Kommentar: Die Situation in Südkurdistan und Irak ist hochgefährlich

Allein wegen des Widerstands der Guerilla konnte der türkische Staat seine Invasionsziele in Südkurdistan bisher nicht erreichen. Wenn der Irak und Südkurdistan keine Position gegen die Angriffe beziehen, wird es keinen Irak mehr geben.

In den letzten zwei Jahren haben die Angriffe und Drohungen schiitischer Kräfte gegen Südkurdistan zugenommen. Es ist allgemein bekannt, dass die schiitische Front von Iran kontrolliert wird. Die Intervention der USA und der internationalen Mächte im Nahen Osten dauert an. Nach Syrien soll Iran ins Visier genommen und die gesamte Region tiefgreifend umgestaltet werden. Die Verzögerung dieses Prozesses liegt vor allem am Zusammenbruch des „Greater Middle East Projects“ der USA, das unter Erdoğans Führung umgesetzt werden sollte, und des Verbleibs des Assad-Regimes in Syrien. Iran mobilisierte alle seine Ressourcen unter der Führung von Ghassem Soleimani, um den Fall von Damaskus zu verhindern. Iran wusste, dass wenn Damaskus fällt, Teheran als nächstes an die Reihe kommt.

Neue Eskalationsstufe mit zwischen Südkurdistan und Iran

Iran ist wie viele andere expansionistische Mächte im Nahen Osten kurdenfeindlich eingestellt. Das derzeitige Mordregime wurde auf dem Blut der Kurd:innen errichtet. Diese Tatsache ist unbestritten. Die USA und Israel erklärten Iran zu ihrem „Hauptfeind“ und wählten die südkurdische Hauptstadt Hewlêr (Erbil) als ihre Ausgangsbasis. Aus diesem Grund hat Iran Hewlêr seit einiger Zeit ins Visier genommen und angegriffen. Immer wieder kommt es zu Raketenangriffen. Diese Angriffe werden von Kräften unter dem Dach der mit Iran verbundenen Volksmobilisierungseinheiten (Hashd al-Shaabi) durchgeführt. Am 13. März 2022 wurde die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) direkt vom iranischen Regime angegriffen. Dies war der Beginn eines neuen Angriffsprozesses. Es ist kein Geheimnis, dass die PDK enge Beziehungen zu den USA, Israel und der Türkei unterhält. Aufgrund des jüngsten Erdgasabkommens zwischen der PDK und der Türkei ist Hewlêr zu einem Ziel des Iran geworden. Zum ersten Mal übernahmen die Revolutionsgarden mit einer offiziellen Erklärung die Verantwortung für einen Angriff auf Hewlêr.

MIT, MOSSAD und CIA haben Hauptquartiere in Hewlêr

Bei einem Treffen zwischen dem irakischen Innenminister, dem iranischen Außenminister und dem iranischen Geheimdienstminister erhielt der Irak einige Dokumente, in denen auf die Anwesenheit des CIA, des MOSSAD und des MIT im Irak und Südkurdistan hingewiesen wurde. Gleichzeitig forderte Iran den Irak auf, in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen. Die iranische Regierung erklärte, sie werde niemals zulassen, dass von Südkurdistan eine Bedrohung für Iran ausgehe. Der Irak seinerseits hat sich verpflichtet, keine Tätigkeiten entgegen der Sicherheitsbedürfnisse des Iran zuzulassen. Wir alle wissen jedoch, dass der türkische Geheimdienst seine Hauptquartiere in Hewlêr und Dihok hat. Auch wenn die PDK das vertuschen möchte, wurde beim letzten Angriff in Hewlêr am 8. Juni ein Toyota getroffen. Wem gehörte das Fahrzeug und wer saß darin? Die PDK und die Angreifer wissen sehr genau, was in Hewlêr vor sich geht, wer gestorben ist und wer noch lebt.

Die Kollaboration der PDK bedroht alle Errungenschaften

In Südkurdistan sind vor allem die Patriotische Union Kurdistans (YNK) und die PDK die größten Hindernisse für die Selbstverwaltung der Region. Insbesondere die PDK agiert vollkommen unabhängig von den Koalitionspartnern YNK und Gorran-Bewegung. Einer der Gründe für die aktuelle Konfrontation zwischen YNK und PDK war die Wahl am 10. Oktober 2020. Obwohl das Amt des irakischen Präsidenten per Gesetz der YNK zusteht, strebte auch die PDK dieses Amt an und versuchte es ihr abzujagen, indem sie Abkommen mit etlichen irakischen Parteien, insbesondere dem schiitischen Anführer Muqtada al-Sadr schloss. Bisher ist die Frage der Präsidentschaft jedoch ein Hindernis vor der Bildung einer neuen irakischen Regierung.

Öl wird reimportiert und der Bevölkerung Südkurdistans zu hohen Preisen verkauft

Auf der anderen Seite haben die Erdgasabkommen der PDK mit der Türkei, die Invasion Südkurdistans und die damit zusammenhängende Verletzung der irakischen Souveränität den Konflikt zwischen dem Irak und Südkurdistan vertieft. Das irakische Bundesgericht entschied, dass der Verkauf von Gas und Öl ohne Zustimmung des Irak illegal sei und das Abkommen mit der Türkei annulliert werden müsse. Auch die Wirtschaftskrise macht den Menschen das Leben schwer. Für Autofahrer:innen ist selbst der alltägliche Verkehr zum Problem geworden. Das aus der Region Kurdistan geförderte und ins Ausland transportierte Öl wird an die Bevölkerung zu einem hohen Preis zurückverkauft. Der Benzinpreis schwankte kürzlich zwischen 1000 und 1250 irakischen Dinar. Die Invasionsangriffe und die Zusammenarbeit der PDK mit der türkischen Besatzung gefährden den Status quo und die Errungenschaften in der Region. Sogar eine Besatzung von Kerkûk und Mosul befindet sich heute auf der Tagesordnung. Das ist die Situation in Südkurdistan, und die Situation im Irak ist nicht weniger dramatisch.

Die Regierungskrise im Irak

Eine der gefährlichsten Krisen im Irak besteht im Fehlen einer neuen handlungsfähigen Regierung. Denn in den letzten acht Monaten wurden weder eine neue Regierung noch eine provisorische Regierung geschaffen. Zuletzt forderte der Anführer der Sadr-Bewegung, Muqtada al-Sadr, alle Parteien im Parlament, darunter 73 Abgeordnete seiner Bewegung, zum Rücktritt auf. Kurz darauf reichten die Parlamentarier ihre Rücktrittsanträge ein. Später in der Nacht gab der irakische Parlamentspräsident Mohamed al-Halbousi bekannt, dass er versucht habe, al-Sadr zu überzeugen, aber gescheitert sei und er die Rücktritte genehmigt habe. Al-Sadr ging es darum, eine Mehrparteienregierung zu bilden. Laut al-Sadr würde eine Regierung, die nicht sehr vielfältig ist, nicht in der Lage sein, die Probleme des Irak zu lösen. Sein Ziel ist es, eine Mehrheit zu gewinnen und ein starkes Mitspracherecht im Parlament zu haben.

Massenrücktritte und mögliche Annullierung der Wahlen

Nach der Bestätigung der Rücktritte der Anhänger von al-Sadr im Parlament berief der ehemalige Premier Nouri al-Maliki die Rechtsstaatskoalition, deren Vorsitz er inne hat, zu einer Sondersitzung ein. Es ist noch nicht klar, was das Ergebnis von all dem sein wird. Es kann eine Annullierung der Wahl erfolgen, was Abgeordnete bereits in den vergangenen Tagen gefordert haben. Hinzu kommt, dass es nur sehr wenig Proteste von Seiten der Regierung gegen die türkische Invasion gibt. In diesem Zusammenhang fordern viele Persönlichkeiten und Abgeordnete den Abzug ausländischer Truppen von irakischem Territorium und ein Ende der türkischen Besatzung im Irak.

Verbindung zur Türkei lähmt irakische Regierung

Die Tatsache, dass es bis heute keine sinnvollen Ergebnisse hierzu gibt, liegt darin begründet, dass es keine neue Regierung im Irak gibt, der irakische Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi und manche irakische Parteien enge Verbindungen in die Türkei haben und dass am 9. Oktober 2020 ein Abkommen über die Aufteilung Şengals zwischen dem Irak und der PDK unter der Ägide der Türkei geschlossen wurde. Die Türkei nutzt die Meinungsverschiedenheiten zwischen den irakischen Parteien aus und greift sowohl die Region Kurdistan als auch die Souveränität des Irak an. Die Region Südkurdistan bis hin nach Mosul und Kerkûk sind von der Invasion bedroht. Der Grund, warum die Türkei ihre Ziele noch nicht erreicht hat, ist der epochale Widerstand der Guerilla. Der Guerillawiderstand, der den „Islamischen Staat“ (IS) 2014 daran hinderte, große Teile des Irak und Kurdistans zu besetzen, hat nun die vollständige Besatzung Südkurdistans entlang der Grenze, insbesondere in Zap, Avaşîn und Metîna, verhindert.

Ohne Widerstand gegen die Invasion geht der Irak unter

Diese Tatsache muss verstanden werden. Wenn die Türkei bisher nicht in der Lage war, weite Gebiete zu besetzen, ist das der PKK-Guerilla zu verdanken. Die PKK ist nicht die Ursache der Angriffe. Sie ist eine Bewegung, die nicht zulässt, dass die Würde von Kurd:innen, Araber:innen und allen in Kurdistan und im Irak lebenden Völkern verletzt wird. Wenn ein Standpunkt eingenommen werden soll, so muss es der des Protests gegen die Invasion sein. Ansonsten wird ein Teil des Irak an den Iran und ein Teil an die Türkei fallen, ein weiterer Teil wird von den Hegemonialmächten beherrscht werden. Es wird dann keinen Staat mit dem Namen Irak mehr geben.