„Jin Jiyan Azadî“ im politischen Montagssalon „Dialoge mit Öcalan“
Zur sechsten Veranstaltung der Reihe „Dialoge mit Öcalan“ im Café Morgenrot in Berlin kamen etwa 60 Gäste, um sich mit dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ auseinanderzusetzen.
Zur sechsten Veranstaltung der Reihe „Dialoge mit Öcalan“ im Café Morgenrot in Berlin kamen etwa 60 Gäste, um sich mit dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ auseinanderzusetzen.
Etwa 60 Gäste kamen im Berliner Café Morgenrot zum politischen Montagssalon der von der „Initiative Demokratischer Konföderalismus“ (IDK) initiierten Veranstaltungsreihe „Dialoge mit Öcalan“ zusammen, um sich mit dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) auseinanderzusetzen. Wie die Moderatorin des Salons einleitete, sei die aktuelle politische Lage bedrückend. Umso wichtiger sei es, eine Veranstaltung mit dem Titel „Jin Jiyan Azadi“ zu machen und damit auch zu sehen, wie viel Aufbau es gibt. Aber wie kam es zu diesem Slogan? Mit dieser Frage eröffnete die Referentin Solin ihren Vortrag und zitierte Abdullah Öcalan mit einem bedeutenden Satz: „Dieses Jahrhundert wird das Jahrhundert der Frauenbefreiung sein.“
„Wo hat die Frau verloren?“
„Damit dies auch geschehen wird, ist es wichtig, die Geschichte zu betrachten. Vor allem die, die nicht geschrieben wurde, nämlich die der Versklavung der Frau“, so Solin. Eben diese Geschichte ergründe die Jineolojî, also die Wissenschaft der Frau und des Lebens, denn in einer patriarchalen Gesellschaft werde die Geschichte nun mal aus einer männlichen Perspektive betrachtet. „Woher kommen wir? Wo wollen wir hin? Wo haben wir etwas verloren? Wo hat die Frau verloren?“ Das seien die Fragen, die erforscht und diskutiert werden sollten. Sie gelten der kurdischen Gesellschaft auch für die eigene Identität, die ihr 1923 durch die Aufteilung auf die vier Nationalstaaten Iran, Irak, Syrien und Türkei genommen wurde, und welche nach wie vor unterdrückt wird, betonte Solin. Abdullah Öcalan sei es gewesen, der den Kurdinnen und Kurden das Bewusstsein ihrer Identität zurückgab, indem er mit einigen Genossinnen und Genossen nach Amed (tr. Diyarbakir) und in die Dörfer ging, wo die Menschen noch näher an einer „natürlichen Gesellschaft“ lebten und wo er Hoffnung auf ein befreites Leben stiftete.
Wie Öcalan es sagt: „Hoffnung ist mehr wert als Sieg“
Frauen, beschrieb Solin weiter, schienen von Anfang an eine bedeutende Rolle für Öcalan zu haben. Bereits in der Kindheit soll er Widersprüche mit der patriarchalen kurdischen Gesellschaft empfunden haben. So setzte er die Befreiung der Frau ins Zentrum des kurdischen Freiheitskampfes. Organisierte Frauen gab es zum Zeitpunkt der Parteigründung schon, jedoch war Sakine „Sara“ Cansız, die im Januar 2013 zusammen mit zwei weiteren Revolutionärinnen von einem türkischen Attentäter in Paris ermordet wurde, die erste Frau, die sich anschloss. Bis heute besäße ihre Person und Lebensgeschichte große symbolische Bedeutung, sagte Solin. Dies führte die Referentin zu der Frage, der sich alle stellen müssten: „Wie viel bin ich bereit für die Revolution zu geben?“
Als nächstes ging es um die Anfänge der kurdischen Frauenbewegung. Etwa wie sogenannte „revolutionäre Ehen“ aufkamen, in denen Frauen einen Genossen heirateten, um dann doch wieder wie auch in der Familie Grenzen gesetzt zu bekommen, und wie Frauen daraufhin begannen, sich der Guerilla anzuschließen. Dort strebten sie danach, auch physisch ebenbürtig zu sein, bis Öcalan intervenierte und mahnte, sie sollten sich selbst finden, anstatt werden zu wollen wie der Mann, und eine autonome, eigene militärische Fraueneinheit vorschlug. Dort waren sie nun auf sich selbst gestellt und ihre Auseinandersetzung mit ihrer Identität und Kraft als Frau wurde auch mit den Perspektiven Abdullah Öcalans immer stärker.
Die Frage, wie ein anderes Zusammenleben mit Männern möglich sein kann, kam auf, berichtete Solin. „Was ist eigentlich Männlichkeit?“ stand dabei im Zentrum, wobei Männer ebenfalls ratlos waren, da sie sich nie damit auseinandergesetzt hatten.
Jin Jiyan Azadî als Lebensphilosophie für Europa
„Die Parole ‚Jin Jiyan Azadî‘ kann einfach so gerufen werden, aber lebe ich das? Das müssen wir reflektieren.“ Damit kam der Vortrag allmählich zu einem Abschluss. Der Slogan könne auch eine Lebensphilosophie für Europa sein, wobei er sich gegen positivistisches Denken richte. Dafür müssten sich alle vom Kapitalismus befreien. Die Referentin ging an dieser Stelle noch einmal knapp auf die fünf Prinzipien der Frauenbefreiungsideologie ein und beendete ihren Vortrag mit einem Verweis auf die momentane Situation der Ungewissheit über Abdullah Öcalans Gesundheitszustand und die Verpflichtung des CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter), dies zu überprüfen. In der anschließenden lebendigen Diskussion war die Verwendung des Begriffs Frau und männliche und weibliche Mentalität, insbesondere in Bezug auf die unterschiedlichen Realitäten in westlichen europäischen Gesellschaften und der kurdischen ein Hauptthema. Auch über die metaphorische Wendung „den Mann in sich töten“ wurde sich rege ausgetauscht.