Regierungsbildung im Irak: Ein leichtes Unterfangen?
Im Kontext der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran gestaltet sich die Regierungsbildung im Irak schwierig.
Im Kontext der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran gestaltet sich die Regierungsbildung im Irak schwierig.
Am 12. Mai diesen Jahres fanden im Irak Parlamentswahlen statt, in deren Rahmen es zu unzähligen Beschwerden über Wahlbetrug und ähnliche Mängel kam. Ein Teil der Stimmzettel wurde daraufhin erneut per Hand ausgezählt. Trotz der Betrugsvorwürfe bemühten sich zwei Blöcke um die Bildung einer neuen Regierung. Muqtada al-Sadr, der an der Spitze der Sairun-Wahlliste steht, und der irakische Premierminister Haider al-Abadi führten jeweils Gespräche mit der Hikma-Wahlliste von Ammar al-Hakim, der Al-Wataniya-Wahlliste und der ‚Irakischen Einheitskoalition‘. Sadr traf sich auch mit dem Gründer der Miliz Hashd al-Shaabi, Hadi al-Amiri, der zugleich die Fatah-Wahlliste anführt. Zudem fanden unterschiedliche Treffen mit den südkurdischen Kräften statt. Noch vor Beginn der Neuauszählung eines Teiles der Stimmzettel erklärte der Sprecher der Sadr-Bewegung, man habe sich mit den Wahllisten Hikma, Nasir und Wataniya auf die Gründung einer neuen Regierung geeinigt. In der Erklärung wurde außerdem verkündet, die Kurdinnen und Kurden sowie alle anderen Gesellschaftsgruppen würden in der neuen Regierung repräsentiert sein. Während sich also Sadr, dessen Sairun-Wahlliste bei den Wahlen die meisten Stimmen erhielt, um die Gründung einer neuen Regierung bemühte, versuchte auch Nuri al-Maliki eine eigene Regierung auf die Beine zu stellen. Maliki führte insbesondere mit den Kurdinnen und Kurden Gespräche, darunter vor allem mit der PDK.
Die Bemühungen der zwei Blöcke um die Gründung einer neuen Regierung sind zugleich Ausdruck eines Kampfes zwischen den USA und dem Iran. Sadr, Al-Abadi und Al-Hakim führen das irakische Schiitentum an und legen Wert auf eine unabhängige Position vom iranischen Schiitentum. Ihre Nähe zu den USA ist weithin bekannt. Auch wenn Sadr keine direkten Beziehungen zu den USA unterhält, steht er doch über Saudi-Arabien in Kontakt mit den USA. Zwischen Sadr und dem Iran bestehen zahlreiche Widersprüche. Sadr möchte nach dem Tod des irakischen Schiitenführers Ali Sistani dessen Position als Ayatollah einnehmen. Der Iran betrachtet dies nicht mit sonderlich wohlwollenden Augen, denn Sadr als Ayatollah und damit Führer der irakischen Schiiten würde den Plänen der USA gelegen kommen, das Zentrum des Schiitentums vom Iran in den Irak zu verlegen. Das würde auch dem Projekt eines ‚Iranischen Halbmondes‘ schaden. Sadr setzt auf die Anerkennung einer unabhängigen Position des irakischen Schiitentums gegenüber dem iranischen. Niemand wird bestreiten, dass Nuri al-Maliki gemeinsam mit dem Gründer der Hashd al-Shaabi, Hadi al-Amiri, dem Iran nahe steht. Daher wird weithin anerkannt, dass es sich bei den Streitigkeiten der beiden Blöcke um die Regierungsbildung im Irak letztendlich um einen Zwist zwischen dem Iran und den USA handelt.
Die Erklärung des Hashd al-Shaabi-Sprechers
Trotz zahlreicher Einwände wurde die Hohe Wahlkommission im Irak aufgelöst und mit sieben Richtern neu besetzt. Das Parlament entschied, die Stimmzettel im gesamten Land neu auszählen zu lassen. Doch wurde nur die Neuauszählung von zehn Prozent der Stimmzettel in die Praxis umgesetzt. Als Vorwand wurde das Fehlen eines Urteils des Irakischen Verfassungsgerichts genannt. Nach der Neuauszählung von zehn Prozent der Stimmzettel verkündete die Irakische Hohe Wahlkommission am 9. August 2018 das offizielle Wahlergebnis. Doch noch vor der Verkündigung erklärte der Hashd-al-Shaabi-Verantwortliche Ahmed Asadi, der zugleich die Fatah-Wahlliste anführt, man werde nach der Bekanntmachung des offiziellen Wahlergebnis die Gründung einer breit aufgestellten Regierung verkünden. Zudem werde man eine Delegation ins kurdische Hewlêr (Erbil) schicken und dort Gespräche mit der PDK führen.
Kurz nach dieser Erklärung traf sich Brett McGurk, Trumps Sonderbeauftragter für den Kampf gegen den Islamischen Staat, mit Mesut Barzanî. Noch am selben Tag besuchten die Ehefrau und der Sohn von Celal Talabanî, dem verstorbenen YNK-Generalsekretär, Mesut Barzanî. Auf diesen Besuch folgte ein Treffen zwischen einer Delegation sunnitischer Parteien und Barzanî. Auch wenn keine Details über die Treffen bekannt gemacht wurden, standen die Gespräche wohl im Zusammenhang mit der Gründung einer neuen irakischen Regierung. Darauf deutet die Erklärung Barzanîs hin, alle Prozesse hätten sich an der irakischen Verfassung zu orientieren. Kurz nach diesen Treffen traf sich Barzanî mit einer Delegation aus vier Parteien, die eine Anerkennung der Wahlergebnisse ablehnen. In diesem Rahmen begannen die Überzeugungsversuche. Dies weist wiederum daraufhin, mit welcher Absicht die zahlreichen Gespräche mit Mesut Barzanî geführt wurden.
Die Erklärung der Sadr-Bewegung
Ungefähr eine Woche nach der Verkündung der offiziellen Wahlergebnisse erklärte ein Sprecher der von Sadr angeführten Sairun-Wahlliste, man haben sich mit den Wahllisten Nasir, Al-Hima und Al-Wataniya auf die Gründung einer neuen Regierung geeinigt und werde zudem eine Delegation nach Hewlêr schicken, um mit den kurdischen Kräften Gespräche zu führen. Der Großteil der Parteien und Wahllisten, die sich an dieser neuen Regierung beteiligen, nehmen eine distanzierte Position zum Iran ein. Daher erklärten Beobachter, die Stille des Irans und das Ausbleiben einer iranischen Intervention deute auf eine Einigung zwischen den USA und dem Iran hin. Doch in der derzeitigen Phase, in der die USA politisch-ökonomische Sanktionen gegen den Iran verhängen und Vorbereitungen für eine militärische Intervention treffen, erscheint eine derartige Einigung unmöglich. In dieser Situation würde der Iran viel eher Nuri al-Maliki aktivieren, um eine neue, dem Iran distanziert gegenüber stehende Regierung zu verhindern. Auf diesem Weg würde der Iran versuchen, die Gründung einer neuen, Iran-nahen irakische Regierung zu befördern.
Die erwartete Offensive Malikis
Der Vertreter der von Al-Maliki angeführten Rechtsstaat-Allianz, Mansour al-Baiji, erklärte, man sei kurz davor gemeinsam mit der PDK und YNK eine breit aufgestellte Regierung zu gründen. Bereits kurz zuvor hatte der Sprecher der Fatah-Koalition, Ahmed Asadi, verkündet, eine gemeinsame Delegation aus der Fatah-Koalition von Hadi al-Amiri und Nuri al-Malikis Rechtsstaat-Allianz werde nach Hewlêr fahren.
Die Kurdinnen und Kurden zwischen zwei Stühlen
Die Bemühungen der beiden Blöcke, die jeweils dem Iran bzw. den USA nahestehen, um die Gründung einer neuen Regierung zeigen erneut, wie ausschlaggebend die Kurdinnen und Kurden für das Gleichgewicht im Irak sind. Beide Seiten mussten erkennen, dass eine Regierungsbildung ohne die kurdischen Kräfte unmöglich ist. An dieser Stelle muss jedoch auch eine ernstzunehmende Gefahr wahrgenommen werden, die aus Sicht der Kurdinnen und Kurden besteht. Eine Beteiligung an einer USA-nahen Regierung würde die Beziehungen zum Iran beschädigen. Das würde zu unabsehbaren Folgen in Südkurdistan (Nordirak) führen. Sich an einer Iran-nahen Regierung zu beteiligen, würde jedoch die Beziehungen zu den USA in Mitleidenschaft ziehen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass sich die Kurdinnen und Kurden an einer Iran-nahen Regierung beteiligen, denn der derzeitige Status der kurdischen Kräfte wurde von den USA herbeigeführt und wird bis zu einem gewissen Grad noch immer von ihnen abgesichert.
In einer derartigen Situation besteht die drängendste Aufgabe der Kurdinnen und Kurden darin, sich von keiner äußeren Macht abhängig zu machen und stattdessen eine gemeinsame Position gegenüber den Entwicklungen in allen vier Teilen Kurdistans einzunehmen, um die eigenen Rechte zu verteidigen und zu erkämpfen. Geschieht dies nicht, wissen alle, dass sich die vier Teile Kurdistans in eine sehr gefährliche Lage begeben. Denn jedem ist die äußerst gefährliche Lage bewusst, in der sich selbst Südkurdistan befindet, das auf dem Papier als am sichersten gilt und über einen gewissen Status verfügt. Die aktuelle Lage deutet darauf hin, dass sich die politisch-ökonomische Krise in Südkurdistan weiter vertiefen wird; unabhängig davon, ob sich die Kurdinnen und Kurden nun an einer USA-nahen oder Iran-nahen Regierung beteiligen. Es wäre nicht einmal übertrieben, in diesem Zusammenhang von einer erneuten Kriegsgefahr zu sprechen.
Auch wenn der Auftrag zur Regierungsbildung durch den irakischen Präsidenten noch nicht erfolgt ist, bemühen sich alle Parteien bereits um die Festlegung ihrer Koalitionspartner. Die derzeitigen Entwicklungen im Irak zeigen deutlich, dass die Regierungsbildung in dem Land nicht leicht sein wird. Selbst im Falle einer neuen Regierungsbildung wird der Irak sich nicht aus dem Chaos und der Krise befreien können. Zugrunde liegt dieser Krise die Weigerung der politischen Akteure, von dem nationalstaatlichen System abzurücken.