Das waren die 10. Kurdischen Kulturtage in Nürnberg

Gestern gingen die 10. Kurdischen Kulturtage in Nürnberg zu Ende. Sie haben bewiesen: Trotz aller Ignoranz, trotz aller Stigmatisierung der Kurd*innen ist auch in Deutschland ein Dialog möglich und nötig.

Gestern gingen die 10. Kurdischen Kulturtage in Nürnberg zu Ende. Sie haben bewiesen: Trotz aller Ignoranz, trotz aller Stigmatisierung der Kurd*innen ist auch in Deutschland ein Dialog möglich und nötig. Die Mischung der Angebote und die Vermittlung sind dabei der Schlüssel zum Erfolg. Eine selbstbewusste Darstellung verschiedener Aspekte der reichen Kultur, des ‚Kurdisch-Seins‘, geht Hand in Hand mit Diskussion und Austausch über aktuelle Aspekte der sogenannten ‚kurdischen Frage‘.

Dass die Kurdischen Kulturtage zum 10. Mal mit Unterstützung durch das Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg in städtischen Räumen stattfinden konnten, ist für sich schon ein Zeichen der Wertschätzung der mehr als 10.000 Kurd*innen in Mittelfranken. Dabei lassen sich die Organisatoren des Festivals nicht reduzieren auf ‚ein bisschen Folklore‘, sondern machen klar: Jeder Tanz, jedes Musikstück ist Ausdruck kurdischer Identität, immer verwoben mit der Forderung nach Anerkennung der Existenz und dem Recht der kurdischen Bewegung auf Freiheit und Selbstbestimmung.

Das Zusammenspiel von Kultur und politischen Inhalten der Bewegung wurde deutlich an den vielen Bausteinen rund um das Festival: Gewidmet waren die diesjährigen Kulturtage Leyla Güven, der Initiatorin der Massenhungerstreiks mit der Forderung nach Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan. Im Programmheft kann man die Begründung nachlesen:

„Der Name der Hoffnung in der kurdischen Geschichte heißt Leyla.

Leyla, das ist die wehende Fahne auf den Bergen eines leidenden Volkes.

Leyla, das ist der kraftvolle Schrei nach Freiheit in der Finsternis der Gefängnisse der Besatzer.

Leyla zeigt uns wie ein leuchtendes Feuer den Weg zur Freiheit und Geschwisterlichkeit.“

Am Büchertisch mit diversen Zeitschriften und Werken von Abdullah Öcalan, des Vordenkers der Bewegung, konnten sich Besucher*innen informieren und mit Lektüre eindecken.

Eine Fotoausstellung mit berührenden Bildern der französischen Fotojournalistin Laurence Grangien von Menschen in Rojava und den Camps in Nordsyrien dokumentierte nicht nur das Leid der Menschen, sondern auch ihre Stärke und Würde.

Im „Schwarzen Zelt“ („Konê Reş“) lernten die Gäste das Leben der Nomaden kennen und konnten sich vom Alltag auf den kurdischen Hochalmen erzählen lassen. Vorgestellt und mit einem Infotisch vertreten war auch der in Nürnberg neu gegründete Verein „Städtefreundschaft Nürnberg-Kanton Efrîn“. Dabei geht es um den Aufbau einer Entwicklungszusammenarbeit mit Projekten und Aktivitäten zwischen der Stadt Nürnberg und Efrîn.

Wichtiger Bestandteil des viertägigen Festivals ist immer auch das reichhaltige kurdische Buffet – kollektiv organisiert vom Frauen-Komitee des Medya Volkshauses.

Ganz besonders freute sich das Publikum, als Şiyar Xelil die Bühne betrat. Er begann im Januar in Nürnberg seinen Hungerstreik und setzte ihn dann mit anderen Aktivisten in Berlin fort. Seine Botschaft endete unter großem Applaus mit „Bijî Serok Apo – Berxwedan Jiyan ê!“ (deutsch: Es lebe Apo - Widerstand ist Leben). 

Zum Erfolg und der Demonstration eines Miteinanders beigetragen haben nicht zuletzt die vielen Besucher*innen, vom Kleinkind bis zum Greis. Sie mögen viele Staatsangehörigkeiten haben, aber alle verbindet eine jederzeit spürbare „Geschwisterlichkeit“. Es ist die Gewissheit, dass Solidarität, Respekt und der gemeinsame Glaube an die Perspektiven der Freiheitsbewegung Grenzen überwinden –  trotz unterschiedlicher Sprachen, Herkunft, Alter oder Geschlecht.

Auch die Grußworte bei der Eröffnungsgala wiesen in diese Richtung. Es waren durchwegs aufmunternde Worte an die Freiheitsbewegung von Vertreter*innen verschiedener Parteien und Organisationen. Am deutlichsten hat es die Interventionistische Linke (iL) formuliert mit der Forderung, endlich die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung zu beenden: „Wir sagen schon lange: Schluss mit dem Verbot der PKK! Wie wir alle wissen, sitzen die Terroristen in Ankara. Sie müssen weg. Und wer dem Sultan vom Bosporus Waffen liefert, die in Kurdistan zum Völkermord beitragen, den greifen wir hier an. Deshalb laden wir euch ein, mitzumachen bei unserer Kampagne ‚Krieg beginnt hier - Rheinmetall entwaffnen‘. Lasst uns auch weiterhin gemeinsam diskutieren, gemeinsam kämpfen - gegen den Faschismus, gegen das Patriarchat und für eine demokratische, friedliche Welt!“

Der Filmtag mit Eva Hussons Girls of the Sun‘  bot viel Gelegenheit zu Diskussionen. Bei den Festspielen in Cannes 2018 wurde dieser Film bejubelt als erster ‚feministischer‘ Kriegsfilm – von einer Regisseurin gedreht, mit ausschließlich weiblichen Protagonistinnen. Es geht darin um den Angriff des sogenannten IS auf Şengal im Jahr 2014 und den Kampf einer Frauenbrigade. Schnell gerieten die Zuschauer*innen in den Bann der starken Bilder. Danach stellten sich viele Fragen: Gibt diese Anführerin der Miliz tatsächlich den Geist der sich selbst verteidigenden und um Freiheit ringenden Frauen wider? Wie glaubwürdig ist das Mantra ‚Jin, Jiyan, Azadi‘, wenn die Motivation zum Kampf hauptsächlich in der individuellen Rache für die Ermordung der Angehörigen und der Verschleppung des Sohnes liegt? Kann das alte Bild der Opferbereitschaft von Frauen durchbrochen werden, wenn sie letztlich „nur“ um ihre Familien kämpfen? Entspricht die Erschießung eines IS-Gefangenen wirklich dem Selbstbild der kurdischen Milizen? Gerade aber diese Brüche boten Anlass zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Bild kurdischer Kämpferinnen, das in westlichen Medien leider viel zu oft reduziert dargestellt wird.

Bei der Podiumsdiskussion am Freitag Abend mit den Journalisten Ferda Çetin und Ahmet Nesin sowie dem per Skype zugeschalteten Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft Martin Dolzer (PdL) zu „Menschenrechten, Freiheit und Demokratie im Mittleren Osten“ wurden viele Aspekte der ‚kurdischen Frage‘ angesprochen. Angesichts der Komplexität war dies nicht einfach für die Soziologin Nihal Bayram, die als Moderatorin  geschickt die verschiedenen Stränge miteinander verband.

Zunächst betonte Martin Dolzer die fortwährenden Verletzungen des Völkerrechts und die Kriegsverbrechen durch den türkischen Staat und kritisierte die schweigende Duldung durch EU und Deutschland. Er machte deutlich, dass der Druck auf das türkische Regime erhöht werden müsse. Der Freiheitsbewegung gratulierte Martin Dolzer zum Erfolg des Hungerstreiks und ging auf die Rolle des Repräsentanten Abdullah Öcalan ein. Nur mit ihm sei Demokratisierung und ein Frieden im Nahen Osten möglich.

Ahmet Nesin meinte, nach 40 Jahren Kampf der PKK werde das Thema „Kurdistan“ längst international diskutiert. Er forderte, die Geschichte im Nahen Osten und in der Türkei müsse neu geschrieben werden.

Ferda Çetin wies auf das Paradoxon hin, dass die kurdische Bewegung zwar in der Anti-IS-Koalition kämpft, von internationalen Verhandlungen aber ausgeschlossen wird. Vor allem Deutschland stellt sich mit der Kriminalisierung der Freiheitsbewegung, dem Verbot der Fahnen und Schließung kurdischer Verlags an die Seite des türkischen Staates, wohl wissend, dass dieser mit den Dschihadisten gemeinsame Sache macht.

Schließlich grenzte Nihal Bayram das weite Thema auf die drängendsten Fragen ein: Wie kann eine Demokratisierung der Türkei erreicht werden? Ferda Çetins Antwort dazu: Nur durch eine breite gesellschaftliche Organisierung. Wie kann das „Modell Rojava“ übertragen werden? Ahmet Nesin verwies auf das Osmanische Reich, in dem ein Zusammenleben verschiedener Völker auch funktioniert hat. Ferda Cetin ergänzte, das Konzept des demokratischen Konföderalismus sei internationalistisch. Radikale Demokratie, Frauenbefreiung, Ökologie seien Grundwerte aller Gesellschaften – oder sollten es sein. Mit Blick auf Europa müssten die Kämpfe für diese gemeinsamen Werte noch viel mehr verbunden werden. Auch dem erstarkenden Nationalismus und Rassismus könne am besten begegnet werden, wenn sich die kurdische Freiheitsbewegung und die radikale Linke mehr aufeinander beziehen, voneinander lernen und miteinander kämpfen.

In der Fragerunde wurden viele weitere Themen angesprochen, zum Beispiel die bevorstehenden Wahlen in Istanbul, natürlich auch die Angriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete, die Lage in Südkurdistan und die türkische Besatzung.

Zum Schluss wurde die Notwendigkeit eines umfassenden gesellschaftlichen Widerstands betont. Die Freiheitsbewegung ist nicht nur eine militärische Bewegung. Kobane und viele weitere Beispiele zeigen, dass sich alle Teile der Gesellschaft organisieren müssen, wenn eine neue Gesellschaft aufgebaut werden soll.

Umrahmt wurden die 10. Kurdischen Kulturtage am ersten und am letzten Tag von einem breiten Spektrum kurdischer Musik und Folklore. Das Programm begann mit den Auftritten der Tanzgruppen Govenda Astera, der Sängerin Eleonore Fourniau und Süleyman Çarnewa am Eröffnungstag und endete mit einem Open-Air-Konzert mit der Frauengruppe Koma Dengê Xwezayê, Hozan Aydın und Serhat Çarnewa. Ganz verschiedene Interpretationen und Musikstile waren so vertreten und begeisterten das Publikum.

Und wie das immer so ist: Wo die Musik die Zuhörer*innen mitreißt, wird bei Kurd*innen schnell getanzt. So endeten die Kurdischen Kulturtage auch mit einem gemeinsamen Govenda Kurdî, der alle Besucher*innen mit einbezog.

Die Organisator*innen vom Medya Volkshaus zogen eine durchwegs positive Bilanz ihres 10-jährigen Jubiläums: Es lohnt sich immer wieder. Die gute Resonanz gibt Kraft, auch weiterhin „Kurdistan in Nürnberg lebendig“ zu halten und Brücken zu bauen.