Zozan Çewlik, Kommandantin des Hauptquartiers der YJA Star, äußert sich im ANF-Interview zur aktuellen Invasion des türkischen Staates in den Medya-Verteidigungsgebieten, zur Haltung der Frauenguerilla und zur Bedeutung der angegriffenen Gebiete.
Hat die YJA Star einen derartig umfassenden Angriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete erwartet?
Das Jahr hat mit dem Sieg von Gare im Februar begonnen. Wir haben gewusst, dass der türkische Staat seine Vernichtungsangriffe auf Abdullah Öcalan und unsere Bewegung auf eine neue Ebene treiben wird, um seine Niederlage vergessen zu lassen. Bereits im Vorfeld war auf unserer Versammlung des Kommandorats die Feststellung getroffen worden, dass in diesem Jahr in den Medya-Verteidigungsgebieten ein Krieg von strategischer und historischer Bedeutung stattfinden wird. Dementsprechend hat die YJA Star sich in jeder Hinsicht darauf vorbereitet, den revolutionären Volkskrieg voranzutreiben. Im Nachhinein haben wir gesehen, dass wir richtig gelegen haben. In der Nacht vom 23. auf den 24. April, dem Jahrestag des armenischen Genozids, hat der Besatzungsangriff auf die Regionen Metîna, Zap und Avaşîn begonnen. Dass dieser Zeitpunkt gewählt wurde, ist eine politische Botschaft.
Wie wird mit diesem Besatzungsangriff umgegangen?
Die Guerilla hat die revolutionären Offensiven Bazên Zagrosê und Cenga Xabûrê gestartet, nicht nur um den Angriffen zu begegnen und sich selbst zu verteidigen, sondern um den Feind effektiv zu treffen und explizite Ergebnisse zu erzielen. Mit Beginn dieser Offensiven haben unsere Einheiten auf sehr kreative Weise Taktiken wie Infiltrierung, Angriff, Sniper und Sabotage angewendet und die Besatzungstruppen nicht durchgelassen.
Und zu welchen Methoden greift die türkische Armee?
Die Armee hat in ihrer Bedrängnis angesichts des Widerstands der Guerilla erneut zu schmutzigen Methoden gegriffen. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar hat von einer „sehr speziellen Technik“ gesprochen und seinen Soldaten den Einsatz von chemischem Gas gegen die Guerilla befohlen, um in das Tunnelsystem einzudringen. Unter der Führung von Serhat Giravî hat im Gebiet Mamreşo ein großartiger Widerstand stattgefunden, bis zum zwölften Tag ist verhindert worden, dass der Feind in die Tunnel eindringt. Der Feind hat gesehen, dass Angst und Tod in Kurdistan besiegt sind.
Was meinen Sie damit?
Angst wird seit Tausenden Jahren als Methode der Disziplinierung und Willensschwächung angewandt. Das Herrschaftssystem basiert auf dem Gefühl der Angst. Bei genauer Betrachtung sieht man, dass alle Aufstände auf Mut aufbauen. Der Mut der Aufständischen erfolgt nicht aus ihrer Furchtlosigkeit, sondern gründet darauf, dass sie sich ihrer Angst nicht ergeben. Die Aufständischen lassen sich von ihrem Wunsch nach Freiheit leiten und nicht von dem aus Angst entstehenden Gefühl der Kapitulation. Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von dem Konflikt zwischen dem Gefühl der Angst und der dadurch entstehenden Kapitulation und dem Mut, sich nicht zu ergeben. Die mutigen Aufständischen sind wie ein dauerhafter Lichtpunkt in der Menschheitsgeschichte. Unabhängig von der jeweiligen Epoche stellen sie einen Wert für die Menschheit dar.
Die kurdischen Aufstände in der Geschichte sind jedoch meistens nicht über die Überwindung der Angst hinausgegangen, oder?
Nach der Gründung der Republik Türkei waren die türkisch-kurdischen Beziehungen davon geprägt, dass auf der einen Seite über die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik Angst geschaffen wurde und auf der anderen Seite gegen diese Angst rebelliert wurde. Bis zur Entstehung der PKK hatten diese Aufstände keine ideologische Grundlage und zeugten lediglich von Mut. Mit der PKK haben die Berge als Raum des Aufstandes eine ideologische, politische und militärische Grundlage bekommen, dadurch ist Kontinuität entstanden. In den Bergen ist vor allem ein ideologischer Mut erschaffen worden, der dem Grundsatz eines freien Lebens freier Individuen entspricht. Es ist ein Willen entstanden, der Kapitulation ausschließt. Der ideologische Mut ist nicht wie eine vergängliche Spur im Sand, er ist fest in den Herzen verankert. Ein Mensch mit Würde ergibt sich nicht gegenüber einer Politik des Völkermords und der Angst. Er verrät sein Begehren nach Freiheit nicht. Der türkische Staat kann immer weiter versuchen, mit seiner schmutzigen Politik, seinen Machenschaften und seiner psychologischen Kriegsführung Angst hervorzurufen, er wird damit bloß weitere mutige revolutionäre und rebellische Menschen erzeugen. Das ist eine dialektische Wahrheit. Die türkische Politik hat keine Erfolgschance gegenüber der opferbereiten Einstellung der Apocu-Bewegung.
Wie sollte sich das kurdische Volk einschließlich aller Bevölkerungsgruppen zu den Vernichtungsangriffen verhalten?
Inzwischen müssen sich alle positionieren. Wer neutral bleibt, wird von den Entwicklungen mitgerissen und weggefegt werden. Die aktuelle Phase hat einen einschneidenden Charakter. Die von beherzten Kämpferinnen und Kämpfern hervorgebrachten Werte sind im kurdischen Volk und bei kurdischen Frauen zu einer ethischen Lebenskultur geworden. Die Gefahr der Politik der letzten Zeit setzt genau da an. Die ethischen Grundwerte sollen ins Gegenteil umgekehrt werden. Die Menschen sollen dazu gebracht werden, dass sie sich voller Angst nur noch an das Leben klammern, unabhängig davon, wie ihr Leben aussieht.
Inzwischen sind jedoch ganze Generationen mit den legendären Geschichten der Guerilla aufgewachsen. Das kann keine Macht mehr aus den Köpfen und Herzen der Menschen löschen. Wenn sich Angst in Form eines Grauens ausbreitet, entstehen dabei großer Mut und heldenhafter Widerstand. Das sollten alle wissen. Aus jedem Widerstand geht eine legendäre Heldengeschichte hervor. Jeder Angriff stärkt die Entschlossenheit zum Erfolg, Sieg und Widerstand. Von dieser Tradition ist die YJA Star geprägt.
Welche spezielle Bedeutung haben die aktuell umkämpften Regionen für die YJA Star?
Bei diesen Regionen handelt es sich um die Gegend, in der unser leidenschaftlicher Wunsch nach Freiheit gereift ist, in der wir uns erstmalig organisiert haben, in der wir wir selbst sein können, uns selbst kennengelernt und neu erschaffen haben. Von Metîna bis zu den Ausläufern des Cilo, von Heftanîn über Zap, Avaşîn, Gare und Xakurke sind Samen der Freiheit gelegt worden, die aufgegangen, gewachsen und stärker geworden sind. Diese Berge sind die Erde, in die die Samen der Frauenbefreiung gelegt wurden. Hier sind unsere Wurzeln. Wir werden es nicht zulassen, von unseren Wurzeln abgetrennt zu werden. Als YJA Star führen wir in diesem strategischen Krieg Aktionen mit kreativen Methoden gegen den Feind durch. Diese Aktionen werden ausgeweitet und kontinuierlich fortgesetzt werden.
In der letzten Zeit finden auch immer mehr Luftaktionen statt...
Unsere nach der gefallenen Kommandantin Delal Amed benannten Luftverteidigungskräfte stellen einen neuen taktischen Aufbruch dar und greifen den Feind fast täglich aus der Luft an. Gegen die hochentwickelte Technologie des Feindes reicht die von unseren Kräften eingesetzte begrenzte Technik aus, um ihn in Angst und Schrecken zu versetzen. In der Taktik des modernen Guerillakampfes kommen der Verstand, das Herz und die Feinheit von Frauen zum Einsatz. Für uns zählen jedoch weniger die technischen Mittel als die Überzeugung, die Verbundenheit und der Mut unserer Freundinnen. Keine Technik kann stärker und unbesiegbarer sein als der Willen eines Menschen, der sich einer Wahrheit verbunden fühlt und daran glaubt.
Die KJK [Gemeinschaft der Frauen Kurdistans] hat im vergangenen Jahr eine Offensive zur Verteidigung des freien Lebens und der Gesellschaft gestartet. Inwieweit nimmt die YJA Star daran teil?
Was heute in Kurdistan stattfindet, ist nicht nur eine Militäroperation. Es handelt sich um eine Besatzung und einen Völkermord und damit gleichzeitig um ein Massaker an der Gesellschaft und einen Feminizid. Alle Aktionen der YJA Star gegen die Besatzer sollen zu einem Erfolg der Offensive beitragen. Die YJA Star ist die strategisch wichtigste Kraft, die gegen die Zerstörung der Gesellschaft und den Feminizid kämpft und immer kämpfen wird. In diesem Bewusstsein betrachten wir uns als verantwortlich für den Erfolg der Offensive.
Werden die Angriffe des türkischen Staates fortgesetzt und ausweitet werden?
Beim Vernichtungskonzept des Feindes gegen Abdullah Öcalan und unsere Bewegung spielt die Tatsache, dass wir nicht kapitulieren, eine ausschlaggebende Rolle. Gegen das Konzept des Völkermords und der Vernichtung leistet unsere Bewegung mit ihrer Guerilla der demokratischen Moderne den größten Widerstand. Aus diesem Grund werden die Angriffe im Verlauf dieses Jahres noch mehr aus der Bahn geraten und weitergehen. Daher muss unser Volk seine Stimme erheben und jeden Ort zu einem Kampfschauplatz machen. Es ist an der Zeit, sich für die eigene Würde einzusetzen. Wir müssen Kurdistan alle gemeinsam zum Grab des Faschismus machen. Die Kommandantur und die Kämpferinnen der YJA Star werden mit ihrer leidenschaftlichen Verbundenheit zur Freiheit kämpfen und die Besatzer nicht durchlassen. Kein Angriff wird uns aufhalten können und dieses Mal wird unbedingt die Freiheit siegen.