Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat seine Ankündigung einer neuen Invasion in Nordsyrien wiederholt. Diese werde beginnen, sobald die Vorbereitungen an der Grenze abgeschlossen seien, sagte der AKP-Chef am Montagabend im Anschluss an eine Kabinettssitzung in Ankara.
Man dürfe zuversichtlich sein, dass die Türkei all ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Fähigkeiten einsetzen werde, um ihre Ziele für 2023 (100. Gründungstag der Republik) zu erreichen und die „Vision für 2053“ (600. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen) zu verwirklichen, sagte Erdoğan mit Blick auf seinen Traum von einem großtürkisch-islamistischen Imperium. Auch die „Operationen zur Erlösung“ der Grenze zum Irak von „terroristischen Anschlägen“ – gemeint ist die seit Mitte April andauernde Invasion der Türkei in Südkurdistan – würden erfolgreich fortgesetzt. Die „neuen Offensiven“ in Syrien werde man einleiten, wenn alle „Schwächen im Sicherheitskorridor“ beseitigt sind.
Seit Mai kündigt die türkische Führung bereits einen weiteren Großangriff entlang der Südgrenze an. Geplant sei die Schaffung einer 30 Kilometer tiefen „Sicherheitszone“ in jenen Teilen Nordsyriens, die bisher nicht von der Türkei und ihren dschihadistischen Verbündeten besetzt werden konnten. Das Hauptziel der dafür notwendigen Operationen würden Gebiete sein, die „Angriffszentren“ für den türkischen Staat darstellten. Als erstes wolle man die Städte Minbic und Tel Rifat von „Terroristen“ säubern.
Erdoğan kündigt Show bei Nato-Gipfel an
Erdoğan sprach am Montag zudem den Konflikt um eine Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato an. „Wir werden zum Nato-Gipfel in Spanien gehen und alles Notwendige im Einklang mit den Rechten und Interessen unseres Landes tun“ und den Gesprächspartnern die „Scheinheiligkeit“ gegenüber Terrororganisationen mit Dokumenten, Informationen und Bildern“ erklären, sagte der Regimechef in gewohnter Manier eines wutentbrannten Sultans. Die 30 Nato-Staaten treffen sich ab dem heutigen Dienstag zu einem mehrtägigen Gipfel in Madrid. Am Rande soll noch einmal versucht werden, die türkische Blockadehaltung zu überwinden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg trifft dazu Schwedens Regierungschefin Magdalena Andersson, den finnischen Präsidenten Sauli Niinistö sowie Erdoğan.
Die Regierungen in Stockholm und Helsinki hatten im Mai unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ihren Beitritt zu dem Militärbündnis beantragt. Die Türkei hatte sich dagegengestellt und dies mit Sicherheitsbedenken sowie angeblicher Unterstützung für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Volksverteidigungseinheiten (YPG) begründet. Beide Länder weisen die Beschuldigungen zurück.
Angriffskriege in den Jahren 2016, 2018 und 2019
Die Türkei ist in der Vergangenheit immer wieder völkerrechtswidrig gegen die selbstverwalteten Gebiete im mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden bewohnten Norden von Syrien vorgegangen. Im Verlauf von drei Angriffskriegen in den Jahren 2016, 2018 und 2019 wurden weite Teile im Grenzstreifen vom türkischen Staat und dschihadistischen Verbündeten des Nato-Mitgliedlandes besetzt, hunderttausende Menschen sind vertrieben worden. Anstelle der angestammten Bevölkerung wurden unter türkischer Ägide islamistische Milizen aus aller Welt und ihre Angehörigen angesiedelt. Die Türkei führt zudem in der Kurdistan-Region Irak eine vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags als völkerrechtswidrig eingestufte Invasion. Unter dem Etikett der „Terrorbekämpfung“ – gemeint ist die PKK – sind Teile im türkisch-irakischen Grenzgebiet bereits de facto besetzt worden. Die von der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) dominierte Regierung in Hewlêr (Erbil) unterstützt die Türkei bei der Invasion.