Mahsum Korkmaz wurde 1956 im Dorf Gulazar in Farqîn (tr. Silvan) geboren. Den ersten Blick auf das Leben warf er in einem vom kurdischen Patriotismus geprägten Umfeld. Doch schon im Alter von nur sieben Jahren sollte er sich erstmals der harten Realität des türkischen Staates gegenübersehen. Sein Vater Şeyhmus Korkmaz, der in jenen Jahren als LKW-Fahrer arbeitete, erlitt einen Verkehrsunfall. Der junge Mahsum eilte zur Internatsschule im Ort, um seinen Geschwistern davon zu erzählen. Weil er dies in seiner Muttersprache Kurdisch tat, zog er den Zorn eines Lehrers auf sich. Als er versuchte zu flüchten, riss er sich beim Sprung über den Zaun einen Daumen ab.
Doch Mahsum Korkmaz hatte Glück; der abgetrennte Finger konnte ihm wieder angenäht werden. Bleibende Schäden trug er nicht davon. 1970 zog die Familie um und ließ sich im Zentrum von Êlih (Batman) nieder. Der Sohn, der schon früh durch seine eigenwillige, mutige und rebellische Art auffiel, machte im zweiten Jahr an der Mittelschule erneut Bekanntschaft mit Bediensteten des türkischen Staates.
Der jugendliche Egîd
Die Klasse saß im Unterricht für Geschichte und Erdkunde, als der Lehrer von allen möglichen Völkern der Welt erzählte – nur die Kurdinnen und Kurden mit keinem Wort erwähnte. Das machte Mahsum Korkmaz zornig. Er lieferte sich einen heftigen Schlagabtausch mit seinem Lehrer und wurde im Gegenzug von der Schulleitung zu einer Disziplinarstrafe verdonnert. Später auf dem Gymnasium sollte er landesweit in die Schlagzeilen kommen, weil er die am Fahnenmast im Schulhof wehende Flagge der Türkei herunterholte und stattdessen die Kurdistan-Fahne hisste.
Eine Legende in Êlih
Mahsum Korkmaz stieß 1976 über Mazlum Doğan zu der Gruppe, aus der später die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgehen sollte. Dieser war im Herbst jenes Jahres während der Formierungsphase in Êlih, um die Organisierung voranzutreiben. Diese erste Begegnung mit der kurdischen Befreiungsbewegung hielt Mahsum Korkmaz später in einem Bericht fest:
„Faktoren wie meine Herkunft aus Farqîn als eine Region, in der patriotische Ideen verbreitet sind, der Einfluss der revolutionären Bewegung der Türkei, meine humanistischen Gefühle und meine Verbindungen zu progressiven und intellektuellen Jugendstrukturen spielten eine Rolle bei meiner Entwicklung zum Revolutionär. Der Einstieg ins revolutionäre Leben begann jedoch mit unserer Bewegung. Sicherlich empfand ich zuvor Sympathien für die Revolution, aber Beziehungen zu irgendeiner politischen Bewegung hatte ich nicht … Mit Blick auf die Herausbildung verschiedener politischer Fraktionen innerhalb der intellektuellen Jugend infolge unterschiedlicher Ideologien in den Vereinen, in denen sie sich organisierte; mein Interesse an der avantgardistischen Natur unserer Bewegung und der allgemeine Konsens vieler meiner engen Freunde drängte mich im Angesicht reformistischer und sozialchauvinistischer Gruppen auf die Seite unserer Bewegung.“
Egîd zur Zeit, als er das Gymnasium besuchte
Nach seinem Beitritt in die Gruppe, die in jenen Jahren unter den Namen „Studierende“, „Revolutionäre Kurdistans“ oder „Apoisten“ bekannt war, sollte es nicht mehr lange dauern, bis Mahsum Korkmaz sich zu einem Revolutionär entwickelte, über den alle in Êlih sprachen. Dieser junge Mann von schlanker Statur, der nicht besonders hoch gewachsen war, und dem man seines rebellischen Charakters wegen den Spitznamen Çakuç (Hammer) gegeben hatte, führte in den Jahren zwischen 1977 und 1979 den Bauernwiderstand für die Rückgabe der Länder an, die von den mit dem Staat kollabierenden Großgrundbesitzern beschlagnahmt worden waren. In Serêgir beispielsweise, einer alten Siedlung von Êlih, gelang den enteigneten Bauern unter der Führung von Mahsum Korkmaz, ihre Eigentumsurkunden zu erkämpfen.
Sein Bruder Seyfettin Korkmaz
Im Juni 1979 beteiligt sich Mahsum Korkmaz am Widerstand der Bevölkerung gegen die Einstellungspraxis des staatlichen Ölkonzerns TPAO, der bei der Ölförderung in Êlih nur Mitarbeiter:innen aus dem Westen der Türkei einstellte. Im Rahmen dieses tagelang andauernden Widerstands sitzt er als Vertreter der Jugend von Êlih und Umgebung am Verhandlungstisch mit den Vertretern des türkischen Staates und setzt die Einstellung von Arbeiter:innen aus der Region durch.
Wie kommt er zum Namen Egîd?
Abdullah Öcalan war am 2. Juli 1979 über Pîrsus (Suruç) über die Grenze nach Kobanê und von dort ins libanesisch-palästinensische Gebiet gegangen. Dort organisierte er die militärischen und politischen Ausbildungsaktivitäten. Auf Anweisung Öcalans erreicht im September des gleichen Jahres ein 15-köpfiger Kader den Libanon, um eine Ausbildung im Guerillakrieg zu erhalten. In dieser Gruppe befindet sich auch Mahsum Korkmaz. Wegen des Widerstands in Êlih erhält er den Namen Egîd. Eine andere Theorie zu seinem Namen ist, dass er vom sozialen Banditen Agit Adıgüzel, der 1967 gefasst worden war und um den sich viele Mythen in Êlih rankten, tief beeindruckt war und daher dessen Namen übernahm.
Nach ihrer Ausbildung im Libanon kehrten die PKK-Guerillakämpfer:innen in drei Gruppen im Mai und Juni 1980 von der Libanon-Palästina-Front nach Nordkurdistan zurück. Die Gruppe unter dem Kommando von Mehmet Sevgat ging nach Semsûr (Adıyaman) an die Toros-Front, eine Gruppe unter dem Kommando von Delil Doğan an die Dersim-Front und eine Gruppe unter dem Kommando von Kemal Pir und Mahsum Korkmaz an die Sêrt-Botan-Front.
Während ihrer Arbeiten am Aufbau des Guerillakampfes gerieten Kemal Pir und Mahsum Korkmaz am Abend des 12. August 1980, als sie mit einem Auto unterwegs waren, in einen Hinterhalt der türkischen Armee. Mahsum Korkmaz bemerkte die Soldaten und warf sich hinten auf einen Pick-Up und entkam. Kemal Pir geriet in Gefangenschaft. Mit der Gefangennahme des PKK-Führungskaders Kemal Pir fielen dem türkischen Staat viele Dokumente und Anordnungen in Bezug auf den bewaffneten Kampf in die Hände. Der türkische Staat wusste nun, dass es in den Bergen Kurdistans ausgebildete Guerillakämpfer:innen gibt, und beschleunigte die Umsetzung des Militärputsches, der einen Monat später am 12. September stattfinden sollte.
Die tragische Geschichte der Familie von Mahsum Korkmaz
Egîds Schwester Meryem Korkmaz (rechts)
Mahsum Korkmaz war damit ebenfalls aufgeflogen und befand sich nun im Visier des türkischen Staates. Aber es gelang ihm wie vielen anderen Militanten der PKK auch, sich mit dem Militärputsch ins „Ausland“ zurückzuziehen. Der türkische Staat konnte Korkmaz nicht ergreifen und richtete sich daher gegen seine Familie. Zuerst nimmt sich sein Bruder Seyfettin Korkmaz, nachdem er die Folter und Repression nicht mehr ertragen konnte, das Leben. Vier Monate nach diesem schmerzhaften Ereignis fiel seine Schwester Meryem Korkmaz. Sie war an der Aufbauarbeit der Organisation beteiligt. Als sie von der türkischen Polizei gestellt wurde, opferte sie sich selbst, um nicht in die Hände des Feindes zu fallen. Nach dem Tod von Meryem Korkmaz wird der Vater Şeyhmus Korkmaz festgenommen und auf das Brigadekommando von Sêrt gebracht. Dort wird er zu Tode gefoltert.
Egîds Vater Şeyhmus Korkmaz
Der kleinste Bruder von Mahsum Korkmaz, Veysel Korkmaz, wurde inhaftiert. Nachdem er aus dem Foltergefängnis von Amed entlassen wurde, schloss er sich unter dem Codenamen „Egîdê Piçûk“ (kleiner Egîd) der Guerilla an. 1995 fiel er am Berg Helkis in Qabilcewz (Sason) an der Grenze zum Bezirk Hezo (Kozluk).
Sein jüngster Bruder Veysel Korkmaz (ganz links)
Der Weg zum 15. August
Nach der 1. Konferenz der PKK im Juli 1981 wurde Mahsum Korkmaz gemeinsam mit Mehmet Karasungur im Oktober nach Süd- und Ostkurdistan entsandt, um die vor dem Militärputsch unter der Führung von Kemal Pir unvollendete Organisierung des bewaffneten Kampfes aufzugreifen. Anfang 1983 wurde das Lager „Lak I“ in einer engen Schlucht mit steilen Klippen auf beiden Seiten am Zap-Fluss errichtet. Egîd und andere Guerillakommandant:innen bereiteten sich im Lager Lak I mit sehr begrenzten Möglichkeiten auf den Beginn des bewaffneten Kampfes in Kurdistan vor. Nach Egîds Meinung sollte von Lak I über Şirnex, Dih (Eruh), Hawêl (Baykan), Hezo bis Qabilcewz eine Guerillafront eröffnet werden. Vom 6. bis 12. Dezember 1982 versammelten sich die ersten Guerillaeinheiten der PKK in Nordkurdistan zum einem Treffen unter der Leitung von Mehmet Karasungur. Egîd wurde dort mit der Aufgabe betraut, die militärischen Aktivitäten zu planen und zu organisieren. Nach langen Überlegungen wurde beschlossen, den bewaffneten Kampf in Dih und Şemzînan am gleichen Tag aufzunehmen. Egîd wurde mit der Leitung der Aktion in Dih beauftragt.
Nach langer Aufklärung und Planung umzingelte am Abend des 15. August 1984 eine dreißigköpfige Guerillaeinheit unter dem Kommando von Egîd von drei Seiten den Ort Dih. Diese Aktion ist als „erste Kugel gegen die Kolonialisten“ in die Geschichte eingegangen. Die Gruppe teilte sich gegen 21.00 Uhr in drei Züge auf und ging in den Ort. Wenige Minuten später wurde das erste Feuer auf die Wachtürme der Basis der Militärpolizei eröffnet. Im obersten Stockwerk des Gebäudes der Militärpolizei schlug eine Rakete ein. Kurz danach befand sich das zweistöckige Militärgebäude in der Hand der Guerilla. Die Soldaten waren in Panik. In diesem Moment begann die größte Angriffsgruppe ihre Aktion gegen die Garnison der Offiziere.
Fünf Minuten nach dem ersten Schuss gelang es den Kämpfer:innen in die Unterkunft der Kommandanten der türkischen Armee zu gelangen. Dabei wurde nur ein Kämpfer an der rechten Hand verletzt. Die gefangenen Soldaten sagten, der Hauptmann sei im Urlaub und der diensthabende Major sei beim ersten Feuer geflüchtet. Einige Kämpfer:innen verschütteten Benzin im Regierungsgebäude und zündeten es an, während andere Kämpfer:innen in die Moschee gingen, um ihre Aktion bekannt zu machen. Über die Lautsprecher der Moschee verkündeten sie die Gründung der Befreiungskräfte Kurdistans (Hêzên Rizgariya Kurdistanê, HRK). Die Schüsse und die Erklärung, die durch die Nacht in dieser kurdischen Kleinstadt hallten, haben ausgereicht, um die über Kurdistan ausgebreitete Dunkelheit zu zerreißen.
28. März 1986 – Gabar
Egîd (Mahsum Korkmaz)
Die Kämpfer:innen unter dem Kommando von Egîd beschränkten sich nicht auf die eine historische Aktion am 15. August. Innerhalb weniger Monate führten sie eine ganze Serie von Aktionen gegen Ziele des türkischen Staates durch. Anschließend zogen sie sich wieder in den Libanon zurück. Nach einem Treffen mit Abdullah Öcalan ging es im April 1985 wieder nach Nordkurdistan.
Das Jahr 1985 verlief schwer und mit erheblichen Verlusten. Nach dem Winter bereitete die HRK für Newroz 1986 einen neuen qualitativen Sprung vor. Zu dieser Zeit startete die türkische Armee großangelegte Operationen. Egîd versuchte, mit einer 24-köpfigen Gruppe von Gabar ins südkurdische Heftanîn zu gelangen. Auf diesem Weg geriet die Gruppe am 28. März in einen Hinterhalt der türkischen Armee. In diesem Hinterhalt fiel Egîd. Egîd – oder sein anderer Name Mahsum – sollte nicht nur ein Name werden, der neugeborenen kurdischen Kindern gegeben wird, sondern auch als eine Schlüsselfigur in die Weltgeschichte des Freiheitskampfs eingehen.