Wir sprachen mit der Regisseurin Eva Husson, die in diesem Jahr mit ihrem Film „Girls of the Sun“ in Cannes ins Rennen um die Goldenen Palme zieht, über ihren Film und den Kampf der kurdischen Frauen:
Seit wann kennen Sie die Kurd*innen?
Eigentlich seit langen Jahren. Doch mein Interesse an der kurdische Frage wuchs im Jahr 2014. Das war nach dem Genozid in Şengal. Ich befand mich damals in den Dreharbeiten zu einem anderen Film. Im Jahr 2015 begann ich dann mehr über die Kurd*innen zu lesen und ihre Situation zu untersuchen. Im Februar 2016 bin ich dann nach Kurdistan gereist.
Wie ist die Idee für den Film „Girls of the Sun“ entstanden? Wie haben Sie sich dazu entschlossen?
Mein Großvater war ein Kommunist. Er war im spanischen Bürgerkrieg ein republikanischer Soldat. Sein Bruder war hingegen Anarchist. Gemeinsam haben sie gegen den Franco-Faschismus gekämpft. Somit bin ich die Enkelin eines Widerstandskämpfers, der gegen die Faschisten in Spanien zur Waffe gegriffen hatte. Widerstand liegt mir gewissermaßen im Blut. Als ich dann noch von den Fraueneinheiten las, die gegen den Faschismus kämpfen, hat mich das sehr berührt. Für mich handelt es sich bei den Kurd*innen im Prinzip um dieselbe Sache. Als ich vom Widerstand und dem Kampf der kurdischen Frauen las, war mir klar, dass ich diesen Film machen würde.
Wie lang hat die Umsetzung der Filmidee gedauert?
Nach der Phase des Lesens und des Auseinandersetzens mit der Thematik bin ich 2016 nach Kurdistan gereist. Meine Reise führte mich nach Maxmur und viele andere Orte. Ich habe Frauen und Männer getroffen die kämpfen und mit ihnen gesprochen. Auch mit Kriegsreportern führte ich Gespräche. Und letztlich hatte ich die Gelegenheit mit verschiedenen Menschen aus der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Selbst die Personen, die ezidische Frauen aus Raqqa oder Mossul nach Kurdistan brachten, habe ich angetroffen. Und dann habe ich natürlich auch mit den Frauen gesprochen, die vom IS entführt wurden und später ihre Freiheit erlangen konnten.
Nach dieser Reise habe ich das Drehbuch geschrieben. Im vergangenen Jahr begannen dann die Aufnahmearbeiten. Wir wollten zunächst den Film in Kurdistan drehen. Doch mit so einer großen Crew hätte das schnell für alle Beteiligten gefährlich werden können. Deswegen wollten wir dann in Marokko drehen. Auch das klappte nicht. So mussten wir letztlich in Georgien die Aufnahmen machen.
Wie wirkt der Kampf der kurdischen Frauen gegen den IS auf Sie?
Ich hoffe, dass die Frauen, deren Geschichte ich mit meinem Film wiedergeben wollte, ein Vorbild für alle Frauen weltweit werden. Denn sie erzählen die Geschichte von allen Frauen. Es geht darum nicht aufzugeben, zu kämpfen und durch den anhaltenden Kampf letztlich zu siegen. Das gibt der Frau Kraft und Moral. Aus meiner Sicht sind die kurdischen Frauen außergewöhnlich. Deswegen habe ich mich schließlich auch dazu entschlossen, diesen Film zu machen.
Das ist ihr zweiter Spielfilm. Das Thema wiegt schwer und ist nicht einfach umzusetzen. Hatten Sie Befürchtungen, dass etwas schiefgehen könnte?
Ja, das Ganze war äußerst riskant für mich. Um das physische Risiko zu minimieren, habe ich zunächst lange und erfolglos nach möglichen Drehorten in Frankreich Ausschau gehalten. Die Reisen nach Kurdistan und Georgien waren auch nicht einfach. Nach Abschluss des Filmdrehs kam es in Georgien gar zu einer Explosion. Doch das alles ist nicht mehr von Bedeutung. Denn wenn man in seiner Sache etwas Richtiges macht, dann spielt das Risiko keine Rolle. Bei diesem Film war es das Risiko in jedem Fall wert.
In ihrem Film geht es nicht nur um den Kampf der kurdischen Frauen gegen den IS, sondern auch gegen feudale und rückständige patriarchale Denkstrukturen ...
Das ist richtig. Der Kampf dieser Frauen basiert auf den marxistisch-feministischen Ideen Öcalans. Ich denke auch, dass für die Schaffung einer gerechten und gleichberechtigten Gesellschaftsordnung das patriarchale System zu Fall gebracht werden muss.
Interessiert es Sie, was die Frauen, die gegen den IS gekämpft haben, über diesen Film denken werden?
Die Frauen in Şengal konnten den Film noch nicht sehen. Ich hoffe, dass sie den Film als einen Ausschnitt ansehen werden, der ihrer erlebten Realität nahekommt. Denn dieser Film handelt von ihnen.
Es gibt die Kritik, dass Ihr Film Propaganda sei. Was wollen Sie zu dieser Kritik sagen?
Ich denke, dass ein Teil der Kritiker falsche Absichten haben. Denn auf der anderen Seite gibt es Menschen, die beim Schauen des Films in Tränen ausbrechen. Es handelt sich keinesfalls um einen Propagandafilm. In dem Film wird noch nicht einmal der Name einer Organisation ausgesprochen. Aus diesem Grund ist diese Kritik gegenstandslos. Ich denke, dass diese Kritik gegen den Kampf der Frauen gerichtet ist. Denn ich wollte auf eine Realität hinweisen. Hierfür war es unumgänglich, dass ich auch auf eine marxistische Ideen und Terminologie zurückgreife, denn das ist auch ein Teil ihrer Realität. Ich konnte diese Realität nicht einfach abändern.
Ihr Film ist ein Frauenfilm und das Thema sind Frauen. Auch die Vorsitzende der diesjährigen Jury in Cannes ist eine Frau. Glauben Sie, dass Sie einen Preis gewinnen werden?
Nicht unsere gesamte Crew bestand aus Frauen. Es waren auch Männer dabei. Wir wollen ihnen kein Unrecht tun. Der Film ist das Ergebnis einer kollektiven Arbeit. Ich hoffe, wir werden einen Preis gewinnen.