Der Beginn des bewaffneten Kampfes und die Frauenguerilla

Zozan Çewlik, Kommandantin des zentralen Hauptquartiers der YJA Star (Verbände Freier Frauen), hat sich gegenüber ANF zum Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK in Kurdistan am 15. August 1984 geäußert.

Die Offensive vom 15. August hat eine große Rolle dabei gespielt, dass das kurdische Volk seine Existenz bewahren konnte. Der Guerillakampf, der sich auf der Linie von Heval Egîd entwickelte, hat ein Novum in der kurdischen Geschichte erschaffen. Die Kurdinnen und Kurden sind seit Jahrhunderten Ausbeutung, Krieg, Massakern und einem Völkermord ausgesetzt. Aus diesem Grund ist es in ihrer Geschichte häufig zu Verrat gekommen. Die Gesellschaft wurde zersplittert und gespalten. Auf der anderen Seite haben die Kurden immer gegen die Besatzer gekämpft und den Widerstand nie aufgegeben. Vor der PKK haben viele Aufstände stattgefunden, die jedoch niemals lange anhielten. Sie wurden mit Massakern und Vertreibung niedergeschlagen. Die Kurdinnen und Kurden gerieten angesichts des Feindes in einen Zustand der Hoffnungslosigkeit.

Die Offensive vom 15. August war anders. Sie war organisiert und verfolgte eine Strategie und ein Ziel. Die klassische kurdische Kampfweise wurde überwunden. Aus diesem Grund kann der türkische Staat die Guerilla in Kurdistan bis heute nicht besiegen. Der 15. August hat zu grundlegenden Veränderungen für das kurdische Volk geführt, und das gilt auch für die kurdischen Frauen. Durch die Offensive ist große Hoffnung in der Bevölkerung aufgekommen. Das kurdische Volk ist im revolutionären Kampf zu einem willensstarken, organisierten und hoffnungsvollen Volk geworden.

Die Realität von Frauen in Kurdistan

Wenn wir uns die Realität kurdischer Frauen anschauen, dann sehen wir eine seit 5000 Jahren andauernde Versklavung innerhalb des männlichen Herrschaftssystems. Sie wurden sowohl als Kurdinnen als auch als Frauen versklavt. Im patriarchalen Herrschaftssystem wurde Gewalt gegen Frauen legitimiert. Frauen wurden nicht als Menschen angesehen, sie wurden zur willenlosen Ware und Grundlage eines patriarchalen Ehrbegriffs gemacht. Das war die herrschende Vorstellung. Dabei spielten Frauen eine wesentliche Rolle in der Gesellschaft. Sie wurden jedoch aus vielen Bereichen ausgeschlossen. Das war auch in Kurdistan Realität.

Wenn wir die Geschichte aus anderer Perspektive betrachten, sehen wir kurdische Frauen, die bei jeder Gelegenheit für Freiheit gekämpft und niemals vor dem Feind kapituliert haben. Um sich nicht zu ergeben und ihre Ehre und Würde zu verteidigen, haben sie sich in die Luft gesprengt und in Abgründe gestürzt, sie haben den Widerstand angeführt. In der kurdischen Geschichte gibt es viele Heldinnen. Kurdinnen haben trotz der erlebten Massaker am Freiheitskampf teilgenommen. Rêber Apo [Abdullah Öcalan] war ein großes Glück für das kurdische Volk und ebenso für die kurdischen Frauen. Seine Einstellung zum Frauenbefreiungskampf ist eindeutig. Der Frauenkampf und die Frauenguerilla sind mit Rêber Apo zusammen aufgebaut worden. Theorie und Praxis fanden gleichzeitig statt.

Frauen waren von Anfang an am Kampf beteiligt

Frauen sind seit der Entstehung unserer Bewegung in die revolutionäre Arbeit einbezogen worden. Der Willen und die Farbe von Frauen wurden in den Vordergrund gestellt. Das war schon immer die Einstellung von Rêber Apo und unserer Bewegung. Und seit Rêber Apo diesen Kampf begonnen hat, sagen kurdische Frauen: Wir sind bei diesem Widerstand dabei, was auch immer es kosten mag. Ein Beispiel dafür ist der Widerstand von Heval Sara [Sakine Cansız] im Kerker von Amed. Frauen wurden auf allen Ebenen angegriffen, sowohl vom Feind als auch von der Gesellschaft. Heval Sara hat die Realität von Rêber Apo und der Partei sehr früh erkannt und sich dem Kampf angeschlossen.

Die Offensive vom 15. August stellte einen Wendepunkt in unserer Geschichte dar und führte sowohl in unserer Bewegung als auch in unserer Gesellschaft zu strategischen Veränderungen. Sie zeigte die Wege und Methoden der Kampflinie. Auch die kurdischen Frauen zögerten nicht und nahmen daran teil. Der 15. August hatte eine positive Wirkung auf den Frauenguerillakampf. Eine autonome Armee entstand erst 1993, aber Frauen kämpften bereits vorher bewaffnet. Heute kämpfen Frauen überall in Kurdistan gegen den Feind. Sie vollbringen große Heldentaten und es gibt viele wertvolle Gefallene. Für den Freiheitskampf von Frauen war die Offensive vom 15. August eine Grundlage.

Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres Mal mit großem Respekt an unsere Pionierinnen erinnern, die sich als erste dem Guerillakampf angeschlossen haben. Die YJA Star sind konkreter Ausdruck der Widerstandslinie, die von Frauen wie Hanım Yaverkaya, Besê Anuş, Azime, Çiçek Selcan, Rahime, Ozan Mizgîn, Adife Sakık, Heval Sara, Bêrîvan, Zîlan und Bêrîtan erschaffen wurde. Als Frauen verdanken wir der Offensive vom 15. August und unseren Pionierinnen sehr viel. Denn diese Frauen haben nicht nur gegen den Feind gekämpft, sondern auch gegen eine Gesellschaft, die nur Männer als stark ansah. Deshalb blieben sie im bewaffneten Kampf nicht zurück. Heute sind kurdische Frauen in allen Bereichen organisiert. Sie haben sich durchgesetzt und Erfahrung gesammelt.

Die Frauen haben sich kämpfend befreit

Wer uns nicht kennt, ist beim ersten Kennenlernen erstaunt und fragt sich, wie es innerhalb einer Revolution zwei Revolutionen geben kann, und innerhalb einer Guerillaarmee zwei Armeen. Das zu begreifen fällt schwer, wenn man die Philosophie von Rêber Apo nicht kennt. Als YJA Star und HPG haben wir denselben Ursprung, nämlich die Offensive vom 15. August 1984. Viele Bewegungen weltweit haben zur Methode des Guerillakampfes gegriffen, um ihre Freiheit zu verteidigen. Auch Frauen haben an diesen revolutionären Kämpfen teilgenommen und einen großen Preis dafür gezahlt. Aber die PKK hat bei diesem Thema gezeigt, dass sie anders ist. Die Guerilla in Kurdistan stellt gleichzeitig eine Lebensweise dar. Die Lebensweise bestimmt die Kampfweise. Frauen sind zu einer organisierten Kraft mit eigenem Willen geworden. Das macht den Unterschied der Guerilla in Kurdistan aus. Aus der Offensive vom 15. August sind mutige Pionierinnen hervorgegangen, die ebenso gegen den Feind kämpfen wie gegen alles Reaktionäre. Die kurdischen Frauen haben sich mit ihrer Armee im Leben wie im Krieg bewiesen. Sie haben sich kämpfend befreit.

Die Frauenguerilla hat das männliche Herrschaftsdenken verändert

Früher konnten Frauen sich nicht verteidigen. Rêber Apo, die PKK und die Entstehung einer Frauenarmee haben eine Veränderung und Transformation bewirkt. Wir betrachten die Guerilla nicht nur aus militärischer Perspektive. Bei dem herbeigeführten Wandel spielt die Frauenguerilla eine ausschlaggebende Rolle. Sie hat das auf männlicher Herrschaft basierende Denken verändert. Und das ist einer der Unterschiede, der die Guerilla in Kurdistan ausmacht. Der 15. August war die Grundlage dafür, dass kurdische Frauen zeigen, wie sie kämpfen und leben wollen. Aus diesem Grund hat das türkische Militär als eine der größten Armeen der NATO trotz der Unterstützung vieler herrschender Mächte und der Kollaborationslinie in Kurdistan seit 39 Jahren keinen Erfolg gegen die Guerilla.

Ein wesentlicher Grund dafür ist die Stärke, die die PKK durch die Entstehung der Frauenarmee gewonnen hat. Der Einfluss, der Willen und der Mut von Frauen haben sowohl Frauen als Männer grundlegend verändert. Das Paradigma von Rêber Apo erschafft bei beiden eine freie Persönlichkeit. Die Linie von Kommandant Egîd ist für die Freiheitsguerilla Kurdistans zu einer Lebens- und Kampfweise geworden. Der Kampf der Kurdinnen wird weltweit als Vorbild wahrgenommen. Unser Guerillakampf hat allen gezeigt, dass Freiheit ohne Verteidigung nicht möglich ist. Die Frauen und die Gesellschaft, die allen Teilen Kurdistans für Freiheit kämpfen, orientieren sich an der Guerilla. Sie ist ein Modell für alle Frauen und Völker, die Freiheit wollen.

Die auf Kurdisch geführte Reportage wurde für die deutsche Fassung gekürzt.