Seit 2006 gilt der 15. Mai als Tag der kurdischen Sprache. Das Datum geht zurück auf die Zeitschrift Hawar, die als Schule des kurdischen Verlagswesens angesehen wird und eine wichtige Rolle in der Geschichte der kurdischen Sprache spielte. Am 15. Mai 1932 wurde in Damaskus von Celadet Ali Bedirxan, Kamûran Bedirxan, Qedrîcan, Osman Sebrî, Cegerxwîn und Nûredîn Zaza eine neue Seite in der kurdischen Linguistik aufgeschlagen. Die Zeitschrift Hawar wurde zwischen 1932 und 1943 herausgegeben und erschien zunächst in arabischen Schriftzeichen, erst später wurde sie in lateinischen Buchstaben veröffentlicht. In den elf Jahren ihres Bestehens erschienen 57 Ausgaben.
Der Sprachwissenschaftler Sami Tan ist Ko-Vorsitzender des kurdischen PEN und ruft aus Anlass des heutigen Tages kurdische Eltern dazu auf, ihre Kinder mit ihrer Muttersprache aufwachsen zu lassen und ihnen ein Bewusstsein über ihre Identität zu vermitteln. Er sagt, dass die Zeitschrift Hawar eine wichtige Entwicklung für die kurdische Sprache war und Assimilation das Ergebnis eines reaktionären Nationalismus ist:
„Die herrschende Nation sieht bei ihrem auf Monismus basierenden Aufbau die Vernichtung aller anderen Sprachen und Kulturen vor. So war es auch in der Türkei. Um die Sprachen und Kulturen der unterdrückten Nationen verschwinden zu lassen, sind alle möglichen Methoden angewendet worden. Diese reaktionäre und mörderische Mentalität muss sich endlich ändern und ihren Platz einem multikulturellen und vielsprachigen Leben überlassen. Die Herrschenden beharren auch heute noch auf derselben Politik. Damit fügen sie den anderen Sprachen und Kulturen großen Schaden zu. Dieses Land ist zu einem Friedhof der Sprachen und Kulturen geworden.“
Der kurdische Sprachwissenschaftler Sami Tan
Die Folgen der Massenabwanderung auf die kurdische Sprache
Tan erinnert daran, dass ein großer Teil der kurdischen Bevölkerung ihre Heimat aufgrund von Vertreibung und aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen verlassen musste. Darunter hat auch die kurdische Sprache gelitten. Mit der Entvölkerung kurdischer Dörfer insbesondere in den 1990er Jahren seien Millionen Kurdinnen und Kurden aus ihrem natürlichen Umfeld herausgerissen worden. Parallel dazu wurde ihre Sprache auf die Straßen der Städte verbannt, so Tan:
„In den Städten hat ihre kurdische Muttersprache den Menschen nicht viel genützt, das Leben dort war von der Sprache der herrschenden Nation geprägt. Kurdisch hatte keinen Status und war keine Unterrichtssprache. Darüber hinaus galt die Unterdrückung des kurdischen Volkes auch seiner Sprache. Um sich selbst zu schützen, haben die Kurden sich von ihrer Sprache entfernt. In der Konsequenz ist die neue Generation in den Städten meistens ohne die kurdische Sprache aufgewachsen. Wer trotzdem Kurdisch gelernt hat, spricht oft einen Mischmasch aus zwei Sprachen. Wir nennen das Tirkmanci. Diese Situation verschlimmert sich zunehmend. Um das zu ändern, ist ein gezieltes Vorgehen notwendig. Kurdisch muss zur Unterrichtssprache werden. Nur so können die neuen Generationen ihre Sprache richtig lernen.“
Weil die kurdische Sprache mit einer speziellen Politik unterdrückt wird, besteht laut Tan Bedarf nach einer geregelten und kontinuierlichen Sprachpolitik. Der Schriftgebrauch muss gefördert und die Sprache für das Stadtleben erweitert werden. Dafür müssen eigene Bildungssysteme aufgebaut werden. Neben institutioneller Arbeit ist vor allem auch der Sprachgebrauch in der Familie wichtig. Tan sagt: „Wir müssen unsere Kinder auf Kurdisch und mit einem kurdischen Bewusstsein erziehen.“
Kampagne für offizielle Anerkennung der kurdischen Sprache
Sami Tan weist in diesem Zusammenhang auf die Kampagne der Plattform für kurdische Sprache und Kultur hin, mit der eine offizielle Anerkennung der kurdischen Sprache gefordert wird: „Wer seine Sprache liebt, muss diese Kampagne unterstützen. Die Kurden fordern erstmalig einen Status für ihre Sprache und organisieren sich dafür unabhängig von ihrer politischen Einstellung.“
Die Kurdinnen und Kurden müssten sich entscheiden, ob sie mit ihrer eigenen Identität leben wollten oder mit der ihnen aufgezwungenen Identität, sagt der Sprachwissenschaftler Sami Tan: „Wenn sie ihre Identität nicht verlieren wollen, müssen sie sich für ihre Sprache und Kultur einsetzen. Das liegt in unserer aller Verantwortung. Wir müssen mit uns selbst und mit unserem Umfeld anfangen.“