Gewaltsituationen tragen. Mangelnde Koordinierung bezüglich rechtlichen und praktischen Maßnahmen für echten Opferschutz zugunsten aller Gewaltbetroffenen, an nachhaltiger Prävention und vor allem gerechter Strafverfolgung steigere die geschlechtsspezifische Gewalt in der Region. Laut Ahmed würden derzeit mindestens 360 Männer aus Südkurdistan wegen Gewalttaten an Frauen per Haftbefehl gesucht. Doch weil sich die männerdominierte Politik vor frauenpolitischen Themen verschließe, seien sie noch immer auf freiem Fuß.
Khabat Naji Nuri (3. v. l.), Leiter der städtischen Friedhofsabteilung, beklagte bei der Podiumsdiskussion, dass die Gräber von Femizid-Opfern nicht besucht würden. Rechts von ihm: Shokhan Hama Rashid Ahmed
Dokumentarfilm „Friedhof der Namenlosen“ gezeigt
Zur Eröffnung der Ausstellung wurde auch der Dokumentarfilm „Friedhof der Namenlosen“ gezeigt. Die Ruhestätte befindet sich im Süden von Silêmanî, am Hang des Seywan-Gipfels, und ist auch als „Friedhof der Frauen“ bekannt. Rund 2.000 Frauen, viele von ihren Familien verstoßen und damit ihrer Identität beraubt, liegen dort begraben. Die meisten wurden von Männern ermordet oder in den Suizid getrieben. Auf ihren Grabsteinen finden sich lediglich Ziffern und das Wort „weiblich“.
Eine Szene aus der Dokumentation „Friedhof der Namenlosen“
Die Stiftung Vim
Die Stiftung Vim, die es seit 2019 gibt, sich für soziale, gesellschaftspolitische, umweltrelevante und tierrechtliche Zwecke ein. Zu den Themenfeldern gehören in erster Linie vielfältige Bemühungen zur Stärkung der irakischen und kurdischen Bevölkerung. „Unser erstes Ziel ist es, die Gesellschaft durch die Verbreitung von Bewusstsein und Innovation bei der Bewältigung von Problemen, die unsere Gemeinschaften betreffen, entscheidend zu verändern und in eine positive Richtung zu lenken, um Ruhe, Verbesserungen und Stabilität zu erreichen”, heißt es in der Selbstdarstellung. „Für Mensch und Umwelt″ gehört zu den Leitsprüchen der Stiftung, die mit Gendergerechtigkeit den Klima- und Tierschutz voranbringen will.