Şilan Kan: „Lasst uns überall Kurdisch sprechen“

Niemand von uns konnte früher Türkisch, wir alle haben es erst in der Schule gelernt. Wir sprechen Türkisch inzwischen besser als die Türken, weil immer gesagt wurde, dass die Kurden ungebildet sind und wir uns selbst etwas beweisen mussten.

Der Sprach- und Kulturverein Mesopotamiens (MED-DER) setzt sich in Nordkurdistan für den Erhalt der kurdischen Sprachen ein. Mit Sprachkursen soll der Gebrauch des Kurdischen auf alle Lebensbereiche erweitert werden. Die Vereinsvorsitzende Şilan Kan hat sich gegenüber ANF in Amed (tr. Diyarbakir) zur Bedeutung von Sprache für Kultur und Gesellschaft geäußert. Sie weist darauf hin, dass sich Nationen vor allem durch die Sprache voneinander unterscheiden.

Die kurdische Sprache werde seit ungefähr hundert Jahren als nicht existent betrachtet, sagt die Ko-Vorsitzende von MED-DER. Mit dem Verbot seiner Sprache sei im Grunde genommen auch das kurdische Volk selbst verboten worden. Darüber hinaus ist durch Vertreibung und Repression dafür gesorgt worden, dass die kurdische Sprache sich nur schwer entwickeln kann und in der Gesellschaft nicht benutzt wird. Şilan Kan meint, dass die kurdische Sprache durch die Entfremdung der Menschen von ihrer natürlichen Umgebung wehrlos gemacht worden ist: „Vor den Zwangsvertreibungen haben die Menschen ein natürliches Leben in ihren Dörfern geführt und damit wurde die kurdische Sprache bewahrt. Mit der Migration in die Städte ist das Kurdische zurückgeworfen worden. Kurdisch zu sprechen galt sogar als peinlich. Dabei ist Kurdisch eine sehr reiche Sprache. Weil die Fremdsprache Türkisch jedoch die Sprache der Bildung und der Regierung war, drohte die kurdische Sprache zu verschwinden.“

Wer für die Kurden kämpft, muss Kurdisch sprechen“

Der Verlust der kurdischen Sprache ist laut Kan von der Gesellschaft und durch das Engagement von Intellektuellen und Linguist:innen verhindert worden. „Inzwischen wird Kurdisch nicht wie früher verleugnet, aber es besteht Bedarf nach einem noch größeren Einsatz. Wenn man mit einem nationalen Bewusstsein agiert, wird die Sprache bewahrt und weiterentwickelt. Ohne ein solches Bewusstsein hat die Sprache keine Überlebenschance. Wir arbeiten seit Jahren für den Erhalt der kurdischen Sprache und wir sehen, dass diese Arbeit Wirkung zeigt und auch einen positiven Einfluss auf die kurdische Politik hat. Eine politische Bewegung, die für die Rechte und Freiheiten der Kurdinnen und Kurden kämpft, muss sich auf Kurdisch artikulieren. Deshalb haben wir auch eine Sprachplattform mit verschiedenen kurdischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen gegründet. Wichtig ist hierbei vor allem, dass Kurdisch in allen institutionellen Strukturen eine offizielle Dimension gewinnt und auch im Alltagsleben verwendet wird.

Wir sprechen Türkisch besser als die Türken“

Şilan Kan stellt fest, dass kurdische Kinder im Grundschulalter ihre Muttersprache meistens nicht gut können. Erst am Gymnasium oder an der Universität zeigen junge Menschen größeres Interesse an der eigenen Sprache. Deshalb sei es vor allem auch Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zur Verwendung ihrer Muttersprache zu motivieren. „Eltern sollten Kurdisch mit ihren Kindern sprechen. Niemand von uns konnte früher Türkisch, wir alle haben es erst in der Schule gelernt. Wir sprechen Türkisch inzwischen besser als die Türken, weil immer gesagt wurde, dass die Kurden ungebildet sind und wir uns selbst etwas beweisen mussten. Diese Auffassung muss ein Ende finden. Mit derselben Beharrlichkeit müssen wir Kurdisch lernen, sprechen und schreiben.“