„Hüda-Par kann sich in eine kurdische Hamas verwandeln“

Nedim Seven (PKK) warnt vor der kurdisch-islamistischen Hüda-Par, die sich dem Wahlblock der AKP und MHP angeschlossen hat: „Diese Struktur kann nach den Wahlen gefährlich werden. Sie kann Hüda-Par in eine kurdische Hamas verwandeln.“

Nedim Seven hat sich als Mitglied des Exekutivrats der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im ANF-Interview zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei geäußert und warnt vor der kurdisch-islamistischen Hüda-Par, die sich dem Wahlblock der AKP und MHP angeschlossen hat. Wir veröffentlichen einen Ausschnitt des ausführlichen Interviews in deutscher Übersetzung.

Der Vertrag von Lausanne besteht seit knapp hundert Jahren. In einer solch wichtigen und kritischen Zeit finden in der Türkei Wahlen statt. Welche Bedeutung haben diese Wahlen für die Kurd:innen, die Völker, die Glaubensgemeinschaften und die Kulturen?

Der Vertrag von Lausanne wird am 24. Juli 2023 hundert Jahre alt. Im Vorfeld des Jahrestags finden in der Türkei am 14. Mai Wahlen statt. Die AKP/MHP will den Wahlprozess auf der Grundlage des Fortbestands ihrer faschistischen Macht durch Intrigen und verschiedene Machenschaften abschließen. Wenn das verhindert werden kann, ist es sicher, dass die Wahlen am 14. Mai zum Erfolg der demokratischen Kräfte führen werden. Die grundlegende Planung des faschistischen AKP/MHP-Regimes zielt darauf ab, die osmanischen Träume anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von Lausanne zu verwirklichen. Durch die Erneuerung von Lausanne sollen die Gebiete innerhalb der Grenzen von Misak-ı Milli, in denen die osmanische Hauptherrschaft bestand, wieder in die Grenzen der Republik Türkei aufgenommen werden. Dies ist das Hauptziel der AKP/MHP-Regierung seit der Sitzung des türkischen Nationalen Sicherheitsrats im Oktober 2014, auf dem der Zersetzungsplan [gegen die kurdische Befreiungsbewegung] beschlossen wurde. Auf dieser Achse begann die faschistische Regierung am 24. Juli 2015 einen Krieg mit einem sehr umfassenden Luftangriff, der nach ihren eigenen Worten 400 Einsätze umfasste. Die Luftangriffe wurden danach ununterbrochen überall fortgesetzt und deckten den Norden, den Süden und den Westen (Rojava) von Kurdistan ab. Diese Angriffe dauern bis zum heutigen Tag an. Bisher hat der Widerstand der PKK die „Misak-ı Milli“-Träume dieses faschistischen Regimes um einen hohen Preis vereitelt.

Wahlen sind ein Mittel im Kampf um starke Positionen

Mit dem Vertrag von Lausanne wurde Kurdistan offiziell zwischen den vier Besatzungsstaaten Syrien, Irak, Iran und Türkei aufgeteilt und der Ausbeutung überlassen. Die gegen die Kurdinnen und Kurden gerichtete Politik der Verleugnung, Vernichtung und Assimilierung erhielt in diesem Sinne einen rechtlichen Rahmen. Wir treten in ein neues Jahrhundert mit einer enormen Widerstandskultur ein, die diesen rechtlichen Rahmen sprengt. Der AKP/MHP-Faschismus, in einer Position, die den „grünen Faschismus" institutionalisiert, will diese Politik noch stärker umsetzen, indem er die Realität von Lausanne gegen die Völker, Kulturen und alle ethnischen Kreise im neuen Jahrhundert auf der Grundlage des Bündnisses des grünen und schwarzen Faschismus aktualisiert und den Kemalismus verschiebt. Diese Mentalität hat die armenischen und assyrischen Völker zwischen 1915 und 1918 durch große Massaker ins Exil gezwungen. Sie verleugnete und isolierte verschiedene Minderheiten und zielte darauf ab, den Kurdinnen und Kurden ihre Identität zu nehmen und sie zu türkisieren. Im Rahmen der pantürkischen Politik wurde eine Verfassung für die vollständige Türkisierung verschiedener ethnischer und anderer Gruppen geschaffen. Angesichts der Realität dieses Jahrhunderts gab es einen kontinuierlichen Widerstand der Völker, der sozialistischen und revolutionären Kräfte. Dieser Widerstand muss im neuen Jahrhundert zu einem Ergebnis zugunsten der Völker und der Kräfte der Demokratie führen. Die Anstrengungen in dieser Richtung müssen auf höchstem Niveau gehalten werden. Wahlen sind auch ein Mittel im Kampf um starke Positionen. Es ist eine Tatsache, dass das faschistische AKP/MHP-Regime nicht durch eine Wahl vollständig zerstört werden kann. Es ist jedoch möglich, in den kommenden Tagen mit der richtigen Taktik und Strategie, mit entsprechenden Bündnissen und einer entschlossenen Haltung die Wahlen als Werkzeug zu nutzen und die Existenz der AKP/MHP innerhalb des gesetzlichen Rahmens zugunsten der Völker zu beenden.

Zusammenbruch des AKP/MHP-Faschismus

Der AKP/MHP-Faschismus bricht angesichts des großen Widerstands von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und des von der PKK unter hohen Opfern geführten Kampfes zusammen und erlebt die schwächsten Momente seiner Geschichte. Er ist wirtschaftlich, politisch und diplomatisch zusammengebrochen, ideologisch zweideutig geworden und hat sich in einen mafiösen Bandenstaat verwandelt. Die Erdoğan/Bahçeli-Crew hat sich in ein internationales Interessennetzwerk verwandelt. Bei den Wahlen muss ihr innerhalb eines legalen Rahmens das Handwerk gelegt werden. Die Wahlen am 14. Mai sind in dieser Hinsicht wichtig. Deshalb sollten alle demokratischen Kreise eine Haltung einnehmen, die den Boden für Einheit, Solidarität und Bündnisse öffnet. Die Allianzen sind bereits zu einem großen Teil geklärt. Auf der einen Seite gibt es ein mafiöses Bündnis aus Kontras und Banden in Form von AKP, MHP und Hüda-Par, das als Volksallianz bekannt ist; auf der anderen Seite konkurrieren bei diesen Wahlen das revolutionäre, demokratisch-sozialistische Bündnis für Arbeit und Freiheit und die Nationalallianz, die als Sechser-Tisch bekannt ist und eine im Wesentlichen restaurative Struktur hat, die viele Tendenzen umfasst und noch keine stabile Politik betreiben kann. Die wichtigsten Kräfte, die miteinander konkurrieren werden, bestehen um diese drei Blöcke herum.

Die Grüne Linkspartei vertritt alle Bevölkerungsgruppen

Seit langem gibt es ein Projekt des Faschismus, das kurdische Volk aus der legalen Politik auszulöschen. Zu diesem Zweck sind alle möglichen unmoralischen Orientierungen entstanden. Die AKP/MHP-Regierung weiß sehr gut, dass keine faschistische Macht in der Lage war, sich gegen den kurdischen Freiheitskampf zu behaupten. Weder kann dieser Kampf zurückgedrängt, noch kann die Guerilla vernichtet werden. Die Kurden, Aleviten, andere marginalisierte Gruppen und alle demokratischen Kreise sollen aus der demokratischen Politik ausgelöscht werden. Bekanntlich wurden zu diesem Zweck schmutzigen Methoden eingesetzt. Tausende gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Abgeordnete und Mandatsträger, und Zehntausende Menschen aus unserem Volk wurden in Geiselhaft genommen und ins Exil gezwungen. Es wurde versucht, die kommenden Wahlen zu einer Falle für die Kurdinnen und Kurden und die demokratischen Kreise zu machen. Das Zusammentreffen des Verbotsverfahrens gegen die HDP mit dem Termin der Parlamentswahlen ist ein Indiz dafür. Die Kurden und die demokratisch-sozialistischen Kräfte, die über eine große Tradition und Kampferfahrung verfügen, haben das erkannt und die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um diesen faschistischen Mob zu vereiteln. Indem sie mit Alternativen arbeiteten, wurde eine Politik verfolgt, die der kontinuierlichen Tradition des Kampfes entspricht. Das ist eine positive Haltung, die alle Völker mit einer Perspektive vertritt, die eine wirkliche Alternative darstellt, in der ein revolutionäres, demokratisches, werktätiges, libertäres Bündnis gebildet wurde, das einen rechtlichen Rahmen erhielt, der sich als Partei der Grünen Linken ausdrückt. Das kann man in den veröffentlichten Wahlerklärungen deutlich sehen.

Auch wir verfolgen diesen Prozess aufmerksam. Unsere Leitung hat die notwendigen Erklärungen abgegeben und Erleichterungen für alle demokratischen Kreise geschaffen, um in dieser Angelegenheit erfolgreich zu sein. Am 6. Februar kündigte unsere Bewegung aufgrund der Erdbebenkatastrophe an, dass sie aus moralischer und humanitärer Verantwortung eine Entscheidung zur Untätigkeit [Einstellung militanter Aktionen] getroffen hat. Die Ankündigung des KCK-Exekutivrats, dass diese Entscheidung bis zum Ende der Wahlen aufrechterhalten wird, ist eine ernsthafte Chance, erfolgreich zu sein. Dieser neue Aufruf unserer Bewegung war sehr wichtig. Bei den Wahlen am 7. Juni 2015 wurden mehr als 80 Abgeordnete ins Parlament entsandt, aber das faschistische AKP-Regime ließ die Wahlen am 1. November 2015 wiederholen und verursachte in der Türkei eine chaotische Atmosphäre, indem es Bomben auf HDP-Kundgebungen zündete.

Die Regierung wird zu allen Methoden greifen

Jetzt stehen erneut Wahlen an. Die Regierung wird zu allen möglichen schmutzigen und unmoralischen Methoden greifen, um das Ergebnis zu ihren Gunsten zu verändern. Der faschistische Mob zeigt sich in aller Deutlichkeit. Die Regierung hat sich in eine faschistische, bandenmäßige Organisation verwandelt, die kein Ansehen mehr hat. In dieser Situation ist es fast unmöglich, an den Wahlurnen erfolgreich zu sein, aber der AKP/MHP-Faschismus hat sich auf unmoralische Methoden und Tricks spezialisiert. Unser Volk und die demokratischen Kräfte müssen in dieser Hinsicht wachsam sein und Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Sie sollten in der Lage sein, sich auf allen Gebieten unter dem Dach der Partei der Grünen Linken zu artikulieren.

Erdoğan kandidiert illegal bei den Wahlen, er ist ein illegaler Kandidat. Er ist ein Lügner, ein Dieb, ein Mensch, der keine Moral mehr hat, und die schändlichste Person, die den Staat der Republik Türkei führen kann. Es gibt nichts, was ein Mensch mit einer solchen Persönlichkeit nicht für sein eigenes Ego tun würde. Da er die Tradition der nationalen Vision verrät, kann er alle Werte, an die er glaubt, ohne mit der Wimper zu zucken verraten. Gerade in Anbetracht der Realität von Devlet Bahçeli und der MHP, die alles und jeden angreifen, indem sie jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachen, geifern, müssen die Kräfte der Demokratie ihre Anstrengungen mit großer Wachsamkeit und revolutionärer Haltung auf höchstem Niveau halten. Auf diese Weise wird sich der Erfolg einstellen. Es sollte nicht so schwierig sein, angesichts dieser faschistischen Macht, die in jeder Hinsicht verrottet und untergeht und mit Banden und frauenfeindlichen Kontras verbündet ist, Erfolge zu erzielen.

Der AKP/MHP-Faschismus hat sich mit Hüda-Par verbündet, einer Kontra-Struktur, die in Kurdistan Massaker verübt hat. Warum wurde dieses Bündnis geschlossen, was ist sein Zweck und seine Bedeutung?

Ich betrachte das Bündnis der AKP mit Hüda-Par als positiv, weil es ihr wahres Gesicht zeigt. Hüda-Par ist eine Gegenstruktur, die den Kurdinnen und Kurden nur zu gut bekannt ist. Bei dieser Struktur handelt es sich um ein Netzwerk von Mördern, das in den 1990er Jahren vom tiefen Staat und den Regierungen organisiert und in jeder Hinsicht unterstützt wurde. Diese Bandenstruktur hat das Blut von Tausenden unserer Leute vergossen und wurde gegründet, um Krieg gegen die PKK und die Kurden zu führen. Die Kurden nennen dieses Mördernetzwerk Hizbulkontra. Hüda-Par steht für die Hizbullah [nicht zu verwechseln mit der Hisbollah im Libanon] auf Kurdisch. Es bedeutet die Partei Allahs. Diese Kontra-Organisation ist in Wirklichkeit eine Realität des IS und JITEM. Alle mörderischen Elemente des JITEM in den 1990er Jahren gingen vollständig aus der Hizbulkontra-Struktur hervor. Die etwas größere Organisation dieser Gegenstruktur ist die AKP selbst. Als die Kurdinnen und Kurden den IS bekämpft haben, wurde klar, dass der IS direkt mit der AKP verbunden war. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich die AKP mit diesen Strukturen verbündet hat. Das faschistische Regime, das bereits in jeder Hinsicht zerfällt, wird mit diesem Bündnis in den Augen der Völker und aller humanitären Kreise noch mehr zu einem Nichts.

Ein anderer Aspekt ist, dass Hüda-Par versucht, sich einen legalen Deckmantel zuzulegen. Dafür werden alle möglichen wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten geboten. In der Zukunft wird diese Situation wahrscheinlich sehr gefährlich werden. Wenn der faschistische AKP/MHP-Block bei den Wahlen nicht das gewünschte Ergebnis erzielt, wird er Hüda-Par in Kurdistan und an anderen Orten bewaffnen und sie gegen die revolutionäre Bewegung und die Kurden kämpfen lassen. Aus diesem Grund wird versucht, eine legale Tarnung für diese Kontras zu schaffen. Es ist das erste Mal in der türkischen Tradition, dass dieses Vorgehen auf dieser Ebene offen zur Schau gestellt wird.

Die Veröffentlichung der Fotos von Yeşil (Mahmut Yıldırım) und den weißen Toros beim Spiel zwischen Amedspor und Bursaspor und die anschließende Feier dieser Angriffe durch Bahçeli zeigen, dass es sich bei dieser Veranstaltung um einen organisierten Angriff und eine Bedrohung handelt. Alle Kreise sollten das wissen und entsprechend handeln. Diese Mentalität kennt keine Unterschiede und versucht, sie zu zerstören. Deshalb müssen alle Segmente wachsam sein und einen starken Kampf führen. Diese Struktur kann nach den Wahlen gefährlich werden. Sie kann Hüda-Par in eine kurdische Hamas verwandeln. Es ist notwendig, so damit umzugehen und wachsam zu sein. Wahrscheinlich werden sie während des Wahlkampfs und wenn sie merken, dass die Wahlen zugunsten der Völker ausfallen, mit diesen Gegenstrukturen angreifen. In diesem Fall kann sich der Staat selbst entlasten und Hüda-Par das machen lassen.