Zunächst stellte die Doktorandin Ida Käyhkö die Theorien Abdullah Öcalans zum demokratischen Konföderalismus vor. Käyhkö zeigte auf, dass demokratische Strukturen schon immer existiert haben, beispielsweise in Familien oder religiösen und philosophischen Bewegungen, bevor sie vom Kapital vereinnahmt wurden. Leider wurde ihre Geschichte nicht immer gut dokumentiert. Der Sozialismus im 20. Jahrhundert sei vor allem daran gescheitert, dass er die Rolle des Nationalstaates und seine Aufgabe, Unterdrückung durchzusetzen, nicht abschließend analysiert habe. Der Nationalstaat homogenisiere die Menschen, anstatt Vielfalt zu fördern.
Im Vergleich dazu ermögliche der demokratische Konföderalismus eine vielschichtige politische Struktur, horizontal wie vertikal, um Einheit in Vielfalt zu schaffen. Er basiere auf Gesellschaftlichkeit und Moral. Viele unterschiedliche Identitäten, Ethnien, Religionen, Geschlechter und Kulturen sollen sich in ihm ausdrücken können. Jeder Ort, jede Lokale müsse organisiert werden, um physische und psychische Selbstverteidigung gegen das zerstörerische System von Patriarchat und Kapital aufzubauen.
Danach wurde ein Grußvideo von Duran Kalkan gezeigt. Anschließend eröffnete Nick Matheo, Forscher und Dozent für Global Medieval History an der Universität von Edinburgh, das Podium.
Es ist ein Kampf ein Mensch zu sein und ein Mensch zu bleiben
Die erste Rednerin war Ebru Günay, Anwältin und Expertin für Menschenrechte. 2009 wurde sie inhaftiert, weil sie Abdullah Öcalan verteidigte, und konnte das Gefängnis erst 2015 wieder verlassen. Aktuell ist sie Parlamentsabgeordnete der HDP und Sprecherin ihrer Partei. Das wesentliche Thema ihres Beitrages waren Widerstand und Organisierung. Auf dem Weg zur Befreiungsbewegung sei eine starke Front des Widerstandes und eine starke Verbindung durch Solidarität notwendig. Um sich und die Gesellschaft zu schützen sei es notwendig, eine Selbstverteidigung zu entwickeln. Dafür sei es wiederum notwendig, sich selbst gut zu kennen. Obwohl der Geist der Solidarität natürlicherweise unter Menschen verbreitet sei, führten die gegenwärtigen Verhältnisse dazu, dass es ein Kampf sei, ein Mensch zu sein und ein Mensch zu bleiben.
Günay ging weiter darauf ein, dass die Schrecklichkeiten des Nationalstaates kein Zufall sind. Nationalstaaten kreierten Hass und entfernten Menschen gezielt von ihrem eigenen Selbst, etwa durch Individualismus, um diese zu beherrschen. Eine organisierte Gesellschaft hingegen sei der Albtraum des kapitalistischen Systems. Abschließend ging sie auf die Praxis der HPD ein. Diese vereine verschiedenen Ethnizitäten und Identitäten in einer durch den türkischen Staat stark polarisierten Gesellschaft. Doch in schmerzhaften und extremen Situationen, wie dem Erdbeben Anfang Februar, bei dem keine ausreichende staatliche Hilfe geleistet, stattdessen sogar verhindert und instrumentalisiert wurde, würde die Realität erkennbar, dass die Gesellschaft die Kraft in sich trägt, sich selbst zu helfen. Damit machte sie nochmals deutlich, dass Widerstand und Organisierung trotz Unterdrückung und Gewalt Hoffnung auf Frieden geben.
Die Körper und Seelen von Frauen explodieren
Adrianne Guzmán Arroyo ist Aymara, Lesbe, Feministin und populäre Pädagogin. Sie ist Teil von Feminismo Communitario Antipatriarcal und Feministas de Abya Yala. Außerdem nahm sie teil am Prozess zur Indigenen Autonomie im Vielnationenstaat Bolivien. Ihr Ansprache hielt sie am Pult, an dem sie ein Plakat mit der Aufschrift „DINA ASSESINA“ (dt: Mörderin Dina [Boluarte]) befestigt hatte. Damit machte sie auf den Putsch in Peru aufmerksam, bei dem seit Dezember letzten Jahres dutzende Menschen getötet und tausende verletzt wurden. Guzmán Arroyo rief dazu auf, nicht nur Solidarität zu zeigen, sondern Verantwortung zu übernehmen. Außerdem sprach sie besonderen Dank an ihre Schwestern aus Bolivien aus, die die Territorien ihrer Kämpfe verlassen hatten, um an der Konferenz teil zu nehmen. Anknüpfend an den Titel der Konferenz „Wir wollen unsere Welt zurück!“ stellt Guzmán Arroyo die Frage: Welche Welt? Als kommunalistische und antikapitalistische Feministin erklärt sie das große Projekt der Moderne, welches Fortschritt, Bildung, Zivilisation und Gerechtigkeit verspricht, als gescheitert. Die Zerstörung, die das herrschende System anrichte, sei in der Zerstörung von Gemeinschaften und besonders auch von Frauenkörpern zu sehen. Die patriarchale Mentalität sei ebenso die Grundlage zur Unterwerfung der Natur.
Die Körper und Seelen von Frauen explodierten genauso, wie die Erde in den Minen, in denen Rohstoffe gewonnen werden. Ökozide können nie ohne den Zusammenhang mit Feminizid verstanden werden. Guzmán Arroyo ging außerdem auf die Erfahrungen der Frauen aus Bolivien ein. Zunächst machte sie deutlich, dass der Staat zu nichts nutze und nur das rassistische, sexistische, kapitalistische Patriarchat füttere. Außerdem kritisierte sie, dass viele linke Parteien noch immer noch von Machtübernahme redeten und damit vom Staat. Darüber hinaus sei der Sexismus ein großes Problem und die Liebe der Männer zum Staat. Guzmán Arroyo kritisierte Parteien generell als Instrument von Revolutionär:innen und forderte zu hinterfragen, welche Rolle Parteien innerhalb revolutionärer Bewegungen spielen können. Schließlich führte Guzmán Arroyo die Idee der „Pädagogik des Schweigens“ ein. Nach tausenden Jahren des Patriarchats sei es an der Zeit, dass Männer schweigen. Dieser entschlossene Impuls wurde von den Zuhörenden mit Applaus aufgenommen. Guzmán Arroyo führte weiter aus, dass die Hauptwaffe immer Selbstorganisierung sei. Das Wichtigste für sie sei in all dem die Gemeinschaft, nicht der Feminismus. Der Feminismus laufe immer Gefahr rassistisch, kolonialistisch oder bürgerlich zu sein. Sie sei auf der Suche nach Solidarität von Gleichen zu Gleichen, nach Solidarität von Volk zu Volk. Diese starken Worte wurden mit lauten Rufen wie „Jin, Jiyan, Azadî“ und „Abya Yala Resiste“ der Teilnehmenden abgerundet.
Mit lokalen Kämpfen für territoriale Verteidigung zum demokratischen Weltfrauenkonföderalismus
Anschließend wurde das Wort der Sprecherin des National Indigenous Congress (CNI) Marichuy (María de Jesus Patricio Martinez) übergeben. Der CNI wurde 1996 mit Unterstützung der zapatistischen Bewegung gegründet und dient als Ort der Vernetzung und Organisierung für die indigene Bevölkerung in Mexiko. Die Menschenrechtsaktivistin und Heilerin Marichuy, erste indigene Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 2018 in Mexiko, begann ihre Rede mit einer Kritik am globalen Kapitalismus und den dazugehörigen transnationalen Konzernen, die die Territorien der indigenen Völker „begehren“. Der Tren Maya etwa, ein Großprojekt des Staates und der Deutschen Bahn, sei ein Beispiel dafür, wie die eigenen Gebiete an Großkapital ausgeliefert werden. Dieses Projekt fuße auf der Ausbeutung der Natur und der Arbeiter:innen, die für den Bau notwendig seien. Der CNI stelle sich klar gegen dieses Projekt und gegen die mexikanische Regierung und kämpfe für das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung.
Dass der Kampf gegen patriarchale Gewalt kein einfacher sei und auch in ihren eigenen Reihen stattfinde, reflektierte Marichuy ehrlich im zweiten Abschnitt ihrer Rede. So sei sie in der Anfangszeit des CNI eine der wenigen Frauen im Plenum. Sie und ihre Schwestern seien inspiriert von der kurdischen Freiheitsbewegung. Im CNI solle zukünftig mehr Austausch zwischen Frauen innerhalb des Netzwerkes stattfinden, mit dem Ziel, einer kommunalen gerechteren Gesellschaft nicht-kapitalistischer und nicht-patriarchaler Autonomie immer näher zu kommen. Dafür findet im kommenden August das erste Frauentreffen des CNI statt. Abschließend plädierte Marichuy für den Aufbau eines globalen revolutionären Bündnisses von Frauen: dem demokratischen Weltfrauenkonföderalismus.
Widerstand und Freiheit für Pacha Mama
Der Chirurg, Autor, Aktivist und Pädagoge Manuel Rozental begann seine Rede mit einem Zitat des Nasa-Volkes aus der Cauca-Region in Kolumbien: „Worte ohne Taten sind leer, Taten ohne Worte sind blind. Worte und Handlungen, die nicht dem Geist der Gemeinschaft entsprechen, sind tot“. Rozental ist Teil mehrerer Kollektive wie Puebles en Camino, Plural Solitudes oder We the Indians. Er betonte, dass sich diese außerhalb kapitalistischer Logik bewegten und vor allem das Lernen, Zuhören und Weben neuer Beziehungen im Zentrum der Arbeit der Kollektive stehen. „Die Priorität liegt auf Prozessen, die zum Schweigen gebracht werden oder unsichtbar sind, um sich mit kritischen Fragen und strategischer ethischer Planung von unten zu befassen“, so Rozental. So kamen sie in Berührung mit den diversen Freiheitskämpfen des kurdischen Volkes. Er benennt die Strategie des aufgezwungenen Vergessens und des unsichtbaren Wirkens bezüglich der gewaltsamen Unterdrückung von indigenen, Schwarzen und weiblichen Körpern. Er greift den „Mythos des Staates“ auf und fasst ihn wie folgt zusammen: „Der Kampf um die Staatsmacht ist ein Kampf um die Verwaltung des kolonialen Systems, nicht einer, um uns von ihm zu befreien.“ Er bestärkt die Notwendigkeit, autonome Bildung aufzubauen und sich zu organisieren. Zum Abschluss fand Rozental bestärkende Worte, indem er darauf hinwies, dass hier und jetzt, an diesem Wochenende, auf dieser Konferenz die Revolution bereits stattfinde.
Munduruku-Frauen und ihr Kampf
Die zwei nächsten Sprecherinnen kamen ebenfalls aus Abya Yala. Maria Leusa Kaba und Ediene Kirixi gehören zum indigenen Volk der Munduruku aus dem brasilianischen Amazonasgebiet und sind zwei Anführerinnen der Munduruku-Gemeinden. Sie koordinieren und beraten die Munduruku Wakoborũn Women's Association und sind Kämpferinnen der Ipereg Ayū. Vor dem Beginn ihrer Rede forderten sie die Zuhörerschaft auf, mit ihnen ein Lied zu singen. Sie bedankten sich für die Einladung zu der Konferenz und stellten direkt klar, dass es wichtig sei, dass sich besonders Frauen über ihre Strategien und Kämpfe austauschen müssten, um gemeinsam den Bedrohungen entgegenzutreten. Für sie seien vor allem „Projekte des Todes“, oft große Infrastrukturprojekte, wie Staudämme oder die Verschmutzung des Wassers und die Abholzung des Waldgebietes, Grund des Widerstandes.
Dem Vorwurf, Männer ausrotten zu wollen, standhalten
Die Ipereğ-Ayũ-Bewegung gründete sich im Jahr 2012 und wurde damals noch von Männern koordiniert. „Im Jahr 2015 war ich die erste weibliche Koordinatorin der Ipereğ-Ayũ-Bewegung“, berichtete die Referentin. Inzwischen sind die Wakoborũn eine von fünf Einheiten, die nur aus weiblichen Kriegerinnen bestehen. Sie erzählte von den Widerständen innerhalb des Volkes. Sie mussten dem Vorwurf, Männer ausrotten zu wollen, standhalten und klarstellen, dass es ihnen um die Verteidigung des Landes und des Lebens ginge. Trotzdem grenze sie sich von ihren männlichen Mitmenschen ab. „Die Vision, die wir haben, ist eine kollektive Vision. Es ist eine Vision, die alle einbezieht und weiß, was gut und was schlecht ist“, sagte sie. Ipereğ Ayũ bedeute in der Sprache der Munduruku eine Gruppe, die sich zu verteidigen weiß, und Wakoborũn stehe für die Frauen, die alles durchgemacht haben. Die Rednerinnen überreichten der Konferenz am Ende ihrer Rede ein kämpferisches Banner und schenkten den Teilnehmer:innen ein gemeinsames Lied zum Abschluss.
Alternativen zur kolonialen Moderne entstehen durch die Kämpfe der Menschen
Der nächste Redner war Ayar Kumar, Anwalt und Aktivist aus Chandigarh in Indien. Er berichtete über vergangene und aktuelle Kämpfe in Ost- und Zentralasien. Anhand dieser veranschaulichte er die kolonialen Regierungs- und Unterdrückungsmodelle, die vom indischen Staat durchgesetzt wurden, um die kapitalistische Ausbeutung und imperialen Interessen des Westens aufrecht zu erhalten. Aber die Menschen protestierten noch immer an Hunderten von Orten gegen die gewaltsame Aneignung von Land für diese Fabriken, Staudammprojekte, Bergbauprojekte, falsche Waldschutzprojekte, Schnellstraßen, Sonderwirtschaftszonen und einige mehr. Viele Projekte konnten so gestoppt werden. Der Staat reagierte mit Verhaftungen, Morden und Folter. Die Bevölkerung begann daraufhin, sich in Dorfausschüssen, bestehend aus jeweils fünf Frauen und fünf Männern, zu organisieren, um das eigene Land wieder selbst zu verwalten und kapitalistische Investoren zurückzudrängen. Das Konzept des demokratischen Konföderalismus biete Lösungen auch für die Probleme in Indien, so Ayar Kumar.
Demokratischer Konförderalismus - Manifest des 21. Jahrhunderst
Zum Abschluss der Session sprach Fouwza Youssef (andere Schreibweise Foza Yûsif) aus Nord- und Ostsyrien, die derzeitige Ko-Vorsitzende der Partei der demokratischen Union (PYD) und Mitbegründerin der Frauenbewegung Kongra Star. Sie ist Autorin des Buches „Warum Jinolojî?“. Wie viele Redner:innen vor ihr, machte sie noch einmal den Zusammenhang von Kapitalismus, Nationalstaat und Industrialismus als Ursache für die Krisen, in denen wir uns befinden, deutlich. „Wir benötigten dringend neue Perspektiven, um aus dieser Endlosschleife von Krisen herauszukommen“, fordert Youssef.
In ihrer entschlossenen Rede berichtete sie über die Fortschritte, die die Selbstverwaltung in Rojava bereits erkämpft habe, und wie die demokratischen Strukturen immer wieder reflektiert und angepasst werden müssten. „Durch den Nationalstaat wird unser Gehirn zu einer Wüste, alles wird nur noch schwarz und weiß, alle anderen Farben verschwinden, werden vernichtet.“ Der demokratische Konföderalismus könne uns von dieser Sichtweise befreien und durch die Implementierung umfassender Rätestrukturen, in denen alle Menschen sich organisieren, sei die notwendige Einheit in Vielfalt möglich.
Durch den Aufbau zahlreicher Akademien sei es gelungen, Frauen, Jugendliche und viele andere zu bilden und Methoden der Verteidigung gegen mentale und körperliche Angriffe zu verbreiten. Ohne Selbstverteidigung könne eine freie Gesellschaft nicht überleben. „Wenn wir uns international die Hände reichen, wenn wir uns vereinen, können wir diese Herrschaft zerschlagen. Mit der Kraft der Frauen, der Jugend und der freiheitsliebenden Menschen werden wir das schaffen!“