Die unter dem Dach der Initiative Demokratischer Konföderalismus (IDK) organisierten monatlichen Veranstaltungen „Dialoge mit Öcalan“ im Berliner Café Morgenrot gehören inzwischen zu den festen Terminen vieler Unterstützender des kurdischen Widerstands. Das Interesse am politischen Denken Abdullah Öcalans ist groß, auch bei Menschen, die sich vorher noch nie damit befasst haben.
Diese Woche folgten 45 Interessierte dem Vortrag eines muslimischen Geistlichen, der Religion und Glaube von ihrer Entstehung und in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bis zur Gegenwart analysierte, immer bezugnehmend auf die Schriften von Abdullah Öcalan.
Der Nahe Osten ist die Geburtsstätte vieler Weltreligionen wie dem Judentum, dem Christentum, dem Islam und vielen anderen. Und bis heute spielen Religion und Glaube im Nahen Osten eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Das alltägliche Leben ist eng mit religiösen Vorstellungen verbunden und jede politische Bewegung, die gesellschaftliche Entwicklungen mit gestalten will, muss sich mit den Fragen von Glaube und Religion beschäftigen.
Abdullah Öcalan wirft einen differenzierten Blick auf das Thema. Den Ursprung der Vorstellung von Göttlichkeit verortet er in der Heiligsprechung der gesellschaftlichen Existenz an sich. Aus den mythologischen Glaubenssystemen bildeten sich die ersten Religionen, bis hin zu den monotheistischen Weltreligionen. Diese Entwicklungen von Glaubenssystemen und Religionen ordnet Öcalan in die Entwicklung von Herrschaft, Macht und Patriarchat ein. Genauso analysiert er die Bedeutung von Religion und Glaube für den Widerstand einer freien und demokratischen Gesellschaft.
„Die Religion ist größtenteils moralischer Widerstand“ – Abdullah Öcalan
In dem Moment, in dem sich Macht und Staat innerhalb der Gesellschaft institutionalisierten, wurden die Attribute der Heiligkeit und Göttlichkeit der gesamten Gesellschaft entzogen und jenen zugesprochen, die Macht und Staat besaßen. Laut Öcalan weist die Entwicklung der Religionen im Lauf der Zivilisationsgeschichte einen Doppelcharakter auf: Zum einen waren Religion und Gott mit den Begriffen Angst, Bestrafung, Krieg und Unterdrückung aufgeladen. Zum anderen aber sind Religion und Gottesidentitäten in der moralisch-politischen Gesellschaft genauso sehr mit den Begriffen Mut, Verzeihung, Hoffnung, Friede und Liebe verbunden. Somit spielen Glaube und Religion auch im Aufbau des ‚Demokratischen Konföderalismus‘ eine wichtige Rolle.
Glaube und Religion sind also Teil der Gesellschaft und werden entwickelt und gelebt im Austausch der Menschen untereinander. Sie sind eine gesellschaftliche Kraft, die in Geschichte und Gegenwart immer wieder Gefahr lief und läuft von den Herrschenden benutzt zu werden, um Menschen zu manipulieren und zu beherrschen.
Am Beispiel der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) wird deutlich, dass Religion und Glaube aus politischen Machtspielen herausgelöst werden können und ein gleichberechtigtes multireligiöses Miteinander möglich ist, wenn die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen dafür geschaffen werden.
Die Fragen des Publikums drehten sich um das Verhältnis zwischen Demokratie und Religion, die Rolle der Frau im Islam, die Rolle der Religion in der deutschen Gesellschaft und die Beziehung zwischen Nationalstaat und Religion. Über diese Themen wurde unter anderem auch noch nach dem Vortrag in kleinen Gruppen und am Büchertisch diskutiert.
„Die ökologische Krise – Der Demokratische Konföderalismus als Lösungsansatz“
Die Analysen Öcalans haben beim Publikum Interesse an der Auseinandersetzung mit Glaube und Religion geweckt, auch konkret bezogen auf unsere Gesellschaft in Deutschland. Am 6. Februar 2023 diskutieren wir um 19 Uhr zum Thema „Die ökologische Krise – Der Demokratische Konföderalismus als Lösungsansatz“, wieder im Café Morgenrot, Kastanienallee 85, 10435 Berlin.