Şimşek: Mein literarisches Leben soll zerstört werden

Meral Şimşek ist in der Türkei wegen ihrer Gedichte und Erzählungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die kurdische Schriftstellerin sagt, dass ihr literarisches Leben beendet werden soll. Ihr nächster Prozess beginnt am 16. November.

Die international ausgezeichneten Gedichte und Geschichten der kurdischen Schriftstellerin Meral Şimşek sind in der Türkei der Grund für eine Haftstrafe. Vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde sie zwar freigesprochen, wegen „Propaganda“ für dieselbe jedoch im Oktober in Meletî (tr. Malatya) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.

Bereits vor der Verurteilung hatte Şimşek versucht, nach Griechenland zu gelangen. Dabei wurde sie vom griechischen Geheimdienst misshandelt, sexuell belästigt und anschließend in den Grenzfluss Mariza (gr. Evros, tr. Meriç) getrieben. Weil sie auf der türkischen Seite militärisches Sperrgebiet betreten hat, läuft jetzt noch ein weiterer Prozess gegen sie.

Meral Şimşek ist in den 1990er Jahren als Dreizehnjährige in Polizeigewahrsam mit einem Knüppel vergewaltigt worden, hat dadurch einen Nierenschaden erlitten und befindet sich in ständiger medizinischer Behandlung. Jetzt droht ihr das Gefängnis.

Vor Gericht wurden ihr die Mitgliedschaft im Schriftstellerverein Mesopotamiens und ein Gedicht für ihren Bruder, den sie im politischen Kampf verloren hat, zur Last gelegt. Vorgeworfen wurden ihr auch die Auszeichnung, die sie für dieses Gedicht bekommen hat, ihre Erzählungen und ihre Mitarbeit an Büchern. In der Urteilsbegründung wird von einer zu Straftaten neigenden Persönlichkeit gesprochen und festgehalten, dass Wiederholungstaten wahrscheinlich sind.

Von der Polizei bedroht, vom Gericht verurteilt

Gegenüber ANF erklärt Şimşek zu dem Urteil: „Als kurdische Literatin bin ich in diesem Zeitalter wegen meinen Texten und den gewonnenen Literaturpreisen bestraft worden.“ Die Beschreibung ihrer Persönlichkeit in der Urteilsbegründung findet sie „tragikomisch“, es handele sich um eine offene Racheoperation.

Şimşek weist darauf hin, dass der Ausgangspunkt für den Prozess ihre Entführung und Bedrohung durch Polizisten im Jahr 2019 gewesen ist: „Im Moment erlebe ich genau das, was mir damals angedroht wurde: Wenn du nicht tust, was wir wollen – ich sollte als Informantin angeworben werden – werden wir dein Leben als Literatin beenden. Genau in diese Richtung geht auch die Urteilsbegründung. Mein literarisches Leben soll beendet werden. Mit meinen Texten habe ich versucht, der Realität einen Spiegel vorzuhalten. Nur aus diesem Grund bin ich verschleppt, bedroht und angeklagt worden. Fast ein Jahr lang wurde mir ein Reiseverbot auferlegt und ich musste monatelang bei der Polizei Unterschriften leisten.“

Meine Kinder und ich sind systematischer Unterdrückung ausgesetzt“

Die Mutter von zwei Kindern ist monatelang observiert und abgehört worden. Manchmal hätten sich ihre Verfolger offen gezeigt. Meral Şimşek weiß, das es sich dabei um eine Einschüchterungspolitik handelt. Trotzdem ist die Situation traumatisierend und hat auch ihre körperlichen Beschwerden neu ausbrechen lassen. Über die Vermittlung der Menschenrechtsstiftung Türkei (TIHV) wird sie seit Monaten psychologisch behandelt, vor zwei Monaten musste sie sich einer schweren Operation unterziehen.

„Es fällt mir immer noch schwer, zu laufen und ins normale Leben zurückzukehren. Als jemand, der nicht nur seelisch gefoltert wurde, sondern auch physisch, leide ich weiter darunter. Meine Erlebnisse wirken sich auch negativ auf die psychische und körperliche Gesundheit meiner Kinder aus. Wir sind systematischer Unterdrückung ausgesetzt“, so Meral Şimşek.

Prozessbeginn am 16. November

Nach ihrer gescheiterten Ausreise nach Griechenland wurde Şimşek in der Türkei verhaftet und nach einer Woche unter Führungsaufsicht aus dem Gefängnis entlassen. Der nächste Prozess gegen sie beginnt am 16. November.

„Alles, was ich als Literatin tue, ist Schreiben, und alles, was ich will, ist ein Leben in Sicherheit. Trotzdem hört es nicht auf, dass ich ständig vor Gericht angeklagt werde“, sagt Şimşek und fügt hinzu, dass sie in dieser schweren Zeit nicht allein gelassen worden ist. PEN International, der Menschenrechtsverein IHD, die Stiftung TIHV, Amnesty International, die Medienrechtsorganisation „Media and Law Studies Association“ (MLSA) und ihre Verteidiger:innen setzen sich für sie ein.

Nicht aus Trotz, aus Überzeugung

Zuletzt betont Meral Şimşek ein weiteres Mal, dass mit dieser Art von Prozessen und Gefängnisstrafen eine totalitäre Einschüchterungspolitik umgesetzt wird, mit der die Menschen zum Schweigen gebracht und die von Rechtlosigkeit gekennzeichnete Ordnung am Laufen gehalten werden soll. „Als kurdische Schriftstellerin und Dichterin werde ich nicht damit aufhören, die Wahrheit zu schreiben und dafür zu kämpfen. Aufgeben wäre für mich Verrat an mir selbst, dafür habe ich bereits zu viel von meiner Familie und mir verloren. Deshalb werde ich unter allen Umständen weiter schreiben, produzieren und Widerstand leisten. Das tue ich nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung.“