Zozan Çewlîk: Der Nahe Osten und die Welt werden neu gestaltet

Zozan Çewlîk, Kommandantin der kurdischen Frauenguerilla YJA-Star, sieht die Entwicklungen der letzten Wochen als Vorbote sehr harter, umfassender und ausufernder Kriege in Kurdistan und im Nahen Osten.

Zozan Çewlîk, Kommandantin der YJA Star im Volksverteidigungszentrum (NPG), sieht die Entwicklungen der letzten Wochen als Vorbote sehr harter, umfassender und ausufernder Kriege in Kurdistan und im Nahen Osten. Die PKK-Guerilla hat mit ihrer Aktion in Ankara ihre Schlagkraft bewiesen, die türkische Armee ändert ihre Taktik bei der stockenden Operation „Claw-Lock“ in Südkurdistan und hat den Befehlshaber ausgetauscht. Nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober wird nichts mehr so sein wie vorher, weder im Nahen Osten noch in restlichen Welt, sagt die Guerillakommandantin: „Der Nahe Osten und die Welt werden neu gestaltet. Da diese Entwicklung natürlich sehr chaotisch verläuft und viele Mächte diesen chaotischen Prozess pragmatisch angehen, ist es für uns ein Prozess, den wir verstehen und genau beobachten müssen.“

Am 1. Oktober wurde in Ankara eine Aktion gegen das türkische Innenministerium durchgeführt. Welche Bedeutung hat diese Aktion und welche Botschaften sind damit verbunden?

Der diesjährige Oktober war ein Monat mit sehr heißen Entwicklungen. Am 1. Oktober gab die von den Genossen Rojhat und Erdal durchgeführte Aktion in Ankara, die eine historische und strategische Bedeutung hat, den Startschuss dafür, dass der Oktober nicht wie die anderen Monate des Jahres sein würde, dass es ein Monat sein würde, der mit außergewöhnlichen Entwicklungen einher geht. Und dann erlebten wir Tage, die aus den üblichen Tagen herausfielen. Zudem wurde am 10. Oktober an 74 Orten die internationale Kampagne „Freiheit für Öcalan und eine politische Lösung für die kurdische Frage" gestartet, und diese Initiative breitet sich weltweit aus.

Die Aktion vom 1. Oktober in Ankara legte den Maßstab für die Beteiligung in der aktuellen Phase fest. Sie zeigte, wie man ein Freiheitskämpfer, ein Wahrheitssucher, ein Verteidiger der Gerechtigkeit und ein Gegner des Systems sein kann. Die Aktion von Rojhat Zîlan und Erdal Şahin ähnelt in ihrer Botschaft der Aktion von Zîlan (Zeynep Kınacı) am 30. Juni [1996 in Dersim]. Mit der Aktion in Ankara haben wir eine historische Abrechnung mit dem kolonialistischen, faschistischen und völkermörderischen System begonnen. Sie war der Gruß der Guerilla an den offensiven Prozess, der stattfindet, um die Isolation von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] zu durchbrechen und seine Freilassung zu erwirken. Sie war eine Warnung an die Verantwortlichen des Vernichtungskonzepts gegen unsere Führung, unsere Bewegung, die Völker und Frauen, ein Signal, dass alle Behörden, die dieses Konzept tatsächlich umsetzen, insbesondere Erdoğan als Initiator dieses Konzepts, im Visier sind.

Es sollte bekannt sein, dass die in diesem Sinne durchgeführten Aktionen weitergehen werden. Die Realität der Fedai, die in unserer Bewegung mit Hevala Zîlan eine neue Formation erhielt und neu definiert wurde, hat sich in den folgenden Jahren weiterentwickelt und ist zum grundlegenden und radikalen Aktionsstil der Guerilla geworden. Wir befinden uns in einer Phase, in der wir darüber diskutieren, wie wir in allen Aspekten gewinnen können, indem wir aus den Lehren der Praxis in der Vergangenheit, aus den Unzulänglichkeiten und Fehlern, die sich in unserem Kampfstil gezeigt haben, lernen. Wenn eine Ideologie und eine daraus entstandene Bewegung Kämpferinnen und Kämpfer hervorgebracht hat, die sich ihr mit Herz und Verstand verschrieben haben, ist es nicht möglich, diese Bewegung aufzulösen. Rojhat Zîlan und Erdal Şahin sind Nachfolger von Menschen wie Zîlan, Bêrîtan, Rewşen, Bermal, Zinar, Doğa, Sara und Rûken. Sie haben den Kräften der kapitalistischen Moderne gezeigt, dass sie die Seele eines echten und freien Menschen nicht kaufen können, dass es Menschen gibt, die nicht nach diesem System leben und trotz allem den Tod für ein sinnvolles Leben riskieren, die sich nicht von den Lichtern der Stadt täuschen lassen, die menschlich sind wie Menschen, die auf Menschlichkeit bestehen. Das Innenministerium und die Geheimdienstler, die angeblich allwissend sind, konnten nicht einmal die Namen dieser wertvollen Genossen ermitteln, bis unsere Kommandantur eine Erklärung abgab. Die staatlichen Kräfte, deren Widersprüche sich mit der Aktion in Ankara noch vertieften, machten fast den ehemaligen Verbrechensminister Süleyman Soylu für die Fedai-Aktion in Ankara verantwortlich.

Nach dem 7. Oktober wird nichts mehr wie vorher sein

Während in der Türkei und auf der Welt über die Ankara-Aktion und ihre gesprochen wurde, führte die Hamas am 7. Oktober einen umfassenden Angriff gegen Israel durch. Dieser Angriff war militärisch-taktisch sehr gut geplant, organisiert und effektiv, und zwar zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Es gibt immer noch Aspekte dieses Angriffs, die verstanden werden müssen. Die Berechnungen und Pläne der Machtzentren im Hintergrund müssen ebenso verstanden werden wie sein Zweck. Denn in diesen Jahren, in denen wir den dritten Weltkrieg erleben, wird nach dem 7. Oktober nichts mehr so sein wie vorher, weder im Nahen Osten noch in restlichen Welt. Der Nahe Osten und die Welt werden neu gestaltet. Da diese Entwicklung natürlich sehr chaotisch verläuft und viele Mächte diesen chaotischen Prozess pragmatisch angehen, ist es für uns ein Prozess, den wir verstehen und genau beobachten müssen.

Strategische Bedeutung eines kurdisch-arabischen Bündnisses

Wie auch immer die Ziele der imperialistischen Mächte und der Hamas aussehen mögen, die gerechte Sache des palästinensischen Volkes kann nicht vertuscht werden. Was das palästinensische und das kurdische Volk einander näher bringt, ist nicht nur ihr Leiden, sondern auch ihr Widerstand gegen Unterdrückung. Die Welt hat lange Zeit ignoriert, was dem palästinensischen Volk ebenso angetan wurde wie dem kurdischen Volk. So wie die Götter Opfer verlangen, opfern die Hegemonialmächte das palästinensische Volk, Frauen und Kinder für ihre eigenen Interessen. Der Völkermord am palästinensischen Volk wird als legitim angesehen, während der gerechte Kampf des palästinensischen Volkes als illegitim betrachtet wird.

Wir erleben wieder einmal die Verdrehung von Tatsachen und der Wahrheit, die klar auf der Hand liegt. Recep Tayyip Erdogan ist für seine opportunistische und rückgratlose Art bekannt und versucht, aus dieser Situation Nutzen zu ziehen. So wie der türkische Staat pragmatisch an den Krieg in der Ukraine herangegangen ist, versucht er auch, von diesem schrecklichen Krieg zu profitieren. Ziel ist es, eine neue nationalistische und religiöse Welle in der Region zu entfachen.

Die fortschrittliche Weltmenschheit, die demokratischen Kräfte, die Frauen, die Jugend und die systemfeindlichen Kräfte müssen die Stimme des Gewissens der Menschheit sein und dieser Unmoral Einhalt gebieten. Nur die organisierte Kraft und der Wille der Völker können diesen schmutzigen Krieg verhindern. Die Alten sagten: „Wenn du Schmerz fühlst, bist du lebendig, aber wenn du den Schmerz anderer fühlen kannst, bist du ein Mensch." Dass die Zahl derer abnimmt, die menschlich sind wie Menschen, zeigt sich daran, dass diejenigen, die gegen die Angriffe in Palästina ihre Stimme erheben sollten, dies aber nicht tun, sich auch angesichts der Luftangriffe auf Nord- und Ostsyrien zusammengeschlossen haben und diese mit der Aktion in Ankara begründen. Die Einheit des Schicksals des palästinensischen und des kurdischen Volkes, die Einheit ihres Leidens, sollte zu mehr Einheit im Kampf führen. In der nächsten Zeit sollte die Entwicklung eines kurdisch-arabischen Bündnisses als strategische Allianz auf der Grundlage des Paradigmas einer demokratischen Nation mehr Priorität eingeräumt werden.

Die Gefechte zwischen der türkischen Besatzungsarmee und der Freiheitsbewegung Kurdistans in den Medya-Verteidigungsgebieten dauern an. Auf welchem Niveau befindet sich der Krieg im Moment?

Auch wenn der Krieg zwischen Israel und der Hamas derzeit die Tagesordnung beherrscht, unsere Kommandantur und die Leitung unserer Bewegung nehmen immer wieder Bewertungen zum Krieg gegen die Freiheitsguerilla Kurdistans vor. 2023 ist ein Jahr des heftigen Krieges. Die Angriffe gegen die Guerilla in den letzten acht Jahren als reine Operationen zu bewerten, reicht nicht aus, um die bestehende Realität zu definieren, zu verstehen oder zu erklären. Insbesondere der Widerstand gegen die am 20. Juli wieder aufgenommene Invasion in der westlichen Zap-Region (Şehîd Delil) zeigt auf, wie freie Gebiete mit effektiven Aktionen verteidigt werden können. Im Jahr 2022 wurde eine neue Seite in unserer Kriegsdoktrin aufgeschlagen. Unser Kampf basiert auf spezialisierten Teams im Gelände und in Tunneln, die eine hohe Kreativität, Organisation und taktische Fähigkeiten entwickelt haben.

Der Guerillakampf hat stark an Dynamik gewonnen

Dank der erweiterten Taktik der Guerilla kam es in diesem Jahr zu einer Vertiefung im Lichte der Lehren aus der Praxis der vergangenen Jahre. Die von den YJA Star angeführten Angriffe, Sabotageakte, Attentate und Infiltrationen sowie die auf Technik basierenden taktischen Erweiterungen haben den Feind überrascht. Die feindlichen Kräfte waren davon ausgegangen, dass die Guerilla in einer rein defensiven Position verharren würde. Sie haben nicht mit dieser Art von Widerstand gerechnet und wurden durch die Angriffe der Guerilla überrascht. Das Zusammenwirken von technischer Kraft und menschlichem Geist und Herz hat den Verlauf des Krieges verändert. In den Aufnahmen, die wir aus dem Kriegsgebiet bekommen, spiegeln sich die inneren Kämpfe der Soldaten, ihre Auseinandersetzungen und die Auswirkungen des von ihnen erlebten Syndroms wider. Einige dieser Bilder wurden an die Medien und die Öffentlichkeit weitergegeben. Solche Bilder werden auch in der kommenden Zeit veröffentlicht werden.

Es gab eine Periode starker und abschreckender Schläge gegen den Feind in militärischer Hinsicht. Die Invasionsangriffe blieben erfolglos. Dank der wirksamen Aktionen der Guerilla und der Schärfe des Schlagstils wurden sie abgewehrt. In dem Maße, in dem die Angriffe zunahmen, gewann auch unser Guerillakampf an Dynamik. Vor allem die im August durchgeführten Aktionen waren es, die das Schloss der Operation, die sie Pençe-Kilit (Claw-Lock) nannten, durchbrachen. Obwohl der Feind alle seine Technik und verbotene Waffen einsetzte, hatte er kein Mittel gegen unsere Guerillakräfte im Zap. Diese Situation veranlasste den Feind zu einer neuen Einschätzung. Nach den Regeln des Krieges gilt unter normalen Bedingungen: Wenn ein Kommandeur den Krieg erfolgreich führt, wird er nicht mitten im Krieg entlassen oder die Kriegskoordination geändert. Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass man nicht die Pferde wechselt, wenn man einen Fluss überquert. Bei der Operation Pençe-Kilit wurde das Pferd jedoch während der Überquerung des Flusses gewechselt. Die Kriegskoordination des Operationsgebiets wurde aufgrund des Fehlschlags geändert. An seiner Stelle wurde Generalmajor Emre Tayanç ernannt, auf den sie nun ihre Hoffnungen setzen.

Neuer Generalmajor ändert den Stil der Kriegsführung

Sobald Emre Tayanç sein Amt angetreten hatte, änderte er den Stil der Kriegsführung und die Taktik im praktischen Bereich. Sie versuchten erneut, in die Kriegstunnel einzudringen, obwohl sie es in früheren Zeiten schon mehrfach versucht hatten und gescheitert waren. Zuvor wurden sie in den Gebieten Şehîd Şahin, Girê FM und Girê Amêdî enttäuscht, und die Leichen ihrer Soldaten fielen in die Hände unserer Kräfte. Wiederholte Versuche waren erfolglos. Darüber hinaus wurden verstärkt bombenbeladene Drohnen eingesetzt, um die Soldaten zu entlasten, die sich den Tunneleingängen nicht nähern und vor Guerillaaktionen nicht schützen konnten und an einem Syndrom litten. Die Soldaten, die tagsüber auf Schritt und Tritt von den Kugeln der Guerilla getroffen wurden, bewegen sich nun hauptsächlich nachts.

Emre Tayanç scheint verschiedene und verrückte Methoden auszuprobieren, um sich zu beweisen. Der Verlauf der Ereignisse auf dem Kampffeld deutet nämlich darauf hin, dass sich die Soldaten in diesem Winter nicht zurückziehen werden. So wie Enver Pascha seine Armeen trotz des tiefsten Winters auf das Schlachtfeld führte, scheint Emre Tayanç aufgrund seines persönlichen Ehrgeizes und seiner populistischen Eigenschaften zu irrationalen Taktiken zu greifen. Dieser Typ, der mit Osman Pamukoğlu verglichen wird, der in der Zeit zwischen 1993 und 1995, als wir unsere Guerilla als ARGK organisierten, Befehlshaber der türkischen Streitkräfte war, wird als Retter für die Soldaten dargestellt, die blockiert und eingesperrt im Zap festsitzen. Sie hoffen, dass dieser Kommandowechsel die Blockade überwinden wird. Osman Pamukoğlu war jemand, dem Doğan Güreş viel Vertrauen entgegenbrachte und auf den er seine Hoffnungen setzte. Er hatte acht große Operationen organisiert und scheiterte am Widerstand und der Tapferkeit unserer Guerilla. Auch Emre Tayanç wird zwar propagiert und als Retter der Besatzungssoldaten dargestellt, die im Feld eine tiefe taktische Blockade erleben, aber auch er ist angesichts des stählernen Willens, des starken Glaubens und der unerschütterlichen Loyalität der apoistischen Guerilla zur Niederlage verurteilt.

Zweiter Teil morgen: Die Rolle der PDK und die Notwendigkeit organisierter Selbstverteidigung