Am 14. Mai finden in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Bei den Wahlen konkurrieren das von dem Faschisten Erdoğan angeführte Bündnis der AKP und MHP, dem sich die kurdisch-islamistische Hüda-Par angeschlossen hat, die Nationale Allianz mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) und das Bündnis für Arbeit und Freiheit, dem die von einem Verbot bedrohte HDP, die Grüne Linkspartei (Yeşil Sol Parti) und weitere progressive Parteien angehören.
Das Komitee für Völker- und Glaubensfragen der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) hat sich im ANF-Interview zur Bedeutung dieser Wahlen geäußert. Wir dokumentieren einen Ausschnitt aus dem ausführlichen Beitrag in deutscher Übersetzung:
Zunächst möchten wir daran erinnern, dass die Wahlen, die am 14. Mai in Kurdistan und in der Türkei stattfinden, sehr wichtig sind. Wir sind aber nicht der Meinung, dass Wahlen die Lösung für alles sind. Ein solcher Ansatz würde zu großen Fehlern führen. Die Wahlen sind jedoch für alle in der Türkei lebenden Bevölkerungsgruppen wichtig. Für das kurdische, arabische, lasische und türkische Volk und andere Völker geht es um den Kampf für die Freiheit der Sprache und der Kultur. Die alevitische, ezidische, assyrische und andere Glaubensgemeinschaften kämpfen für Gleichberechtigung und Demokratie. Die Wahlen sind auch sehr wichtig für den Kampf für das Leben und die Freiheit der Frauen, die in der Türkei und in Kurdistan staatlicher Gewalt ausgesetzt sind, ermordet werden und verschwinden. Auch für die Jugend, die Werktätigen und alle gesellschaftlichen Gruppen sind diese Wahlen von großer Bedeutung.
Die Völker, die Frauen und die Jugend sollten an diesem Prozess teilnehmen, in dem Bewusstsein, dass sie eine Rolle in einer Bewegung spielen werden, die den Zusammenbruch eines faschistischen Regimes herbeiführen wird, das der Natur, den Kulturen, den Grundrechten und den Freiheiten feindlich gegenübersteht. Die Republik Türkei besteht seit hundert Jahren. Dieser Zeitraum wird in die Geschichte eingehen als das Jahrhundert des Abschlachtens von Völkern, insbesondere des kurdischen Volkes. Auch die Massaker, die die alevitische Gemeinschaft in diesem Jahrhundert erlebt hat, haben das Niveau eines Völkermordes erreicht. Neben den physischen Angriffen standen auch ideologische und psychologische Angriffe in diesem Jahrhundert ständig auf der Tagesordnung und wurden durchgeführt.
Der türkische Nationalstaat bzw. der Staat der Republik Türkei hat in seiner Praxis der vergangenen hundert Jahre bewiesen, dass er Kurd:innen und Alevit:innen immer als Sicherheitsproblem betrachtet hat. Seit 1923, also seit der Gründung der Republik, sind die Völker ständigem Druck ausgesetzt. In den letzten zwanzig Jahren der AKP-Herrschaft ist die Situation jedoch eskaliert. Es gab fast täglich Verhaftungen, Folter und Isolation in den Kerkern wurden auf die Spitze getrieben und die Probleme von Frauen haben sich drastisch verschärft. Die Wirtschaft befindet sich in einer Sackgasse und die Menschen empfinden das Leben aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten als eine Schinderei. Am stärksten eskalierte der Krieg in Kurdistan, der ohne moralische Regeln geführt wurde.
Darüber hinaus gibt sich die faschistische AKP/MHP-Regierung mit nichts von alledem zufrieden und hat sich mit der Hüda-Par, auch bekannt als Hizbullah-Organisation, verbündet, die mit ihren Kontra-Aktivitäten in den 1990er Jahren eine Rolle bei Zehntausenden von ungeklärten Morden spielte. Damit sollen die Völker eingeschüchtert werden. Hüda-Par ist bekannt, vor allem den Kurdinnen und Kurden ist diese terroristische Organisation nicht fremd. Sie ist die politische Partei der Hizbi-Kontra und wurde als kurdischer Zweig der türkischen Gladio [Stay-Behind-Organisationen der NATO] vor allem in den frühen 90er Jahren in Betrieb genommen. Gleichzeitig ist diese Organisation auch der praktische Vollstrecker der geheimen und dunklen Angelegenheiten in der Türkei und in Kurdistan, also der Konterkräfte. Und der Eintritt dieser Kräfte bedeutet den Eintritt von Gladio in die Wahlen unter dem Namen einer politischen Partei. Es sind diese Kräfte, die die Türkei bereits an den Rand des Abgrunds gebracht haben.
In diesem Sinne ist die Türkei mit dem Wahlprozess an einem wichtigen Scheideweg angelangt. Der Kampf der Freiheitsbewegung, der Frauen und der Jugend, der Werktätigen und der demokratischen Kreise haben das faschistische Regime an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Mit den Wahlen wird unser Volk, ja die Völker der Türkei, den Prozess abschließen, indem sie ihm sozusagen den Todesstoß versetzen. Im Vorfeld der Wahlen wird die entscheidende Rolle und Bedeutung des Bündnisses für Arbeit und Freiheit noch deutlicher. Die Dynamik des Kampfes für Demokratie, Rechte und Freiheit in der Türkei besteht aus den gesellschaftlichen Segmenten, auf die sich das Bündnis für Arbeit und Freiheit stützt. Je mehr dieses Bündnis wächst und stärker wird, indem es alle in der Türkei lebenden Völker, Glaubensgruppen, Frauenorganisationen, Jugendlichen, Werktätigen und Arbeitslosen einbezieht, desto mehr stärkt es den Kampf für Demokratie und öffnet den Boden für demokratische Politik.
Seit mehr als zwanzig Jahren ist die faschistische Regierung der gemeinsame Feind der gesamten Gesellschaft in der Türkei. In diesem Sinne ist es notwendig, sich um die Grüne Linkspartei zu scharen, die die Völker, die Frauen, die Jugend und die religiösen Identitäten vertritt, sich für den Kampf für Demokratie und Freiheit organisiert und ihr politisches Programm und ihre Leitlinien entsprechend formuliert, und auf dieser Grundlage zu arbeiten. In der Türkei muss es einen radikalen Mentalitätswandel geben, die Mentalität der Leugnung und Vernichtung, das Verständnis und die Politik des Völkermords müssen sich ändern. Wandel und Transformation können durch die Entwicklung demokratischer Politik, demokratischer Kämpfe, sozialer Kämpfe und des Widerstands erreicht werden.