Polizist muss nach Gewaltattacke an kurdischem Jungen ins Gefängnis

2009 hatte ein türkischer Polizist im kurdischen Colemêrg einen damals 14-jährigen Jungen mit dem Schaft seines Maschinengewehrs ins Koma geprügelt. 15 Jahre nach der Tat muss er ins Gefängnis.

Mit Maschinengewehr ins Koma geprügelt

Ein Polizist in der Türkei muss wegen einer schweren Gewaltattacke gegen einen kurdischen Jungen für mehr als sechs Jahre ins Gefängnis. Der türkische Kassationshof hat die Revision des Polizeibeamten Bahadır Turan in letzter Instanz endgültig verworfen und das Urteil wegen schwerer Körperverletzung bestätigt. Der Mann trat bereits seine Haftstrafe in einer Istanbuler Vollzugsanstalt an, wie die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) am Dienstag berichtete.

Die brutale Tat hatte sich am 23. April 2009 in der kurdischen Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) ereignet. Am Wohnort des 14-jährigen Seyfullah Turan wurde gegen eine Festnahmewelle von Politikerinnen und Politikern der DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft) protestiert, die noch im selben Jahr durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten wurde. Bahadır Turan, Polizist eines Sondereinsatzkommandos, schnappte sich Seyfullah Turan. Zuerst schlug er ihm mit dem Schaft seines Maschinengewehrs mehrfach auf den Kopf, bevor er ihm mehrmals und mit voller Wucht gegen den Kopf trat. Der Junge fiel ins Koma, erholte sich später jedoch von der Tat.


Mildes erstes Urteil: Psychische Ausnahmesituation und Notwehr

Der Übergriff auf Seyfullah Turan war damals von Journalist:innen filmisch dokumentiert worden, die die Proteste gegen die Repression gegen die kurdische Partei DTP beobachteten. Die erschreckenden Bilder zeigte nicht nur der oppositionelle Sender IMC TV, auch CNN Türk strahlte sie aus; Turan wurde daraufhin wegen versuchten Mordes und Folter angeklagt. Im Jahr 2011 verurteilte ihn ein Gericht in Isparta – in die Provinz in der Mittelmeerregion war der Prozess „aus Sicherheitsgründen“ verlegt worden – zu sechs Monaten Gefängnis, wandelte die Haftstrafe aber in eine Geldstrafe um. In der Urteilsbegründung hieß es, der Polizist habe sich „in einer psychischen Ausnahmesituation“ befunden und in Notwehr gehandelt. Im Übrigen habe er „zu Recht“ von seiner Befugnis zur Gewaltanwendung Gebrauch gemacht.

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde

Die Verteidigung von Seyfullah Turan scheiterte zwar mit einer Revision gegen die Entscheidung, erwirkte jedoch 2017 vor dem Verfassungsgericht wegen einer „Verletzung des Rechts auf Leben“ eine Aufhebung des Urteils sowie einen neuen Prozess, der nun in Xarpêt (Elazığ) und damit am Dienstort von Bahadır Turan verhandelt wurde.  2022 wurde der Polizist erneut wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, diesmal allerdings zu fünf Jahren Haft. Das war der Verteidigung des Jungen zu wenig. Die Anwälte Murat Timur und Münip Ermiş sahen den Tatbestand des Mordversuchs erfüllt und gingen erneut in Revision. Ein regionales Berufungsgericht in Amed (Diyarbakır) befand das Strafmaß zu gering und ordnete ebenfalls einen neuen Prozess an, verwarf allerdings den Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts. So blieb es auch beim dritten Verfahren gegen Turan bei einer Anklage wegen Körperverletzung, die im vergangenen Jahr zu einer Verurteilung von sechs Jahren und drei Monaten Haft führte. Diese Entscheidung ist nun rechtskräftig.