Im Januar findet im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien die erste international ausgerichtete interreligiöse Konferenz statt. Die Vorbereitungen für das Symposium, das vom 10. und 11. Januar in Qamişlo durchgeführt wird, liegen in der Hand des Zentrums für zivile Diplomatie und der Union der Religionen und Glaubensgemeinschaften Mesopotamiens. Zu diesem Anlass besuchte ANF vier Mitglieder des Verbands, um in der „Akademîya Islama Demokratîk“ über das Zusammenleben und die Zusammenarbeit der verschiedenen Glaubensgemeinschaften im Gebiet der demokratischen Selbstverwaltung zu sprechen.
Das Miteinander der Religionen heute in Nord- und Ostsyrien ist das Ergebnis eines Bewusstseinsprozesses, getragen von der Idee des gleichberechtigten multiethnischen und multireligiösen Zusammenlebens in einer demokratischen Gesellschaft. Unter dem Assad-Regime, also vor der Revolution im Juli 2012, wurde das vorurteilsbehaftete Gegeneinander der Religionen befördert. In Syrien war der Islam die staatstragende Religion, andere Religionen und Glaubensgemeinschaften wurden nur geduldet oder unter Druck zur Aufgabe ihres Glaubens gezwungen, etwa wie im Fall der Ezid:innen.
Ezidinnen und Eziden waren unter dem Regime rechtlos
„Für uns Ezid:innen war die Gesellschaft verschlossen. Wir waren rechtlos und mussten um unsere Existenz kämpfen“, sagt Şêx Jubair Jetto, ein Vertreter der ezidischen Gemeinschaft. „Es war nicht möglich ein ezidisches Zentrum zu eröffnen, uns als Gemeinde zu organisieren. Doch mittlerweile nehmen wir einen sichtbaren Platz in der Gesellschaft und in der Politik ein. Denn wir wollen Teil dieser Gesellschaft sein. Die Flüchtlinge vor dem IS-Genozid wurden in Rojava von vielen Familien aufgenommen. So kam auch das Wissen über die ezidische Religion in die Häuser hier“, formuliert es der ezidische Geistliche.
Das Logo der Religionskonferenz
In dem Gespräch wird immer wieder die Bedeutung von Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe betont, die sich auch in der gemeinsamen Unterstützung von Binnenflüchtlingen, die der Krieg und die Besatzung durch die Türkei und ihrer dschihadistischen Söldnertruppen aus ihren Städten und Dörfern vertrieben hat, zeigt. Unter dem Deckmantel „Islam“ wurde und wird heute Krieg gegen die Bevölkerung geführt. „Nach dem Sieg über den IS kamen viele Kurd:innen nicht mehr in die Moschee, denn mit diesem Denken wollten sie nicht in Verbindung gebracht werden“, erinnert sich Şêx Mihemed Xerzan, Ko-Vorsitzender des Demokratischen Islam-Kongress. Für ihn ist besonders wichtig, das Bewusstsein und die Praxis eines demokratischen Islams in die Moscheen und Gemeinden zu tragen und damit das trennende Gedankengut aus den Köpfen zu entfernen. Für Şêx Ebdul Rahman Badarkhan, Ko-Vorsitzender des Vorbereitungskomitees, ist dies ebenfalls eines der wichtigsten Anliegen.
Selbstverwaltung gibt allen Religionen gleichen Stellenwert
Die Selbstverwaltung hier gibt allen Religionen und Glaubensgemeinschaften den gleichen Stellenwert in der Gesellschaft. Dazu gehört, dass sie den Aufbau christlicher Schulen mit eigenen Curricula der verschiedenen Kirchen in der Region unterstützt. Auch Hanna Soumi, Vorsitzender der Fakultät für christliche Religion an der Rojava-Universität, formuliert es immer wieder: „Wir schaffen es, die Trennung aus Regimezeiten abzuschaffen und unsere Zusammenarbeit neu aufzubauen. Religiöse Freiheit ist die Grundlage dafür.“
Wie entstand die Idee, zu einer internationalen interreligiösen Konferenz einzuladen? Die Menschen in dieser Region haben sehr unter den Trennungen zwischen den Religionen gelitten, haben Diskriminierung und Krieg unter dem Deckmantel der Religion durchlebt. Das neu geschaffene Miteinander in einer jetzt demokratischen Gesellschaft ist wenig bekannt in der Welt. Diese Erfahrungen und dieses Wissen werden Thema der Konferenz sein. Die Einladungen wurden international an Kirchen, Vertreter:innen von Glaubensgemeinschaften und Wissenschaftler:innen verschickt und stoßen auf großes Interesse.
Frieden für die Menschen in Nord- und Ostsyrien
Auch die ständigen Angriffe der Türkei und die Drohung einer weiteren Invasion halten die Vorbereitungen nicht auf. Aber angesichts dieser ständigen Bedrohung ist der Wunsch aller Gesprächspartner mehr als nachvollziehbar: Frieden für die Menschen hier, Unterstützung im Kampf gegen den wiedererstarkenden IS, keine Unterstützung der aggressiven türkischen Politik, denn: „Die türkische Regierung akzeptiert keine religiöse und ethnische Vielfalt. Es geht ihr um die Vernichtung ethnischer und religiöser Minderheiten, sowohl in der Türkei als auch in Syrien. Unsere Botschaft ist Akzeptanz. Denn Religion hat viele Farben.“