Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat in der Causa um rassistische Lynchattacken gegen den kurdischen Fußballverein Amedspor beim Auswärtsspiel in Bursa Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft in Ankara gestellt. Der Strafantrag betrifft den Gouverneur von Bursa und dessen Vizen, den Polizeichef der nordwesttürkischen Metropole sowie alle im Stadion diensthabenden Polizisten, Stadionordner, Verantwortliche des türkischen Fußballverbands (TFF), den Vorstand von Bursaspor und alle Spieler, den Schiedsrichter der Partie und alle Assistenten, wie die rechtspolitische Kommission der HDP mitteilte. Sie wirft ihnen unter anderem Bedrohung, Beleidigung, Freiheitsberaubung, Aufstachelung zu Hass und Feindseligkeit, vorsätzliche Körperverletzung, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Amtsmissbrauch vor. Die Staatsanwaltschaft sei nun verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen und den Sachverhalt aufzuklären.
Todesdrohungen und organisierte Gewalt
Was ist passiert? Bei einem Spiel zwischen den Drittligisten Bursaspor und Amedspor waren die Spieler des kurdischen Gastvereins am Wochenende heftigen rassistischen Angriffen durch einen organisierten Mob ausgesetzt. Bereits am Samstagabend versammelte sich ein rassistischer Mob vor dem Hotel in Bursa, in dem die Fußballspieler von Amedspor untergebracht wurden. Es wurden ultranationalistische und antikurdische Parolen gerufen, so wie die menschenverachtende Parole: „Glücklich schätze sich, wer sich Türke nennen darf“. Im selben Augenblick wurden Feuerwerkskörper auf das Hotel abgefeuert. Tausendfach im Netz geteilte Videos zeigen Hetzjagden gegen Fans von Amedspor, die vor der Menschenmenge wegrennen oder vor laufender Kamera gedemütigt werden. Die organisierte Gewalt setzte sich am Sonntag fort.
Schon vor Spielbeginn kam es zu körperlichen Attacken durch Fußballer und Fans des gastgebenden Vereins auf die kurdischen Spieler. Beteiligt daran war auch Cenk Şahin, der vor laufender Kamera sexistische und diskriminierende Verbalattacken gegen die Spieler aus Amed fuhr („Ich ficke eure Mütter, ihr Hurensöhne“). Şahin, der zwischen 2016 und 2019 in Hamburg für St. Pauli spielte, ist ohnehin als rechtsextremer Ultranationalist bekannt. So hatte er im Oktober 2019 seine Unterstützung für den Angriffskrieg der Türkei gegen Nord- und Ostsyrien geäußert und auf Instagram geschrieben: „Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch!“ St. Pauli distanzierte sich von den Äußerungen und bezeichnete sie als „mit den Werten des Vereins nicht vereinbar“ – Şahin wurde freigestellt.
Auf den Tribünen des Stadions feierten die Anhänger von Bursaspor die türkischen Todesschwadronen, die während des schmutzigen Krieges in den 1990er Jahren für Tausende Morde an der kurdischen Zivilbevölkerung verantwortlich waren. Gezeigt wurden etwa Bilder des berüchtigten Folterers Mahmut Yıldırım, der unter seinem Decknamen „Yeşil“ für den Gendarmeriegeheimdienst JITEM tätig war, sowie von weißen Renaults vom Typ „Toros“, in denen die Opfer des JITEM verschleppt wurden. Diese zutiefst menschenrechtsverachtenden und diskriminierenden Bilder gingen um die Welt und zeigten den kurdischen Fußballverein Amedspor in einem erneut demütigenden und rassistisch angefeindeten Licht.
Während des Spiels warfen Bursaspor-Fans Flaschen, Feuerwerkskörper, Messer und Platzpatronen auf den Platz, der Amedspor-Torwart Cantuğ Temel, der selbst türkischer Herkunft und Sohn eines Polizisten ist, brach von Wurfgeschossen getroffen zusammen. Auch andere Spieler sowie Vereinsfunktionäre von Amedspor wurden verletzt. Der gesamte Rasen war übersät von den herabregnenden Wasserflaschen und anderen Gegenständen, die Fans von Bursaspor nach den Spielern von Amedspor schmissen. Auch nach dem Spiel, das Bursaspor 2:1 für sich entschied, gingen die Angriffe auf die Mannschaft aus Amed auf dem Weg zu den Umkleidekabinen weiter. Daran waren auch das Sicherheitspersonal und Vertreter des türkischen Fußballverbands beteiligt.
Trotz der chaotischen Zustände auf dem Feld wurde das Spiel nicht unterbrochen. Der Vorstand von Amedspor teilte mit, dass der Schiedsrichter mehrfach „mit großer Bestimmtheit“ geäußert habe, das Spiel nicht zu unterbrechen und der TFF-Präsident Mehmet Büyükekşi zahlreiche Anrufe des Vereins während des Spiels erst nicht entgegengenommen und später sein Handy vollständig ausgeschaltet hätte. Darauf weist auch die HDP in ihrer Strafanzeige hin und betont zudem, dass es bereits Wochen vor der Begegnung in Bursa zu Lynchaufrufen gegen die Spieler von Amedspor gegeben habe – mehrheitlich von ultra-nationalistischen Personen- und Fangruppen. „Entsprechenden Warnungen zum Trotz haben die Behörden diese Gewaltaufrufe konsequent ignoriert. Damit haben sie die Provokationen und Angriffe erst ermöglicht und eine Bühne für rassistische Gewalt die Verherrlichung von Terror gegen die kurdische Bevölkerung geboten. Dies kommt einer Todesdrohung gleich“, so die Partei.
Festgenommene wieder freigelassen
Vermeintliche Konsequenzen gegen Beteiligte und Verantwortliche des organisierten Angriffs auf Amedspor, die der türkische Innenminister Süleyman Soylu – erst nach massiven Protesten – großmundig angekündigt hatte, erwiesen sich inzwischen als Farce. Neun Personen, die im Zusammenhang mit den Transparenten festgenommen worden waren, die die Verfolgung von Kurdinnen und Kurden in den 90ern symbolisierten, wurden unter Meldeauflagen freigelassen. Der Vorstand von Amedspor bereitet sich wegen des rassistischen und diskriminierenden Verhaltens während und vor des Spiels in Bursa indes darauf vor, sich an die Ethik- und Disziplinarkommission der UEFA zu wenden.