Abdi: Wir sind bereit für die Verteidigung Syriens

Nach Einschätzung des QSD-Generalkommandanten Mazlum Abdi steht ein weiterer Krieg gegen Rojava unmittelbar bevor. „Wenn es zum Angriff kommt, werden wir den Ausgang bestimmen. Es wird der Kampf ganz Syriens.“

Nach Einschätzung von Mazlum Abdi steht der nächste Angriffskrieg der Türkei gegen die Autonomiegebiete von Nord- und Ostsyrien unmittelbar bevor. „Vor Tel Rifat und Minbic werden massive Truppen konzentriert. Der türkische Staat baut seine militärische Stärke aus und wird sie geltend machen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Alle nötigen Vorbereitungen für den nächsten Angriff auf unsere Regionen sind bereits abgeschlossen“, sagte der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) am Freitag bei einem Pressegespräch im QSD-Hauptquartier in Hesekê.

Am 23. Mai hatte der türkische Präsident Tayyip Erdoğan verkündet, dass die Türkei eine neuerliche Invasion entlang ihrer Südgrenze plant. Das erklärte Ziel sei eine 30 Kilometer tiefe „Sicherheitszone“, die in jenen Teilen Nordsyriens geschaffen werden soll, die die türkische Führung bislang nicht in ihre illegale Besatzungszone eingliedern konnte. Ankara begründet die angedrohte Invasion mit angeblichen Angriffen von Seiten der Volksverteidigungseinheiten (YPG), die das Rückgrat der QSD bilden. Militäreinsätze seien notwendig für die nationale Sicherheit und die Verteidigung der Landesgrenzen. Als erstes will Erdoğan die Städte Minbic und Tel Rifat von „Terroristen“ säubern. Diese seien verantwortlich für vermeintliche Verstöße gegen die seit Oktober 2019 gültigen Deeskalations- und Waffenstillstandsabkommen, die im Zuge der Besatzung von Serêkaniyê und Girê Spî zwischen den USA, Russland und der Türkei geschlossen worden waren.


Haltlose Argumente der Türkei

„Solche Argumente sind haltlos und entsprechen nicht den Fakten“, kommentierte Abdi. „In Wahrheit ist es der türkische Staat, der unter offenem Bruch beider Vereinbarungen handelt und unsere Gebiete angreift. Die Drohungen gegen das demokratische Experiment in Nord- und Ostsyrien im Allgemeinen und die kurdische Präsenz im Besonderen sind deutlich zu erkennen. Der türkische Staat bezweckt, Syrien zu spalten, den Norden des Landes zu besetzen und den Weg für eine politische Lösung der Krise zu versperren.“ Abdi hob hervor, dass sich die QSD gemäß der türkisch-russischen Vereinbarung zu Nordsyrien 2019 von der gesamten Grenze auf eine Distanz von 32 Kilometern zurückgezogen haben und alle ihre Verpflichtungen einhalten würden. „Anschließend waren Kräfte der syrischen Zentralregierung entlang der Grenze postiert worden. Darüber hinaus werden die russisch-türkischen Patrouillen in diesem Gebiet fortgesetzt“, so Abdi.

Sechs Tote durch Drohnenangriffe

 „Demgegenüber verzeichnen unsere Dokumentationszentren für Verstöße in Rojava tägliche Völkerrechtsverletzungen, die von der Türkei und ihrerseits unterstützten Milizen sowohl durch Boden- als auch Luftangriffe durchgeführt werden“, führte der QSD-Kommandant weiter aus. Allein im Juni seien laut Abdi rund 300 Artillerieangriffe gegen Nord- und Ostsyrien erfasst worden, in deren Rahmen etwa 1360 Granaten auf die Autonomiegebiete abgefeuert wurden. „Sechs Infiltrationsversuche wurden abgewehrt, insgesamt 22-mal wurden unsere Städte und Dörfer von Drohnen angegriffen. Sieben dieser Bombardierungen erfolgten durch Kampfdrohnen und forderten sechs Menschenleben, darunter zwei Kinder. Weitere neun Zivilpersonen sind infolge dieser Luftangriffe verwundet worden.“

Türkische Drohungen beeinträchtigen Kampf gegen IS

Abdi wies darauf hin, dass die Drohungen der Türkei „die Konzentration der QSD unmittelbar beeinträchtigen“ und vom Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) ablenken würden. Die Kriegserklärung Ankaras ziele de facto auf die regionalen Bemühungen der globalen Anti-IS-Koalition und der internationalen Gemeinschaft gegen den IS ab. Abdi brachte auch seine Befürchtung zum Ausdruck, dass sich die Sicherheitslage in den Gefängnissen und Auffanglagern im Autonomiegebiet verschlechtert habe und die IS-Aktivitäten zunehmen würden, weil Antiterroreinsätze bedingt durch die Angriffe der türkisch-dschihadistischen Besatzungstruppen weniger häufig durchgeführt werden könnten. So habe sich im Juni die Zahl der festgenommenen IS-Dschihadisten (30) im Vergleich zum Vormonat (73 Festnahmen) mehr als halbiert.

Position der Staatengemeinschaft ist unzureichend

Die Haltung der internationalen Gemeinschaft zu den Kriegsdrohungen der Türkei bezeichnete Mazlum Abdi als unzureichend. Die anhaltenden Drohgebärden gegen Nord- und Ostsyrien zeigten eine deutliche „Unzulänglichkeit“ der Positionen zur Abschreckung von Drohungen und zum Stopp der Eskalation. Dies verdeutliche sich auch in der Tatsache, dass die türkische Besatzungszone in Nordsyrien zu einem „sicheren Hafen“ für den IS gemacht worden sei, wie zuletzt die Tötung des syrischen IS-Chefs Maher Al-Aqal in Efrîn wieder zeigte.

Mazlum Abdi beim Pressegespräch im QSD-Hauptquartier

„Zwar sind die Bemühungen der Vereinigten Staaten unter der Führung von Joe Biden positiv“, äußerte Abdi mit Blick auf die Versuche der Regierung in Washington, Ankara von einer weiteren Nordsyrien-Offensive abzubringen. „Aber sie reichen nicht aus, um die Aggression einzudämmen.“ Die Deeskalationsbemühungen Russlands bezeichnete Abdi als bedeutend und betonte, dass die syrische Armee ihre Kräfte an den Grenzen zu den unmittelbar bedrohten Städten Kobanê und Tel Rifat verstärkt habe. „Wir selbst konzentrieren unsere Aktivitäten in Abstimmung mit der russischen Seite weiter auf Minbic“, so Abdi.

Abdi bemerkte, dass ein möglicher Krieg ganz Syrien betreffen würde und alle Gegner der Invasion, einschließlich der Regierungstruppen von Damaskus, Widerstand leisten wollen. „In diesem Fall werden wir uns darauf konzentrieren, türkische Angriffe zu stoppen. Dies wird jedoch unseren Einsatz gegen den IS beeinträchtigen. In einer Verteidigungslage können wir nicht dafür garantieren, den Kampf gegen den Terror aufrecht zu erhalten“, sagte Abdi und wies auf Vorbereitungen der Terrormiliz für einen Großangriff auf das Camp Hol hin.

„Sollte der türkische Staat darauf bestehen anzugreifen, werden wir entsprechend reagieren. In den vergangenen drei Jahren haben unsere Kräfte ihre Verteidigung und ihre militärische Bereitschaft intensiviert. Wir haben Erfahrungen in Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî gesammelt und unsere Truppenstärke ausgeweitet. Wenn es zum Angriff kommt, werden wir den Ausgang bestimmen, nicht der Aggressor. Dies wird nicht der Kampf der Kurdinnen und Kurden oder der QSD werden, sondern der Kampf ganz Syriens. Es wäre der Kampf all jener, die sich der Besatzung syrischen Bodens widersetzen“, betonte Abdi.

Gemeinsamer Widerstand an allen Fronten

Der Kommandant fuhr fort: „Wir werden uns nicht zurückziehen. Der Krieg in Nordsyrien wird ein Kampf für das gesamte Land sein, dessen Schicksal wir bestimmen werden – nicht die türkische Armee und auch nicht ihre Söldner. Wir alle werden diesen Widerstand austragen, einschließlich die Truppen der Damaszener Regierung. Unsere gesamte Bevölkerung sollte sich an der Seite ihrer Verteidigungskräfte positionieren. Wir müssen alle zusammen Widerstand leisten. Wir werden zusammen mit unserem Volk bis zum Ende kämpfen und diesen Krieg beenden.“ Abdi rief alle Menschen in Nord- und Ostsyrien dazu auf, „den Widerstand zu unterstützen und ihren Kindern beizustehen“. Er forderte auch alle Parteien auf, politische Konflikte zu lösen und ihre nationale Verantwortung wahrzunehmen.