Ohne die PKK hätte Hewlêr an den IS fallen können
Der ehemalige Peschmerga-Kommandant Riyad Selahaddin sagt, ohne die Unterstützung und Motivation der Guerilla hätte der IS 2014 auch in Hewlêr und Zaxo einmarschieren können.
Der ehemalige Peschmerga-Kommandant Riyad Selahaddin sagt, ohne die Unterstützung und Motivation der Guerilla hätte der IS 2014 auch in Hewlêr und Zaxo einmarschieren können.
Riyad Selahaddin führt ein bewegtes Leben. Er stammt aus Qamişlo in Rojava und migrierte mit seiner Familie 1980 nach Südkurdistan. Zwischen 1991 und 2003 war er ein Kommandant der PDK-Peschmerga, zwischen 2003 und 2011 kommandierte er kurdische Kräfte in der irakischen Armee, von 2011 bis 2018 war er ein Kommandant der Spezialeinheit der PDK, der „Roj-Peschmerga“ und den Zêrevanî. Im Mai 2018 trennte er sich von diesen Kräften, ging nach Rojava und begann als Militärspezialist für die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) zu arbeiten.
„1991 befreite die PKK ganz Zaxo“
Er selbst war Zeuge und Teilnehmer der Aufstände gegen das Baath-Regime unter Saddam Hussein in Südkurdistan im März 1991 und berichtet, dass es die Guerillakämpfer:innen der PKK waren, die damals Zaxo vom Baath-Regime befreit hätten.
Über diese Zeit berichtet er: „Im März 1991 erhoben sich die Menschen in Silêmanî, Diyana und Ranya. Der Aufstand weitete sich nach Hewlêr, Kerkûk und Dihok aus. Das Volk griff zu den Waffen und revoltierte. Ich war damals noch nirgendwo eingebunden, ich nahm als Bürger an diesen Aufständen teil. Es gab ein Gebiet, das unsere Soldaten als das ,Feld Null' bezeichneten. Einige Peschmerga kamen, und es gab auch Guerillakämpfer an ihrer Seite. Wenn sich die Guerilla nicht diesem Aufstand angeschlossen und gekämpft hätte, wäre die baathistische Armee nicht besiegt worden. Die Guerilla spielte in diesem Krieg eine sehr wichtige Rolle. Das Volk nahm die Beteiligung Guerilla sehr positiv auf. Vor allem in Zaxo spielten PKK-Guerillakämpfer eine sehr wichtige Rolle. Die PKK befreite ganz Zaxo.“
„Die Mehrheit der Kämpfenden waren Mitglieder der Guerilla“
Auch bei der Befreiung von Dihok habe die Guerilla eine wichtige Rolle gespielt, sagt Selahaddin. Er fährt fort: „Die PKK nahm auch am Krieg in Dihok teil. Ich war dort. Sie kamen nach Çiyayê Spî. Zu dieser Zeit war eines der vordersten Häuser in Dihok unseres. Sie kamen und fragten nach uns, weil wir aus Rojava kommen. Dann blieben vier Guerillakämpfer sieben bis acht Tage in unserem Haus. Sie kämpften, bis sie die Faschisten aus der Region vertrieben hatten. Ich selbst war auch bereit. Mehr als 200 PKK-Guerillakämpfer kamen zu Beginn des Aufstands in die Stadt. Die Guerilla erreichte die Gebiete, in denen die Aufstände stattfanden, vor den Peschmerga, und die Zahl der PKK-Guerillakämpfer, die gegen das Baath-Regime kämpften und den Aufstand unterstützten, war größer als die der PDK-Peschmerga.“
„Die Guerilla hat ihre Stellungen nicht verlassen“
Aufgrund der Drohungen des irakischen Regimes mit Chemiewaffen und einem massiven Angriff flohen viele Menschen nach Erfolg der Aufstände in die Türkei, Iran und nach Rojava. Selahaddin berichtet, die PKK sei jedoch geblieben und habe den Kampf gegen die Armee von Saddam Hussein fortgesetzt: „Die irakische Armee ist in Kuwait sehr brutal gegen Frauen und Kinder vorgegangen. Dies machte uns allen Angst. Saddam hatte 1988 chemische Waffen gegen Helebce eingesetzt. Die Nachricht verbreitete sich, dass Saddam diesmal wieder chemische Waffen einsetzen würde. Fast eine Million Menschen aus dieser Region begann, nach Iran und in die Türkei zu fliehen. Die Guerilla sagte zu uns: ‚Okay, geht, rettet eure Familien. Wir werden bleiben und den Krieg fortsetzen.‘ Sie blieben wirklich und setzten den Kampf fort.“
„Sie teilten ihre Vorräte mit dem Volk“
Selahaddin machte sich ebenfalls auf den Weg. Nach sieben bis acht Tagen Fußmarsch erreichten die Flüchtenden die nordkurdischen Gebiete Çelê (tr. Çukurca) und Deştan. Er berichtet über seine Erfahrung mit der Guerilla: „Wir waren auf der Flucht. Als wir durch das Tal von Dihok zogen, sah ich einen irakischen Hubschrauber, der Truppen absetzte. Wir wussten, dass die Guerilla auf diesem Berg war. Von Şêladizê und Balinda kamen Guerillakämpfer zu uns. Sie gaben uns alles, was sie bei sich hatten. Einige Stellen waren sehr steil felsig, an einigen Stellen gab es Bäche. Die Guerilla hat den Menschen dort sehr geholfen. Sie hat uns und unsere Kinder dort hindurchgeführt.
Wir zogen in die Gebiete Çelê und Deştan. Dort wurden wir [von der türkischen Regierung] in Lager gesteckt. Tausende Menschen aus Nordkurdistan kamen in Fahrzeugen zu uns und brachten uns Decken und Essen. Manchmal warfen sich die hungernden Menschen vor die Fahrzeuge und beschädigten sie sogar. Die Menschen in Nordkurdistan zögerten nicht, uns zu helfen. Hunderte, Tausende von Fahrzeugen kamen täglich im Lager an. Sie brachten das Essen, das sie mit ihrem eigenen Geld gekauft hatten, und versorgten uns mit dem, was wir brauchten. Ich war auch dort, ich bin Zeuge dessen, was passiert ist. Die Menschen in Bakur halfen uns, kamen auf uns zu, küssten uns und sagten: ‚Ihr seid unser Volk, wir werden euch beschützen, wir werden euch unterstützen.‘“
„PDK marschierte mit Saddams Panzern in Hewlêr ein“
Nach der Errichtung der UN-Sicherheitszone und nachdem der Irak durch die US-Operation „Poised Hammer“ unter Druck geriet, kehrten die Menschen nach Südkurdistan zurück. Selahaddin, selbst unter den Rückkehrern, schloss sich damals den Peschmerga an und wurde an der Militärschule in Silêmanî/Karaçolan ausgebildet. Anschließend begann er im Dihok-Kommando der PDK-Peschmerga zu arbeiten. Er war ebenfalls Zeuge, als die PDK mit Saddam Husseins Panzern im unter der Kontrolle der YNK stehenden Hewlêr (Erbil) einmarschierte: „Ich war damals als Einheitenkommandant auf dem Kepike Hamed Axa stationiert. Generalkommandant war Ali Têlî Nerwehî. Zu dieser Zeit befanden sich Hewlêr und Silêmanî unter der Kontrolle der YNK. Nachts kam die Nachricht, in der es hieß: ‚Morgen wird etwas Gutes geschehen, es wird eine Feier geben.‘ Wir wussten nicht, was passieren würde. Wir wachten am Morgen auf. Es wurde gesagt: ‚Wer nach Hewlêr will, kann gehen.‘ Als ich die Stadt betrat, sah ich, dass Saddam Husseins Panzer, Artillerie und Hubschrauber in Hewlêr waren. Auf den Panzern befanden sich PDK-Fahnen. Damals leistete die YNK keinen großen Widerstand. In zwei Tagen rückten wir bis zur iranischen Grenze bis nach Silêmanî vor. Es verging nicht viel Zeit. Diesmal griff die YNK gemeinsam mit den iranischen Pasdaran an. Sie rückten in Silêmanî ein. Sie nahmen auch Ranya, Diyana und die ganze Umgebung ein. Dann gab es Gespräche. Die Regionalstaaten hatten sich eingemischt. Sie teilten Südkurdistan zwischen beiden Mächten auf. Ein Teil ging an die PDK und ein Teil an die YNK.“
„Die PDK-Führung ordnete den Rückzug aus Şengal an“
Der Militärexperte weist darauf hin, dass die PDK diese Politik weiter fortsetze: „Zum Beispiel haben die PDK, die Türkei und der Irak eine Vereinbarung über Şengal getroffen. Sie haben die irakische Armee nach Şengal gebracht, um die Kurden erneut anzugreifen. Sie könnten möglicherweise andere Kräfte in die Region schicken. Es ist soweit gekommen, dass die PDK bereit ist, alles für ihre Partikularinteressen zu tun. Als der IS am 3. August 2014 Şengal angriff, diente ich im Zêrevanî-Kommando in Hewlêr. Die PDK erteilte den Peschmerga in Şengal den Befehl: ‚Verbrennt schnell eure Archive und zieht ab.‘ Als Ergebnis der Vereinbarung zwischen der Türkei, der PDK und dem IS wurde die Entscheidung getroffen, Şengal dem IS zu übergeben. Denn Şengal ist ein Gebiet von strategischer Bedeutung gegenüber Saudi-Arabien, Rojava, Syrien und Israel. Ich erinnere mich, als Saddam Hussein Israel bombardierte, feuerte er von dort aus Raketen ab.“
„Wenn die Guerilla nicht gekommen wäre, wäre Hewlêr gefallen“
Nach dem Angriff auf Şengal folgte die Attacke gegen Mexmûr. Anschließend begann der IS auf Hewlêr und Dihok vorzurücken. Die Menschen begannen zu fliehen. Selahaddin erinnert sich: „Wir hatten keine Zeit, darüber zu diskutieren, was in Şengal passiert war. Die Menschen, die aus Şengal flohen, kamen nach Südkurdistan. Später griff der IS Mexmûr an. Er rückte auf Hewlêr und Dihok vor. Die Reichen stiegen in Flugzeuge und flohen in die Türkei. Die Bevölkerung begann ebenfalls zu fliehen. Zu dieser Zeit war die Şengal-Frage für uns kein sehr wichtiges Thema. Denn Hewlêr und Dihok waren ebenfalls akut bedroht. Hewlêr stand kurz vor dem Fall. Die Bevölkerung geriet in Panik und alle dachten darüber nach, wie sie entkommen könnten. Wir waren also nicht in der Lage, irgendetwas zu diskutieren. Es ging Schlag auf Schlag. Die PDK-Funktionäre wussten von dem Deal mit dem IS. Der IS sollte nach Şengal und Mexmûr gehen, aber dann nicht weiter vorrücken. Die Koalition würde eingreifen. Wir hatten darüber keine Informationen. Wir dachten: ‚Unsere Familien sind weg.‘ In Şengal leistete die Guerilla Widerstand. Dann kamen weitere Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla und gingen nach Şengal. Als der IS in Mexmûr war, war ich in Hewlêr. Die Menschen versuchten in Panik zu fliehen. Dann kam die Guerilla und die Nachricht, dass sie nach Mexmûr gehen würde. Wir glaubten das nicht. Dann versammelten wir uns. Die Menschen hatten Bilder von Öcalan dabei. Die Freunde kamen in Autos und Bussen von den Bergen und fuhren in Richtung Mexmûr. Das gab den Menschen viel Moral. Diejenigen, die bereits geflohen waren, begannen zurückzukehren. Wenn die Guerilla nicht eingegriffen hätte, hätten Hewlêr und Dihok ebenfalls fallen können.“
„Sie haben Angst vor dem Willen der Selbstverwaltung in Şengal“
Zur Situation der Ezid:innen und den aktuellen Entwicklungen in Şengal sagt Selahaddin: „Ich glaube, dass die Ezidinnen und Eziden in Şengal und Südkurdistan zum ersten Mal ihre eigene Realität durch die PKK-Guerilla erkannt haben. Sie beanspruchten ihr Land und wurden zu Patrioten. In Şengal entwickelte sich auch eine Erfahrung der Selbstverwaltung. Sowohl die PDK als auch der Feind sehen, dass es eine besondere Entwicklung in Şengal gibt, und deshalb haben sie Angst. Sie wollen nicht, dass sich die apoistische Idee der Demokratischen Nation verbreitet. Daher sehen sie in dem Selbstbewusstsein, der Selbstverteidigung und Selbstverwaltung der Menschen in Şengal eine Gefahr für ihre eigenen Interessen.
Heute ist es nicht die PKK, sondern das Volk von Şengal, das sich selbst verteidigt und regiert. Die PDK hätte diesen Willen respektieren müssen. Es hätte einen Dialog unter den Kurden geben müssen. Sie hätte sich nicht in die Selbstverwaltung von Şengal einmischen dürfen. PDK, das Volk von Şengal will euch nicht. Lasst die Menschen sich selbst verwalten. Hier werden Mütter, die die Waffen ergriffen haben, zu ‚Terroristen‘ erklärt. Die irakische Armee wird nach Şengal geschickt. Die PDK versucht, Şengal zum irakischen Angriffsziel zu machen. Das ist eine Schande.“