Şami: Bei einem Angriff wird überall gekämpft
Der Pressesprecher der Demokratischen Kräfte Syriens, Ferhad Şami, warnt, dass im Falle eines türkischen Angriffs in ganz Nord- und Ostsyrien gekämpft werden würde.
Der Pressesprecher der Demokratischen Kräfte Syriens, Ferhad Şami, warnt, dass im Falle eines türkischen Angriffs in ganz Nord- und Ostsyrien gekämpft werden würde.
Rojava ist akut von türkischen Angriffen bedroht. Permanent schlagen Artilleriegranaten in der Autonomieregion ein und in den bereits von der Türkei besetzten Gebieten um Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî herrscht ein Terrorregime. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya äußert sich der Pressesprecher der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Ferhad Şami, zur aktuellen Lage.
„Wir erwarten einen türkischen Angriff“
Welche militärischen Bewegungen gibt seit den Angriffsdrohungen der Türkei in der Region? Was sind Ihre Vorbereitungen in Bezug auf einen möglichen Angriff?
Wir erwarten, dass die Türkei einen Angriff starten wird. Dazu liegen uns Informationen und Dokumente vor. Wir wissen auch, dass die Türkei und mit ihr verbundene Söldnergruppen Angriffe im Süden von Efrîn, Minbic, Girê Spî und Til Temir planen. Wir nehmen diese Bedrohungen ernst und werden darauf auf drei Ebenen reagieren: militärisch, gesellschaftlich und diplomatisch. Die militärischen Vorbereitungen sind noch im Gange, und wir werden vorerst nichts über die militärischen Vorbereitungen sagen. Wir machen unsere Pläne nach unseren eigenen Vorstellungen. Eine weitere Vorbereitung findet im gesellschaftlichen Bereich statt. Die Bevölkerung wird auf den Krieg vorbereitet. Aus diesem Grund wurde in Nord- und Ostsyrien der Ausnahmezustand verhängt. Die Menschen bereiten sich darauf vor, die QSD zu unterstützen und einen eigenen Kampf gegen den Krieg zu führen.
„Gemeinsam die Invasion abwehren“
Unser Schwerpunkt der Vorbereitung liegt auf der diplomatischen Ebene. Im Kampf gegen den IS haben wir seit 2014 haben viele Bedrohungen überwunden, wir haben Kobanê und Raqqa befreit. Auch der Kampf der Anti-IS-Koalition war hier wichtig. In dieser Hinsicht arbeiten wir weiterhin in Abstimmung mit den Koalitionskräften. Wir führen einen Dialog mit den Koalitionsstreitkräften und anderen Verbänden in Nord- und Ostsyrien. Wir befinden uns in Bezug auf die türkischen Kriegsverbrechen und Invasionspläne in einem intensiven Dialog.
„QSD werden in alte Stellungen zurückkehren“
In allen drei Bereichen haben wir uns gemeinsam mit anderen Staaten auf den Krieg vorbereitet. Im Jahr 2019 hatten die QSD ein Abkommen unter der Garantie der USA und Russlands unterzeichnet. Dementsprechend haben wir uns 30 Kilometer von der Grenze von Nordsyrien zurückgezogen. Natürlich wird dieses Abkommen mit dem Krieg nichtig. Die QSD werden zu ihren alten Stellungen zurückkehren. Unsere Verbände werden sich von Dêrik bis Minbic aufstellen und sich aktiv am Krieg beteiligen. Auch die Regierung in Damaskus trifft Vorbereitungen unter russischer Garantie. Höchstwahrscheinlich werden wir gemeinsam auf die Angriffe reagieren.
„Versuchte Einigung mit dem Regime“
Sie haben berichtet, dass Sie Gespräche mit dem syrischen Regime geführt haben. In welchen Punkten besteht Einigkeit oder Uneinigkeit bei den Gesprächen? Wie wird das Regime auf einen möglichen Angriff reagieren?
Im Jahr 2019 wurde während der Angriffe auf Girê Spî und Serêkaniyê eine Vereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung war vierseitig. Es waren die QSD, die Türkei, Russland und die USA beteiligt. Gemäß den Grundsätzen dieses Abkommens wurde der Krieg eingestellt und die QSD zogen sich 30 Kilometer von der Grenze zurück, was die Türkei als Vorwand nutzte, ihre Besatzung auszuweiten. Um die Grenze zu schützen, positionierte sich das Regime in Damaskus mit Russland als Garantiemacht auf der Frontlinie. Das hat nichts an der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung verändert. Das Regime hat sich lediglich an der Grenze positioniert. Jetzt hat es erklärt, dass seine Streitkräfte in der Region nicht ausreichen würden, wenn die Bedrohung durch die Türkei zunehme, und dass es deshalb seine Streitkräfte verstärken wolle. Es kam zu einem Kompromiss zwischen der Selbstverwaltung und dem Regime, das nun Panzer und Artillerie stationierte. Über diesen Kompromiss wurde in der Presse viel geschrieben. Dieses Abkommen ist eine Vereinbarung mit der Selbstverwaltung, aber auch wir werden auf die Angriffe reagieren und an die alten Linien zurückkehren. Wir befinden uns auf dieser Grundlage im Dialog. Je nachdem wie dieser Dialog läuft, werden wir gemeinsam gegen die Angriffe vorgehen. Wir können unsere Kräfte bündeln und diesen Krieg bekämpfen. Das Regime bestrebt auch die Schaffung einer gemeinsamen Truppe. Wir haben Gespräche mit Russland geführt, und Russland erklärt, man werde einen Angriff abwehren.
„Wir wissen nicht, welche Vereinbarungen zwischen der Türkei und Russland bestehen“
Wie sind Ihre Beziehungen zu Russland, den Vereinigten Staaten und Iran? Wie reagieren diese Mächte auf die Angriffsdrohungen?
Russland ist die Garantiemacht in Nord- und Ostsyrien. Sie ist es, über die wir unseren Dialog mit der Regierung in Damaskus führen. Russland sagt, dass es sich nicht an Angriffsdrohungen beteiligt und keinen Angriff wünscht. Aber wir wissen, dass es hier um Interessenpolitik geht. Wir wissen nicht, welche Interessen das sind und welche Art von Vereinbarungen zwischen der Türkei und Russland bestehen. Aber soweit wir aus unseren Treffen und Gesprächen wissen, ist Russland gegen mögliche Angriffe. Mit diesem Angriff will die Türkei ihre Position in Syrien stärken, nicht nur in Nord- und Ostsyrien. Dieser Angriff richtet sich vor allem gegen Aleppo. Aleppo ist eine Provinz in einer wichtigen Lage und befindet sich in der Hand des Regimes. Die Stadt Cerablus bei Aleppo befindet sich jedoch in den Händen der Türkei. Bab, Rai, Mare und Efrîn sind ebenfalls türkisch besetzt. Die Türkei versucht nun, Minbic einzunehmen, um dann ganz Aleppo zu erobern. Wie Minbic sind auch Til Rifat und Kobanê mit Aleppo verbunden. Wenn diese Städte erobert werden, wird Aleppo vollständig umzingelt sein. Dies ist das Ziel. Auch Russland und die Regierung in Damaskus sind sich dieser Situation bewusst. Diese Situation ist nicht nur für uns eine Gefahr, sondern für ganz Syrien. Die Gespräche mit der Regierung in Damaskus finden auf militärischer Ebene statt. Es geht darum, eine koordinierte Verteidigungslinie gegen einen möglichen Angriff aufzubauen.
„Die USA sind davon überzeugt, dass ein Angriff den IS stärken würde“
Unsere Gespräche mit den USA fanden auf der Ebene der Anti-IS-Koalition statt. Die USA sind davon überzeugt, dass ein möglicher Angriff den IS stärken würde. Außerdem ist zu befürchten, dass die Orte, an denen die QSD und die Koalition gemeinsam die Kontrolle ausüben, durch die Anschläge gefährdet werden. Die USA wissen, dass der IS in den von der Türkei besetzten Orten weiterexistiert. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten wurden zahlreiche Kommandanten des IS getötet, so beispielsweise der erste Führer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, bei Atme [im türkisch besetzten Idlib]. Dann wurde al-Quraishi in Efrîn getötet. Vor kurzem wurde Maher al-Agal, der syrische IS-Chef, in der Region Efrîn-Cindirês getötet. Wenn wir all dies ins Auge fassen, dann wird klar, dass der IS durch einen möglichen Angriff stärker werden wird. Auch dafür gibt es Pläne. Am 12. Juli nahmen wir zwölf IS-Mitglieder fest, die einen Angriff auf das Camp Hol vorbereiteten. Laut den Geständnissen dieser IS-Mitglieder erhielten diese Unterstützung aus den von der Türkei besetzten Gebieten. Wir werden diese Geständnisse öffentlich machen.
Mit Iran führen wir keinen Dialog. Russland ist derzeit der wichtigste Faktor in Syrien, und der Dialog wird über Russland geführt.
„Von legitimer Selbstverteidigung zur aktiven Verteidigung“
Wenn die Angriffe lokal begrenzt sein sollten, wird es dann auch die Verteidigung sein?
Die Haltung der QSD zu diesem Punkt ist klar. Es gibt Erklärungen der QSD zu diesem Thema. Bei einem möglichen Angriff wird die Reaktion nicht lokal begrenzt bleiben. Unsere Kräfte werden auch in Efrîn, Serêkaniyê, Gire Spî und in der Region Bab kämpfen. Sollte es zu einem Angriff auf Kobanê kommen, so wird dieser natürlich nicht auf Kobanê beschränkt bleiben. Der Krieg wird als Ganzes geführt werden. Derzeit werden wir von internationalen Kräften gefragt, ob wir an unsere Grenzen von 2019 zurückkehren werden. Dies wird hundertprozentig geschehen. Im Falle eines Angriffs werden die QSD von der legitimen Selbstverteidigung zur aktiven Verteidigung übergehen.
Mörder von Pirsûs in türkischem Gebiet getötet
Erneut wurde ein IS-Führer in einer von der Türkei besetzten Region getötet. Wie sehen Sie die IS-Präsenz in diesen Orten?
Bei den Getöteten handelt es sich um keine gewöhnlichen Menschen. Al-Baghdadi und al-Kuraishi waren die höchsten Führer des IS. Maher al-Agal stammt aus der Region Siluk bei Gire Spî. Der Sohn seines Onkels, Azu Suleyman al-Agal, wurde letztes Jahr in der Türkei gefangen genommen. Beide waren am Massaker von Pirsûs (tr. Suruç) beteiligt. Beim Pirsûs-Massaker erklärten wir, dass der türkische Geheimdienst MIT seine Hand im Spiel hatte. Azu al-Agal, der in der Türkei gefangen genommen wurde, erklärte in seinem Geständnis, dass Maher al-Agal am Pirsûs-Massaker beteiligt war. Wenn diese Person an dem Massaker von Pirsûs beteiligt war, was macht sie dann in Efrîn, wie ist sie dorthin gekommen?
„Al-Agals Ausweis stammt vom türkischen Geheimdienst“
Der Ausweis, der bei al-Agals Leiche gefunden wurde, stammt vom türkischen Geheimdienst. Der MIT kennt diese Person. Wir haben der Koalition die Namen von hochrangigen IS-Mitgliedern gegeben, die sich in den von der Türkei kontrollierten Gebieten aufhalten. Bei dem bei Maher al-Agal gefundenen Ausweis handelt es sich um ein vom Besatzungsrat von Efrîn ausgestelltes Dokument. Solche Dokumente werden vom türkischen Geheimdienst in Dîlok (tr. Antep) ausgestellt. Nicht jeder erhält ein solches Papier. So wird die Verbindung zum MIT klar. Maher al-Agal war der IS-Gouverneur von Syrien. Der Sohn seines Onkels, Faiz al-Agal, ist letztes Jahr von den Koalitionsstreitkräften in der Region Bab getötet worden. Er war der IS-Gouverneur von Raqqa. Es gibt noch einen weiteren Cousin, Khaled al-Agal. Am 12. Juli wurde er in die Türkei gebracht. Er ist verantwortlich für die IS-Propaganda. Nach den uns vorliegenden Informationen wurde diese Person vom türkischen Geheimdienst aus Girê Spi in die Türkei überstellt. Bislang wurden 40 IS-Mitglieder aus der Familie al-Agal sowohl von den QSD als auch von den Koalitionstruppen getötet. 20 Mitglieder dieser Familie sind immer noch beim IS aktiv und befinden sich in den von der Türkei kontrollierten Gebieten.
„Weitere hochrangige IS-Mitglieder in besetzten Gebieten“
Faiz al-Agal ist für Waffen und Munition beim IS verantwortlich und befindet sich derzeit in Girê Spî. Brahim al-Agal, der Bruder von Faiz al-Agal, befindet sich derzeit in Efrîn. Diese Familie hat hohe Positionen beim IS inne. Sie sind keine gewöhnlichen Personen, und die Türkei wird sie gegen die Angriffe auf Nord- und Ostsyrien einsetzen. Diese Personen wurden zuvor bereits bei den Angriffen auf Girê Spî und Serêkaniyê eingesetzt. Sie waren an vielen Massakern beteiligt und werden von der Türkei offen geschützt. Am 12. Juli gaben wir als QSD eine Erklärung ab und berichteten, dass zwölf IS-Mitglieder von uns gefasst wurden. Kurz darauf teilte uns die Koalition mit, dass Maher al-Agal getötet wurde. Als QSD haben wir der Koalition die Namen von 50 hochrangigen IS-Mitgliedern genannt, die sich in von der Türkei kontrollierten Gebieten aufhalten.