Mit einem Urteil über fünfzehn Monate Haft wegen angeblicher Terrorpropaganda ging diese Woche der in Meletî (tr. Malatya) verhandelte Prozess gegen die kurdische Schriftstellerin Meral Şimşek zu Ende. Die zuvor verordneten Meldeauflagen wurden aufgehoben, vom Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung” sprach das Gericht die zweifache Mutter frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
In dem Verfahren drohten Meral Şimşek bis zu 22,5 Jahre Haft wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft und Organisationspropaganda. Als Beweis galten ihre Bücher, Auszeichnungen, Kurzgeschichten und Literaturveranstaltungen, an denen sie teilgenommen hat. Beobachtet wurde der Prozess von der Türkei-Vertretung von Amnesty International und der Medienrechtsorganisation „Media and Law Studies Association“ (MLSA), die Şimşek als Opfer von staatlicher Repression anwaltliche Pro-Bono-Unterstützung leistet. Die Autorin selbst war im Saal nicht anwesend, sondern ließ sich von ihrem Verteidiger Anıl Hamamcı vertreten.
Nach der Prüfung eines Gutachtens über den kurdischen Schriftzug auf zwei Preisen, mit denen Şimşek für ihre Bücher ausgezeichnet wurde, verlas Hamamcı eine Erklärung seiner Mandantin. „Leider glaube ich nicht, dass ich fälschlicherweise den mir zum Vorwurf gemachten Straftaten verdächtigt wurde. Vielmehr bin ich Opfer von gezielten und absichtlichen Falschbeschuldigungen geworden. Verantwortlich ist nicht das Gericht, verantwortlich sind meinerseits angezeigte Amtsträger im Polizeipräsidium Malatya, auf deren Anordnung hin ich verschleppt, bedroht und gegen meinen Willen festgehalten worden bin, sowie die Oberstaatsanwaltschaft Malatya, die sich bis heute weigert, ein Verfahren dagegen zu eröffnen“, zitierte der Jurist seine Mandantin. Im weiteren Teil der Stellungnahme wurden unter anderem extralegale Festnahmen und konkrete Drohungen wie „Wir werden dein Leben als Autorin beenden“ geschildert. „Im Visier der Verfolgungsbehörden bin ich lediglich aufgrund meiner kurdischen Identität und meines literarischen Daseins. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen“, hieß es abschließend. Das Urteil gegen Meral Şimşek wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Ihr Rechtsbeistand hat Berufung angekündigt.
Zum Hintergrund
Meral Şimşek sieht den Prozess gegen sie als einen Rachefeldzug. Die Autorin, die PEN-Mitglied ist, wurde im April 2019 in Meletî mit einem Auto verschleppt. Ihre Entführer stellten sich als Polizisten vor und setzten sie unter Druck, um sie als Spitzel anzuwerben. Weil sie diesen Vorfall öffentlich machte, kam sie auf die Abschussliste. Die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin brachte den Fall vor die Vereinten Nationen (UN) und zeigte die Polizei an. Anderthalb Jahre später wurde zwar Anklage erhoben – aber nicht gegen die Entführer, sondern gegen Şimşek. Zuvor wurde sie vorübergehend festgenommen und in der Antiterrorabteilung der Polizei Malatya nackt durchsucht. In dem Verfahren gegen sie wurden unter anderem die Gedichte und Fantasien in ihrer biografischen Arbeit Nar Lekesi (Granatapfelfleck), die ausgehend von der Geschichte ihrer Familie das Leid des kurdischen Volkes in den 1990er Jahren beleuchtet, als Beweis für die behauptete PKK-Mitgliedschaft ausgelegt. PEN International glaubt, dass Meral Şimşek einzig wegen ihrer Schriften verfolgt wird.