Qamişlo ist eine der größten, politisch und administrativ gesehen auch eine der wichtigsten Städte der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Das Stadtbild wird geprägt von vielen Kommunen und Zentren der lokalen Selbstverwaltung, den Komingehs, in denen sich die Menschen mit ihren unterschiedlichen religiösen und ethnischen Identitäten selbst organisieren.
Die Ko-Vorsitzenden des Volksrats von Qamişlo, Hizna Ramo und Sileman Ebubekir, haben im ANF-Gespräch von ihrer Stadt und den aufgebauten Strukturen berichtet.
Die Bevölkerung von Qamişlo
Qamişlo hat nach Angaben der Stadtverwaltung etwa 750.000 Einwohner:innen. In der Stadt leben Kurd:innen, Araber:innen, Aramäer:innen, Chaldäer:innen, Armenier:innen und Mhallami. Die Bevölkerung ist auch religiös sehr divers. Die verbreitetste religiöse Orientierung in der Stadt ist der sunnitsche Islam, es gibt jedoch auch syrisch-orthodoxe, katholische und andere Christ:innen. Darüber hinaus leben in der Stadt Ezid:innen, die aus dem Umland der Städte Amûdê und Tirbespî nach Qamişlo gezogen sind. Früher gab es auch eine jüdische Gemeinde in der Stadt, diese hat den Markt in Qamişlo gegründet. In den 30er Jahren lebten noch etwa 3.000 Jüd:innen in der Stadt, die meisten sind jedoch nach der Staatsgründung Israels und dem Exodus der Juden aus Syrien ausgewandert. Die Bevölkerungsmehrheit ist kurdisch. Die meisten Kurd:innen sind aus den umliegenden Dörfern in die Stadt gezogen. Die arabische Bevölkerung ist durch die Politik des sogenannten arabischen Gürtels ab 1974 in Qamişlo angesiedelt worden oder nach Kriegsausbruch aus anderen Regionen in Syrien in das stabile Rojava geflohen.
Nach der Grenzziehung zwischen Nord- und Westkurdistan gegründet
Qamişlo ist als Stadt relativ jung. Die Stadt wurde nach der Grenzziehung zwischen Nord- und Westkurdistan von der französischen Mandatsmacht in Syrien im Jahre 1926 gegründet. Der Stadtkern ist der Bezirk Qudurbeg. Dort wurde 1923 das erste Haus von einem gleichnamigen Mann erbaut, der nach der Staatsgründung der Türkei aus Nisêbîn (tr. Nusaybin) nach Qamişlo migriert ist. Neben diesem Bezirk gehört zur Innenstadt auch Bişêriyê-Aşûriyê, wo der größte Teil des Marktes von Qamişlo liegt. In beide Bezirke sind viele Menschen aus Nisêbîn und der gesamten Provinz Mêrdîn (Mardin), eingewandert. Während sich in Qudurbeg vor allem Kurden und Mhallami angesiedelt haben, sind in den Bezirk Bişêriyê-Aşûriyê eher Christen wie Aramäer, Chaldäer und Armenier sowie Juden aus Merdîn gezogen. Einige der heutigen Außenbezirke und Stadtteile waren vor hunderten Jahren kurdische Dörfer, Beispiele dafür sind Heliliye, Enteriyê, Jirnekê und Hilko.
Qamişlo veränderte sich mit Revolution
Die Stadt Qamişlo hat nach der Revolution von Rojava eine große Veränderung durchgemacht. Während die Stadt nach Angaben des syrischen Regimes im Jahr 2004 184,231 Einwohner:innen zählte, hat sich die Anzahl inzwischen ungefähr vervierfacht. Auch die Gebäude haben sich verändert. Reihen- und Einfamilienhäuser sind im Stadtzentrum drei- bis vierstöckigen Apartmenthäusern gewichen und die Anzahl der Autos in der Stadt hat deutlich zugenommen.
Zu Kriegsbeginn sind tausende Kurd:innen, aber vor allem Araber:innen aus allen Teilen Syriens in die Stadt geflüchtet, weil sie sich dort sicherer fühlten. Nach den türkischen Invasionen in Efrîn, Serekanîyê und Girê Spî sind viele weitere Menschen nach Qamişlo geflohen.
Auch wenn in einigen wenigen Vierteln das syrische Regime immer noch präsent ist, ist das Stadtbild selbst von Kommunen und Räten geprägt. Die Mehrheit der Einwohner:innen beteiligt sich an diesen Strukturen und bestimmt somit die Veränderungen und Entscheidungen, die für ihre Umgebung getroffen werden, direkt mit.
Über 120 Kommunen in Qamişlo
Die Stadtverwaltung und der Volksrat von Qamişlo teilen die Stadt in sieben administrative Bezirke, die wiederum in Stadtteile und Viertel aufgeteilt werden. Von diesen sieben Bezirken sind vier im Osten der Stadt: Enteriyê, Taxa Cûdî (alter Name Qanat Swês), Qudûrbeg und Bişêriyê-Aşûriyê. Im Westen liegen die drei Bezirke Xerbî (Westen), Kornîş und Helîlîye. In den Stadtteilen gibt es laut Angaben der Ko-Vorsitzenden des Volksrates von Qamişlo ungefähr 120 Kommunen und 39 Komingehs, ein Zusammenschluss von drei bis vier Kommunen. Außerdem sind die Kleinstädte Girbawî mit 38 Kommunen und Tênurîyê mit 15 Kommunen an den Rat von Qamişlo angebunden. In den Kommunen sind jeweils zwischen 150 bis zu 3000 Menschen vertreten. Die Zahlen ändern sich, weil die Viertel anders aufgebaut sind. In einigen gibt es mehrstöckige Apartments, in anderen sind es eher einstöckige Häuser.
Die Struktur der Kommunen
In den Kommunen gibt es Kommissionen für verschiedene Arbeitsbereiche wie Wirtschaft, Sicherheit, Gesundheit, Kultur und Konfliktschlichtung, aber auch zivilgesellschaftliche Organisierungen wie die Vertretung der Familien der Gefallenen. In allen Gremien gilt das Prinzip der genderparitätischen Doppelspitze, außerdem gibt es Frauenkommissionen. Bei Bedarf können die Kommunen auch weitere Kommissionen gründen. Die Kommissionen der Kommunen sind auch auf der Ebene des Volksrates, der Stadt, des Kantons, der Region und dem gesamten selbstverwalteten Gebiet in Nordostsyrien vertreten. Wenn Probleme in den Kommunen nicht gelöst werden können, wird es an die zuständigen Kommissionen auf der höheren Ebene weitergegeben. Da die Mitglieder der jeweiligen Stadt- und Kantonsräte selbst aus den Kommunen kommen, ist die Beziehung auf Augenhöhe. Dieses Verhältnis zwischen oben und unteren Organen ist also gleichzeitig ein waagerechtes System, das sich von der Kommune über den Volksrat bis zum höchsten Rat von ganz Nord- und Ostsyrien erstreckt.
Kommunen arbeiten in der Stadtverwaltung
Die Kommunen und die Räte arbeiten gleichzeitig eng mit der Stadtverwaltung zusammen. Mitglieder der Räte sind in Verwaltungsgremien aktiv, in Qamişlo sind elf Mitglieder des Volksrats in der Stadtverwaltung vertreten. Der Volksrat von Qamişlo selbst besteht aus Mitgliedern von Kommunen aus allen Bezirken. Je nach Größe der Bezirke werden von den Kommunen mindestens drei Delegierte in den Volksrat entsandt. In den Stadträten gibt es Quoten für alle Ethnien und religiöse Gemeinschaften, die nach Größe der jeweiligen Bevölkerungsgruppen berechnet werden. Die Verteilung im Volksrat sieht ebenso aus.
Alle Kommunen haben einmal im Monat Versammlungen und schreiben Berichte, die sie dem Volksrat der Stadt übergeben. Dieser wertet die Berichte auf seiner Versammlung aus, verfasst einen eigenen Bericht und leitet ihn an den Rat auf der nächsten Ebene Rat weiter. So werden Probleme von der Kommune bis hin zum Rat von Nord- und Ostsyrien abgebildet. Wöchentlich finden Lagebesprechungen für akute Probleme statt. In den monatlichen Versammlungen wird ebenfalls an Lösungen für die Probleme der Kommunen gearbeitet. Die Bevölkerung kann sich mit ihren Anliegen direkt an die Kommunen wenden. Die Kommunen sind über den Volksrat mit verschiedensten Einrichtungen in der Stadt verbunden und daher in der Lage, effektiv an der Lösung von Problemen zu arbeiten.
Die Ko-Vorsitzenden des Volksrats von Qamişlo, Hizna Ramo und Sileman Ebubekir, betonen, dass das System der Selbstverwaltung auf dem Demokratischen Konföderalismus basiert und dieses Modell ein Lösungsmodell jenseits von identitären, monistischen Nationalstaaten für den gesamten Nahen und Mittleren Osten darstellt. Dieses System sei durch die Arbeit und die Ideologie von Abdullah Öcalan und die Opfer der Gefallenen verwirklicht worden.