Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivrats der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), hat sich im ANF-Interview zu den Strategien der Nato, der USA und Europas in Südkurdistan im Kontext der türkischen Besatzungsbestrebungen geäußert und die von einem neoosmanischen Dominanzanspruch getragene und von Deutschland unterstützte Völkermordpolitik des türkischen Staates analysiert. Wir veröffentlichen das Interview in drei Teilen.
Welche Agenda oder Strategie verfolgen die NATO und insbesondere die USA sowohl in Bezug auf die türkische Invasion in Südkurdistan, als auch bezüglich der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK)?
Der türkische Staat greift Rojava und Südkurdistan mit dem Ziel an, diese Gebiete zu besetzen. Es ist unmöglich, diese Invasion getrennt von der kolonialistischen Herrschaft der Türkei in Nordkurdistan und den damit verbundenen Völkermordangriffen zu betrachten. Mit den Angriffen verfolgt die Türkei das Ziel, genauso wie in Nordkurdistan alles Kurdische vollständig zu vernichten, also einen Völkermord an den Kurd:innen zu begehen. Das ist definitiv das vorrangige und grundlegende Ziel des türkischen Staates. Dieser Staat und seine faschistische AKP/MHP-Regierung haben erkannt, dass der Völkermord an den Kurd:innen nur gelingen wird, wenn er in allen Teilen Kurdistans, insbesondere in Rojava und Südkurdistan, stattfindet und alle bisherigen Errungenschaften der Kurd:innen zerstört werden. Sie haben also verstanden, dass ihre Völkermordangriffe auf die kurdische Bevölkerung in Nordkurdistan nicht ausreichen. Denn die freiheitlichen und demokratischen Entwicklungen in den verschiedenen Teilen Kurdistans stehen in enger Beziehung zueinander. Sie sorgen dafür, dass in allen Teilen das Bewusstsein, die Organisierung und die praktischen Aktionen für den Kampf für Freiheit und Demokratie zunehmen.
Möchte der türkische Staat also unter diesen Bedingungen einen Völkermord an den Kurd:innen verüben, muss er seine Angriffe auf die Existenz und Freiheit der Kurd:innen in allen vier Teilen Kurdistans und im Ausland ganzheitlich angehen. Das ist das Ergebnis, zu dem er gelangt ist, nachdem er und seine verschiedenen Regierungen im Verlauf der vergangenen 40 Jahre umfassende Angriffe auf die PKK ausgeführt haben, um sie zu vernichten oder zur Kapitulation zu zwingen.
Kurz gefasst, der türkische Staat verfolgt mit seinen Besatzungsangriffen auf Rojava und Südkurdistan zwei wichtige Ziele. Natürlich werden bei einem genaueren Blick noch deutlich mehr Ziele erkennbar, so zum Beispiel der Fakt, dass die türkischen Besatzungsangriffe im Rahmen der regionalen und sogar der globalen Interessenskonflikte als Werkzeug benutzt werden. Doch die folgenden zwei grundlegenden Ziele können wir als ausschlaggebend betrachten.
Erstes Ziel: Völkermord an den Kurd:innen
Erstens geht es um die Durchführung eines Völkermordes an den Kurd:innen. Das wichtigste Ziel der Besatzungsangriffe auf Rojava und Südkurdistan besteht darin, das freie Bewusstsein der Kurd:innen, ihren eigenen Willen, ihre Organisierung und Errungenschaften zu vernichten, kurz gefasst, der Existenz des kurdischen Volkes ein Ende zu bereiten. Die Angriffe gehen so weit, dass nicht nur die militärische Kraft, der politische Einfluss und die ökonomisch-organisatorischen Strukturen der Kurd:innen zerschlagen werden sollen. Zusätzlich soll sogar auf geistiger, emotionaler und gedanklicher Ebene alles vernichtet werden, was Ausdruck der kurdischen Existenz und Freiheit ist. Alles, was die Kurd:innen ausmacht, soll vollständig eliminiert werden.
Im Rahmen dieses Vorhabens führt der türkische Staat in Nordkurdistan bereits unter Einsatz aller erdenklichen Mittel einen Völkermordangriff durch. Vom kulturellen Völkermord bis zu physischen Massakern, also einem physischen Völkermord – nichts bleibt unversucht. Die demografischen Verhältnisse in Nordkurdistan werden gezielt verändert, die kurdische Bevölkerung wird aus ihrer Heimat vertrieben und einer Assimilationspolitik unterworfen. Die Geschichte, Sprache, Kultur und einfach alles, was die Kurd:innen ausmacht, wird einem kulturellen Völkermord ausgesetzt. Dadurch soll das kurdische Volk türkisiert werden und die kurdische Existenz wie eine Art Ressource für die Stärkung der türkischen Nation benutzt werden. Auf dieser Welt soll schlichtweg nichts mehr existieren, was das Attribut ‚kurdisch’ trägt.
Mit den Besatzungsangriffen auf Rojava und Südkurdistan wird genau dasselbe Ziel verfolgt. Es ist sehr wichtig, dieses Ziel der Angriffe zu verstehen und anzuerkennen. Denn es handelt sich um eine Tatsache. Mithilfe dieser Angriffe sollen der eigenständige Willen der Kurd:innen, alle kurdischen Errungenschaften und der Status der Kurd:innen in diesen beiden Teilen Kurdistans zerschlagen werden. Das bedeutet, dass der Völkermord an den Kurd:innen auch in Rojava und Südkurdistan umgesetzt werden soll. Was heute in Efrîn, Girê Spî und Serêkaniyê geschieht, ist offensichtlich. Zwischen der dortigen Situation und den staatlichen Maßnahmen in Nordkurdistan bestehen keinerlei Unterschiede.
Es ist eindeutig, dass der türkische Staat und die faschistische AKP/MHP-Regierung in den besetzten Gebieten einen Völkermord verüben. Wir können auch klar erkennen, dass genau das Gleiche Schritt für Schritt im Zuge der Angriffe auf die südkurdischen Regionen Heftanin, Metîna, Zap und Bradost geschieht. Es ist also wichtig anzuerkennen, dass es sich bei den aktuellen Besatzungsangriffen des türkischen Staates auf Rojava und Südkurdistan um einen Angriff handelt, der einen Völkermord an den Kurd:innen zum Ziel hat. Genau dieses Ziel wird mit den Angriffen auf die PKK verfolgt. Denn die PKK ist ein entscheidender Akteur, der für die Existenz und Freiheit des kurdischen Volkes eintritt. Um der Existenz und Freiheit der Kurd:innen ein Ende zu bereiten, um also einen Völkermord an den Kurd:innen zu verüben, muss zuallererst die PKK vernichtet werden. Aus diesem Grund ist die PKK das primäre Ziel der aktuellen Angriffe.
Duran Kalkan ist Gründungsmitglied der kurdischen Arbeiterpartei PKK
Zweites Ziel: Die Besatzung von Rojava und Südkurdistan
In Verbindung damit wird noch ein zweites Ziel verfolgt, und zwar Rojava und Südkurdistan zu besetzen. Wie zu Zeiten des Osmanischen Reiches soll Kurdistan heute dem türkischen Staatsgebiet einverleibt werden. Das erfolgt im Rahmen der neoosmanischen Expansionsbestrebungen des türkischen Staates im Mittleren Osten. In der Vergangenheit wurde dieses Ziel im Geheimen verfolgt, doch heute bekennen sich gewisse Kreise ganz offen dazu. Es mag geringfügige Unterschiede zwischen der Art und Weise geben, mit der die Anhänger des ‚Komitees für Einheit und Fortschritt’ (tr. İttihat ve Terakki), also die Anhänger Enver Paschas, auf der einen Seite und die Kemalisten auf der anderen Seite dieses Ziel damals verfolgten. Doch im Kern hatten sie ein und dasselbe Ziel.
Tayyip Erdoğan und Devlet Bahçeli verfolgen das besagte Ziel, indem sie die Strategie der Enver-Anhänger und die der Kemalisten miteinander vereinen und so auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Das Ziel, sich im ehemaligen Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches – insbesondere in Rojava und Südkurdistan – erneut auszubreiten, ist ein prägender Bestandteil der Mentalität und Politik des türkischen Staates. Die Anhänger des ,Komitees für Einheit und Fortschritt’ und Enver Paschas verfolgten dieses Ziel ganz offen. Dahingegen versuchten die Kemalisten, dasselbe verdeckt zu tun. Das kann man zum Beispiel während der Einverleibung der Provinz Hatay in türkisches Staatsgebiet erkennen. Wir wissen sehr genau, dass Mustafa Kemal dem türkischen Staat die Aufgabe vermachte, jede Gelegenheit zu nutzen, um das als Misak-ı Millî (dt.: Nationalpakt) bezeichnete Gebiet zu annektieren. Der türkische Staat verfolgt noch heute solch ein expansionistisches Ziel und hat den Anspruch, die Rolle einer imperialistischen Macht in der Region zu spielen.
Doch bedarf es für die Umsetzung dieses Zieles natürlich günstiger Rahmenbedingungen. Deshalb bekennt sich der türkische Staat nicht immer offen zu seinem Ziel und verfolgt es nur, wenn die Umstände es ihm erlauben. Sind die Verhältnisse günstig und bietet sich die Gelegenheit dazu, dann unternimmt der türkische Staat Schritte zur Umsetzung seines Expansionismus. Kurz gefasst: Bei der Umsetzung dieses Ziels geht er sehr vorsichtig und bedacht vor. Er verfolgt es also nicht immer offen.
Besatzung wird von der NATO unterstützt
Die NATO und die USA unterstützen die Besatzungsangriffe des türkischen Staats und des AKP/MHP-Faschismus auf Rojava und Südkurdistan. Das ist Teil ihrer Strategie in der Region. Diese Unterstützung und Strategie müssen wir vor dem Hintergrund der besagten Ziele des türkischen Staates genauer betrachten. Die USA und die NATO unterstützen die kolonialistische und völkermörderische Politik und die Angriffe des türkischen Staates auf die Kurd:innen. Denn der heutige türkische Staat akzeptiert und beschützt die bestehenden politischen Grenzen, die von der USA abgesegnet sind und von der NATO aufrechterhalten werden. Diese Grenzen entstanden nach dem Ende des 1. Weltkrieges und wurden im Rahmen des 2. Weltkriegs endgültig festgelegt. Der türkische Staat hat sich damit einverstanden erklärt, dass durch die besagten politischen Grenzen Kurdistan in vier Teile gespalten, die Existenz der Kurd:innen verleugnet und mithilfe zahlreicher Staaten eine auf einen Völkermord abzielende Hegemonie über ganz Kurdistan etabliert wird. Die USA und die NATO lehnen also die kolonialistische Herrschaft des türkischen Staates und den Völkermord in Kurdistan nicht ab. Ganz im Gegenteil, sie begreifen sie als essentiell und unterstützen sie.
Sie sind sogar sehr zufrieden damit, dass es der türkische Staat ist, der Kurdistan spaltet und seiner Hegemonie unterwirft. Deshalb leisten sie Unterstützung. Also ihre prinzipielle Haltung ist es, diese Verhältnisse zu unterstützen. Sie haben ihre Zustimmung dafür gegeben, dass der türkische Staat als eine kolonialistisch-völkermörderische Macht in Kurdistan aufgebaut wird. Zugleich haben sie die Türkei nach dem 2. Weltkrieg in die NATO aufgenommen und damit die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen. Aufgrund ihrer damals eingegangenen Verantwortung unterstützen sie heute die Mentalität und Politik des türkischen Staates, die auf einen Völkermord an den Kurd:innen abzielen. Der türkische Staat profitiert von dieser Haltung, auf deren Grundlage er seine Angriffe in Nordkurdistan durchführt und zugleich versucht, dieselben Angriffe in Form seiner auf Besatzung und Annexion abzielenden Invasionen in Rojava und Südkurdistan fortzuführen. Im Kern besteht also auf der Ebene von Mentalität und Politik eine Einheit bzw. ein Bündnis mit der Türkei.
Unterschiede zwischen der Politik der Türkei und der NATO
Doch gibt es überhaupt keine Unterschiede zwischen der NATO bzw. der USA und der Türkei? Natürlich gibt es Unterschiede. Zum einen kommt es von Zeit zu Zeit bezüglich der praktischen Umsetzung der zuvor beschriebenen Politik zu Meinungsverschiedenheiten. Die besagten Staaten tragen also Widersprüche und Konflikte aus, in denen es um wirtschaftliche und politische Interessen geht. Die USA und verschiedene NATO-Mitgliedsstaaten profitieren von den Schwierigkeiten und Hindernissen, auf die der türkische Staat aufgrund seiner kolonialistisch-völkermörderischen Mentalität und Politik gegenüber den Kurd:innen stößt. Wenn also die türkische Politik stärker auf offene Auseinandersetzungen mit den Kurd:innen setzt und dabei in Schwierigkeiten gerät, gerät sie in Abhängigkeit von den besagten Staaten. Das gewährleistet, dass die Türkei ihnen ihre Ressourcen zur Verfügung stellt und diese Staaten somit größere Profite machen können. Natürlich wissen wir, dass es sich hierbei um kapitalistische, zwischenstaatliche Widersprüche und Konflikte um Profite handelt.
Ein weiterer Unterschied zeigt sich auf folgende Art und Weise: Aufgrund seiner Mentalität und Politik ist der türkische Staat bestrebt, wirklich alles zu vernichten, was die Kurd:innen ihr Eigen nennen. Doch die USA und die NATO streben nicht nach solch einer umfassenden Vernichtung der kurdischen Existenz. Das entspricht nicht ihren eigenen Interessen. Gehen wir einmal davon aus, die kurdische Existenz sei vollkommen vernichtet worden. Alle Kurd:innen seien also assimiliert und somit zu Türk:innen, Perser:innen oder Araber:innen gemacht worden. Ohne Kurd:innen gäbe es dann auch keine kurdische Frage mehr.
Was würde in solch einer Situation geschehen? Es gäbe keinerlei Widersprüche und Konflikte mehr zwischen den Kurd:innen auf der einen und der Türkei, Syrien, Iran und Irak auf der anderen Seite. Dann könnten die USA, die NATO und die anderen Staaten nicht mehr von den Widersprüchen und Konflikten im Mittleren Osten profitieren. Sie hätten nicht mehr die Möglichkeit, daraus wirtschaftliche und politische Profite zu ziehen. Von der Existenz der kurdischen Frage und den darauf basierenden Widersprüchen und Konflikten zwischen den Kurd:innen und Türkei, Iran, Irak und Syrien profitieren die USA, die NATO-Mitgliedsstaaten, Russland und alle anderen mächtigen Staaten dieser Welt wirtschaftlich und politisch. Denn diese Widersprüche und Konflikte schwächen Staaten wie die Türkei, den Iran, Irak und Syrien, treiben sie noch stärker in die Abhängigkeit äußerer Mächte und lassen sie damit offener für Kollaboration werden. Sie werden dementsprechend abhängig von der Hilfe der USA und der NATO. So machen sie natürlich allerlei Zugeständnisse. Um sich diese Zugeständnisse zu sichern, sind die USA und die NATO dafür, dass die Widersprüche und Konflikte andauern. Sie möchten nicht, dass die kurdische Frage gelöst wird. Kommt es zu einer Lösung der kurdischen Frage, verlieren sie ihre wirtschaftlichen und politischen Vorteile. Solange die kurdische Frage existiert und darauf aufbauend die Widersprüche und Konflikte zwischen den Kurd:innen und den besagten Staaten der Region andauern, können diese internationalen Mächte ihre Profite sichern. Aus diesem Grund möchten die USA und die NATO nicht, dass die Kurd:innen vollständig vernichtet werden.
Was also wollen sie? Sie möchten weder, dass die Kurd:innen komplett vernichtet werden, noch dass sie ihre nationale Einheit erreichen und in Kurdistan ein freies und demokratisches System aufbauen. Denn dann würden die Widersprüche und Konflikte zwischen den Kurd:innen und den anderen Staaten in der Region ein Ende finden. Die besagten internationalen Mächte wollen also, dass die kurdische Frage und damit zusammenhängend die Widersprüche und Konflikte der Kurd:innen mit den Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien weiter existieren. Durch dieses Ziel zeichnet sich die Politik dieser Mächte gegenüber den Regionalstaaten, aber auch gegenüber den Kurd:innen aus.
Die KCK-Strategie der NATO und der USA
Die USA und NATO haben ihre ‚KCK-Strategie’ auf dieser Grundlage entwickelt und halten bis heute an ihr fest. Die Unterstützung dieser Mächte für den türkischen Staat stellt die wichtigste Grundlage ihrer Politik gegenüber der KCK dar. Sie unterstützen die vielfältigen, auf Kolonialismus, Völkermord, Besatzung und Annexion abzielenden Angriffe der Türkei praktisch vollständig.
Zugleich sind sie nicht komplett mit der Absicht der Türkei einverstanden, die Kurd:innen vollständig zu vernichten. Sie sind nicht für die komplette Auslöschung der Kurd:innen, so wie die Türkei es sich wünscht. Vielmehr geht es ihnen darum, die freien und demokratischen Ideen und die entsprechende Willenskraft der Kurd:innen, also deren organisierte und aktionsfähige Kräfte zu zerstören. Sie wollen also nicht, dass die KCK existiert. Denn die KCK repräsentiert den freien Willen der Kurd:innen.
Was also wünschen sie sich von der KCK? Dass sie genauso wie die PDK wird. Sie sind eindeutig gegen die KCK. Deshalb unterstützen sie die Vernichtungsangriffe des türkischen Staates auf die PKK und KCK vollständig. Während der türkische Staat mit diesen Angriffen auf die komplette Zerstörung der PKK und KCK abzielt, wollen Kräfte wie die USA und die NATO nicht deren vollständige Vernichtung, sondern dass sie wie die PDK (Demokratische Partei Kurdistans) werden. Die PKK und die KCK sollen also zu dem werden, wofür die PDK steht.
Was bedeutet es, so zu werden wie die PDK? Es bedeutet, nicht das Ziel der nationalen Einheit aller Kurd:innen, sondern Familien- und Stammesinteressen zu verfolgen und nur nach regionalen Partikularinteressen zu streben. Anstatt einer Politik, die auf der freien Existenz der Kurd:innen, ihrer Einheit, Zusammengehörigkeit und ihrem eigenen Willen basiert, soll eine kollaborierende, unterwürfige und rein interessengeleitete Politik verfolgt werden – also eine Mentalität und Politik, die die heutigen Beziehungen und das Bündnis zwischen der PDK und der AKP-MHP gutheißt. Dabei ist es offensichtlich, dass sich diese Politik, die ein derartig starkes Bündnis mit dem AKP/MHP-Faschismus eingegangen ist, gegen die nationale Einheit der Kurd:innen, ihre Freiheit, Demokratie und das Bündnis der Kurd:innen mit den anderen demokratischen Kräften richtet.
Was bedeutet diese Politik? Sie bedeutet, für die Vorteile der eigenen Familie bzw. der eigenen Dynastie alle Ressourcen und Möglichkeiten der Kurd:innen zu mobilisieren. Die nationalen und demokratischen Werte Kurdistans zu verkaufen. Ein ausschließlich auf Interessen basierendes Bündnis mit dem AKP/MHP-Faschismus einzugehen, also mit einer Kraft, die absolut reaktionär, diktatorisch und kurdenfeindlich ist und einen Völkermord begeht. Für all das steht diese Politik. Und genau das ist die ,KCK-Agenda’ der USA und der NATO. Sie versuchen, die KCK zu einer Mentalität und Politik zu bewegen, die genauso wie die PDK zu Kollaboration und Unterwerfung bereit ist und die Freiheit, Demokratie, Existenz und Einheit der Kurd:innen ablehnt. Es geht ihnen darum, die KCK von ihrem Wesen zu entfremden. Sie also zur PDK zu machen und somit in eine kurdische Kraft zu verwandeln, die gemäß der US- und NATO-Interessen handelt. Es ist mehr als offensichtlich, dass die USA und die NATO gegenüber der KCK auf taktischer und strategischer Ebene genau solch eine Politik verfolgen.
Was ist die Agenda Europas und insbesondere Deutschlands, sowohl als Mitglied der NATO als auch als unabhängiger Block, in Bezug auf die Türkei und den Einmarsch des türkischen Staates in Südkurdistan?
Wir müssen zuerst einmal Folgendes fest stellen: Es entspricht nicht wirklich den Tatsachen, Deutschland als einen unabhängigen Block zu betrachten. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde dessen Kraft verschwindend gering sein. Deutschland versucht eher, entsprechend seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen zu handeln. Es stellt diese Interessen und eine entsprechende Ausbeutungspolitik an erste Stelle.
Das ist ganz offensichtlich die heutige politische Haltung des deutschen Staates. Diese Feststellung stammt nicht von uns. Erst vor Kurzem brachte es Kanzlerin Angela Merkel selbst sehr deutlich auf den Punkt, als sie davon sprach, dass die politische Lage Deutschlands von den wirtschaftlichen Interessen und der Ausbeutungspolitik des Landes abhänge.
Hinzu kommt, dass Deutschlands Beziehungen zur NATO von einer engen Verbundenheit und Abhängigkeit geprägt sind. Der deutsche Staat ist heute wohl einer der Staaten, der am stärksten auf die NATO angewiesen ist. In dieser Frage ähnelt er dem türkischen Staat. Die Türkei kompensiert viele ihrer Schwächen, indem sie sich auf die NATO stützt. Sie gewährleistet ihre eigene Sicherheit mithilfe der NATO. Genau dasselbe lässt sich über Deutschland sagen. Es mag sein, dass es aufgrund einiger ökonomischer Interessenunterschiede teilweise zu Widersprüchen kommt. Doch es wäre definitiv falsch, daraus zu schließen, Deutschland wahre eine Distanz zur NATO und repräsentiere einen getrennten Block. Denn in der Praxis lässt sich so etwas nicht beobachten.
Wenn wir die heutige Lage Deutschlands auf diese Art und Weise verstehen, wird es uns leichter fallen, die deutsche Haltung zu den Besatzungsangriffen der Türkei auf Südkurdistan besser zu begreifen. Wie in allen anderen Fragen auch legt Deutschland zu diesen Angriffen eine Haltung an den Tag, die von seinen wirtschaftlichen Interessen und seiner Ausbeutungspolitik motiviert ist.
Während der UN-Vollversammlung im Jahr 2019 zeigte Tayyip Erdoğan eine Landkarte von Nordsyrien und erklärte, man werde von Idlib bis Dêrik ganz Nordsyrien und Rojava von den dortigen Kräften säubern und in dem Gebiet Geflüchtete ansiedeln. In diesem Zusammenhang stellte er sein Projekt vor, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und Investitionen in der Region vorzunehmen. Deutschland war der erste Staat, der offiziell erklärte, man werde diesen Vorschlag ernst nehmen und sich dem Vorhaben anschließen. Die gleiche Haltung nimmt der deutsche Staat auch zu den aktuellen Besatzungsangriffen auf Südkurdistan ein.
Deutschland nutzt jede Gelegenheit, um enge wirtschaftliche Beziehungen zum Irak zu entwickeln. Das ist allseits bekannt. Selbst mit dem Iran, dessen Widersprüche und Konflikte mit der NATO und insbesondere der USA andauern, unterhält Deutschland sehr enge wirtschaftliche Beziehungen. Diese Beziehungen sind heute deutlich stärker als früher. Es ist auch bekannt, dass Deutschland ähnlich starke wirtschaftliche Beziehungen mit der Regierung der KRI (Kurdistan-Region Irak) pflegt und eine der Kräfte ist, die der Regionalregierung die größte Unterstützung zukommen lässt. Deutschland war und ist stets darum bemüht, in Südkurdistan wirtschaftlich zu investieren. Mit dieser Haltung betrachtet Deutschland auch die andauernden Besatzungsbemühungen der Türkei in Südkurdistan.
Die Regierungen in Teheran, Bagdad und Hewlêr (Erbil) unternehmen nichts gegen die Besatzung Südkurdistans durch die Türkei. Ganz im Gegenteil, sie unterstützen sie sogar. Dementsprechend offensichtlich ist es, dass auch Deutschland nicht gegen diese Besatzung Position beziehen, sondern sie unterstützen wird. Diese deutsche Politik ergibt sich aus den wirtschaftlichen Interessen des Landes in der Region.
Deutschland setzt seit jeher auf die Türkei
Hinzu kommt, dass Deutschland seit jeher dafür ist, der Türkei die Kontrolle über den Mittleren Osten zu geben, also die gesamte Region einer türkischen Hegemonie zu unterwerfen. Historisch betrachtet hat Deutschland seine wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen im Mittleren Osten stets mithilfe der Türkei verfolgt. Dementsprechende Beziehungen unterhielt das Land auch zum Osmanischen Reich. Dabei wurden zwei Ziele verfolgt: Zum einen wollte man mithilfe dieser Beziehungen die riesigen Ressourcen des Mittleren Ostens ausbeuten. Zum anderen verfolgte man als Notwendigkeit des Kampfes gegen England das Ziel, über den Mittleren Osten nach Indien zu gelangen. Die derart beschaffenen Beziehungen zum Osmanischen Reich werden heute auf sehr ähnliche Weise mit dem türkischen Staat fortgesetzt. Deutschland hat die Türkei immer dabei unterstützt, im Mittleren Osten eine expansionistische Politik zu verfolgen und somit ihren Einfluss zu vergrößern. Denn Deutschland setzt darauf, dass es dann einen noch besseren Zugriff auf die Ressourcen der Region erhält und diese noch intensiver ausbeuten kann. Deshalb tut Deutschland nichts dagegen, dass der türkische Staat Rojava, Südkurdistan und noch ganz andere Gebiete im Mittleren Osten besetzt, ja sogar annektiert. Wenn die internationale Gemeinschaft dagegen Position bezieht, erweckt Deutschland vielleicht in der Öffentlichkeit den Eindruck, sich diesem Protest anzuschließen. Doch im Verborgenen unterstützt es die Türkei trotzdem. Das sollte uns allen bewusst sein. Denn hierbei handelt es sich um eine strategische Position des deutschen Staates, die historisch weit zurück reicht. Das Profitsystem des deutschen Kapitals basiert darauf. Aus diesen Gründen sind weder die USA noch Deutschland gegen die Besatzung Rojavas und Südkurdistans durch die Türkei. Ganz im Gegenteil, sie unterstützen sie. Selbst in Situationen, in denen sie das nicht offen tun bzw. nicht tun können, leisten sie definitiv im Geheimen Unterstützung. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Iran- und Südkurdistan-Politik dieser beiden Mächte. Und auch ihre ökonomisch-politischen Beziehungen zur Türkei, ihre strategische Verbundenheit mit dem Land machen solch eine Politik erforderlich. Solange das deutsche Kapital auf diese Art und Weise nach Hegemonie strebt und eine dementsprechende Politik verfolgt, wird es definitiv keinerlei Veränderungen in der aktuellen politischen Haltung Deutschlands geben.
Wie also leistet Deutschland ganz offen Unterstützung für die Türkei? Und auf der Grundlage welcher geheimer Beziehungen, Bündnisse und Organisationen erfolgt die deutsche Unterstützung? Die Beantwortung dieser Fragen erfordert natürlich umfassende Recherchen und Untersuchungen. Diese Fragen machen es notwendig die Tatsachen ans Licht zu bringen. Denn gewisse Dinge werden im Rahmen geheimer Beziehungen und Bündnisse verfolgt. Sie werden nicht öffentlich gemacht und erscheinen nicht in den Medien. Die Öffentlichkeit weiß dementsprechend nichts von ihnen. Es muss insbesondere recherchiert und öffentlich gemacht werden, inwiefern Deutschland mithilfe geheimer Beziehungen und Bündnisse die Besatzungspolitik des türkischen Staates unterstützt. Auch die Unterstützung, die in aller Öffentlichkeit geschieht, muss noch besser angeprangert werden.
Folgendes sollte uns allen bewusst sein: Die Waffen, die der türkische Staat für seine Besatzungsangriffe von Efrîn in Rojava über Avaşîn bis nach Zap und Xakurke in Südkurdistan verwendet, sind NATO-Waffen. Es handelt sich um US-amerikanische und deutsche Waffen. Mithilfe deutscher Panzer werden diese Gebiete besetzt. Durch die Straßen Efrîns fahren heute deutsche Panzer. Mit ihnen wird ein Völkermord an den Kurd:innen verübt. Das geschieht keineswegs verdeckt, sondern ist vollkommen bekannt. Doch in den Medien wird das nicht ausreichend zum Thema gemacht. Es wird nicht ausreichend angesprochen und angeprangert, dass Deutschland diesen Völkermord offen unterstützt. Dabei wäre das absolut notwendig. Vor allem die deutschen Medien und die deutschen Demokrat:innen müssten sich diesem Thema annehmen. Denn diese Situation schadet am allermeisten der Demokratie und Freiheit Deutschlands. Sie stärkt das deutsche Kapital, wodurch wiederum das deutsche Volk geschwächt wird. Die deutschen Arbeiter:innen, die arbeitende Bevölkerung des Landes verlieren gegenüber dem erstarkten deutschen Kapital an Kraft. Deutschland wird so zu einem Land, dass Faschismus, Kolonialismus und Völkermorde unterstützt. Zugleich werden die Demokratie und Freiheit der Deutschen geschwächt. Das ist eine Tatsache.
Deshalb müssen wirklich alle dieser Wahrheit ins Auge schauen. Insbesondere die deutschen Revolutionär:innen und Demokrat:innen müssen diese Politik noch stärker offenlegen und anprangern. Und sie müssen sich selbst in die Lage versetzen, dagegen noch effektiver vorzugehen.