Botschaft von Duran Kalkan an Hamburger Konferenz

Als Mitglied des Exekutivrats der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat Duran Kalkan eine Videobotschaft an die in Hamburg durchgeführte Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern“ übermittelt.

Als Mitglied des Exekutivrats der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat Duran Kalkan eine Videobotschaft an die in Hamburg durchgeführte Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern“ übermittelt. Kalkan begann sein Statement mit einem Gruß an die Teilnehmenden der Konferenz, die bereits zum vierten Mal stattfindet und unter dem diesjährigen Titel „Wir wollen unsere Welt zurück! Widerstand, Rückeroberung und Wiederaufbau!“ steht. Außerdem bedankte er sich bei allen Menschen, die solidarisch mit dem unterdrückten kurdischen Volk sind, und würdigte die Hilfe für die von der schweren Erdbebenserie in der türkisch-syrischen Grenzregion betroffene Bevölkerung.

„Die Idee, dass das demokratisch-sozialistische Bewusstsein der Gesellschaften von außen herangeführt wird, dass soziales Bewusstsein und Organisation nicht spontan entstehen, ist zweifellos richtig. Das zeigt uns die historisch-soziale Dialektik. Die Aufgabe, dieses Bewusstsein zu wecken, wird von revolutionären Intellektuellen wahrgenommen. Die PKK ist eine Bewegung, die 1973 aus dem Wunsch nach einer Avantgardepartei entstanden ist und sich von einer intellektuellen Jugendbewegung zu einer revolutionären Freiheitsbewegung entwickelt hat.


Die Macht der Sprache von Abdullah Öcalan

In den 1970er und 80er Jahren versuchte die PKK, ihre federführende Funktion als Partei in vielfältiger Weise zu übernehmen. Dabei traten jedoch politische und militärische Dimensionen in den Vordergrund und die geistig-ideologische Dimension blieb im Hintergrund. Das lag weniger daran, dass das die Realität von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und der PKK war, sondern vielmehr an der Tatsache, dass wir alle – Kader und Volk – ihn und die Partei auf diese Weise wahrnahmen. Mit anderen Worten: Die Rolle des Vorsitzenden, des Oberbefehlshabers, des leitenden Funktionärs wurde hervorgehoben. Die Dimensionen des Denkers, des Weisen, des Theoretikers, des Mentors und des Propagandisten traten nicht weiter in Erscheinung. Dabei birgt die Realität von Rêber Apo keinen dialektischen Widerspruch. All diese Elemente stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, auch wenn die Ausgangssituation nicht auf dem heutigen Niveau liegt. Diese Realität steht für das Entstehen einer Führungsperson, auch auf nationaler Ebene. Rêber Apo erklärte seinerzeit, ohne zu zögern, dass seine mächtigste Waffe damals seine Zunge gewesen sei. Er brachte damit zum Ausdruck, dass er ein Mentor und Propagandist war. Er versuchte, so viele politische und militärische Kämpfe wie möglich auf der Grundlage dieser Macht der Sprache und damit der Erziehung und Organisation zu führen.

Der Paradigmenwechsel

Mit dem Paradigmenwechsel, der sich im Laufe des Widerstands gegen das internationale Komplott vollzog, wurde diese Realität viel deutlicher. Weg vom Anspruch auf einen Staat und Macht und hin zu einer demokratisch-gesellschaftlichen Partei basierend auf Frauenfreiheit und Ökologie sind die Ideen, die intellektuellen und theoretisch-ideologischen Dimensionen der PKK stärker in den Vordergrund getreten. Die Definition der Avantgardepartei hat sich deutlich verändert. Nach dem alten Paradigma umfasste die Spannweite einer schrittmachenden Bewegung zwar teilweise Bildung und Organisierung, hauptsächlich jedoch Leitung sowie politische und militärische Führung. Im neuen Paradigma gelten Bildung und Organisation als oberstes Gebot. Die PKK hat bei ihrem radikalen Paradigmenwechsel auch ein grundlegendes Umdenken in ihrer Definition von Führung vollzogen. Während sie den demokratischen Konföderalismus als den Körper der demokratischen Nation – die politisch-militärische Sphäre – definiert, bezeichnet sie die Parteiführung als deren Seele. Sie ist der Geist der demokratischen Gesellschaft oder der Gesellschaft der demokratischen Nation. Mit anderen Worten, die PKK definiert die Parteiführung als Realität der Gedanken, Gefühle und Bildung. Auf diese Weise vollzog sich der Wandel in der PKK.

Der Unterschied zwischen Rêber und Anführer

Es ist allgemein bekannt, dass eine Führungsperson jemand ist, die den Weg ebnet und die Richtung vorgibt. Auf Türkisch gibt es dafür das Wort Önder, im Kurdischen steht Rêber für die Definition des Wegbereiters, und im Persischen Rehber. Präsident, Anführer, Befehlshaber oder Leiter – diese Funktionen stehen dafür, den bereits vorgegebenen Weg zu beschreiten. Daher gilt es, den Unterschied zwischen dem wegbereitenden Rêber und dem wegbeschreitenden Anführer zu erkennen. Rêber ist jene Person, die den Weg findet, ihn öffnet und bewahrt. Sie bildet und organisiert, befasst sich mit dem Geist und der Mentalität, damit dieser Weg gegangen wird. Die anderen – Präsidenten oder Befehlshaber – regieren nur, sie sind Verwalter. Sie werden von den politischen und militärischen Herrschenden gewählt oder ernannt. Rêber dagegen wird von freien Menschen und Gesellschaften als treibende Kraft verinnerlicht. Mit anderen Worten, sie stimmen mit ihm überein. Ein Rêber lässt sich nicht mit einer Wahl bestimmen und schon gar nicht ernennen. Mit intellektueller Stärke, ideologischer Macht, dem Willen, ein neues Leben zu schaffen und den Menschen und Gesellschaften einen alternativen Weg aufzuzeigen – nur auf diese Weise kann es Personen geben, die als Rêber angenommen werden.

Der Liberalismus der kapitalistischen Moderne als Verzerrer der Realität

Von Anbeginn der Geschichte spiegeln sich im Begriff des Wegbereiters Eigenschaften wie prophetisch, weise, philosophisch und sozialwissenschaftlich wider. Demgegenüber gibt es seit dem Entstehen der ersten Klassengesellschaften stets Befehlshaber als Repräsentanten militärischer Macht und Präsidenten als Repräsentanten politischer Macht. Diese werden oft als ein und dasselbe dargestellt. Nichts Geringeres als der Liberalismus der kapitalistischen Moderne inszeniert den Präsidenten, den Kommandanten, den Verwalter als demokratischen Funktionsträger. Den Wegbereiter jedoch, den Richtungsweisenden, lässt er diktatorisch erscheinen. Dies ist eine Tatsachenverdrehung, eine tiefe Verzerrung, die im völligen Widerspruch zur Realität steht und auf das Konto des Liberalismus der kapitalistischen Moderne geht.

Das Leben des freien Individuums und der demokratischen Kommune

Dies kann man auch sehr deutlich am Wandel der PKK erkennen. Während die alte PKK Prinzipien wie Macht und Leitung verfolgte, ist die jetzige PKK, die sich auf der Grundlage ihres neuen Paradigmas umstrukturiert hat, eine richtungsweisende Partei, die lehrt, bildet und organisiert. Sie ebnet den Weg, sowohl für die Einzelnen als auch die Gesellschaft, ist bahnbrechend und unterstützt. Sie überlässt die politische Verwaltung auf Grundlage des demokratischen Konföderalismus der Gesellschaft, ebenso überträgt sie das militärische Kommando der Allgemeinheit – auf Basis der gesellschaftlichen Selbstverteidigung. Auf diese Weise entsteht eine einzigartige ideologische Andersartigkeit. Entgegen dem System von Staat und Macht, das eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beansprucht, deren grundlegende Basis das Privateigentum ist, forciert die demokratische Moderne das Leben des freien Individuums und der demokratischen Kommune. Dieser Unterschied ist die Grundlage von allem. Ausgehend von der Berücksichtigung dieser Situation und der Veränderung des Begriffs der Avantgarde müssen wir auch feststellen, dass eine organisierte Vorhut notwendig ist. Ja, der entscheidende Faktor ist letztlich die Praxis, die Aktion. Aber die Aktion wird durch die Organisation und die Organisation durch Bildung verwirklicht. In dieser Hinsicht kann ohne eine bildende und organisierende Kraft keine Aktion stattfinden. Die Kraft des Handelns kann sich nicht entfalten. Somit spielt die Organisation eine wichtige Rolle für die neue Vorhut. Sie orientiert sich an einer organisierten Führung. Wenn es eine Avantgarde wie die PKK gibt, die bildet und organisiert, dann erst können revolutionäre Arbeit im Sinne der demokratischen Moderne geleistet und revolutionäre Entwicklungen erreicht werden.

PKK als Vorhut für alle Unterdrückten, Frauen, Jugendliche und Werktätige

Wenn wir Revolution nicht als ein spontanes Ereignis oder eine Explosion, sondern als eine Veränderung der Mentalität und des Lebensstils begreifen, die durch eine bewusste und organisierte Vorhut, die unter allen Bedingungen arbeitet, herbeigeführt wird, dann brauchen alle Gesellschaften, alle unterdrückten Gruppen, insbesondere Frauen und Jugendliche, Arbeiter und Werktätige, eine Vorhut wie die PKK. Denn sie benötigen eine revolutionäre Veränderung. Sie wollen Befreiung. Es ist klar, dass dies auf der Grundlage der Theorie der demokratischen Moderne verwirklicht werden wird. Es ist die federführende PKK als Kraft, die das Prinzip der demokratischen Moderne verwirklicht. Deshalb ist eine Vorhut in Form der neuen PKK für alle Unterdrückten, insbesondere für Frauen, Jugendliche, Arbeiter und Werktätige, notwendig. Sie ist so wichtig wie Brot und Wasser. Sie ist von lebenswichtiger Bedeutung.“