Irakische Truppenabzugsforderung gilt auch der Türkei

Das irakische Parlament hat vor wenigen Tagen beschlossen, alle ausländischen Truppen müssten das Land verlassen. Die Türkei behauptet nun, dies gelte nicht für sie.

Nach der Tötung des Kommandanten der iranischen Revolutionsgardisten Ghassem Soleimani durch die USA trat das irakische Parlament auf Druck der irannahen Schiiten und der Miliz Hashd al-Shaabi sowie des Iran zusammen und beschloss den Abzug jeglicher ausländischen Kräfte aus dem Land. Dieser Beschluss gilt für alle ausländischen Truppen, auch wenn die irannahen Kräfte die Entscheidung so darstellen wollen, als bezöge sie sich alleine auf die USA. Der zurückgetretene, aber kommissarisch immer noch im Amt befindliche Ministerpräsident Adel Abd al-Mahdi verlangte von den USA eine Roadmap für ihren Abzug aus dem Irak. Aufgrund der entstandenen Unsicherheit unterbrachen die USA und die Anti-IS-Koalition im Hinblick auf einen möglichen Angriff des Irans im Irak ihren Kampf gegen den IS. Die USA positionierten sich gegen die irakische Haltung und drohten „schwere Wirtschaftssanktionen“ an.

Die türkische Reaktion auf den Parlamentsbeschluss

Eine der ersten Reaktionen auf die Entscheidung des irakischen Parlaments kam aus der Türkei. Der türkische Außenminister erklärte die Entscheidung betreffe nicht sie, die Türkei wäre in diese Entscheidung nicht eingeschlossen und werde daher auch nicht aus dem Irak abziehen. Zwei Tage später fand ein türkischer Besuch in Bagdad statt. Es wurde nicht erklärt, worum es bei dem Besuch ging, aber es war offensichtlich, dass es hier um die Abzugsentscheidung und die türkischen Basen in Südkurdistan von Başika bis Bradost gehen sollte.

Die aktuelle Lage wirft Fragezeichen auf. Die Liste der Fragen wird angeführt von dem Punkt, warum es sein kann, dass das Parlament des irakischen Staats eine solche Entscheidung fällt und diese dann den Abzug der türkischen Besatzungstruppen nicht betreffen soll. Dies wirft die Frage auf, aufgrund welcher Vereinbarung sich die türkischen Truppen eigentlich im Irak und Südkurdistan befinden. Auf der Grundlage welcher Vereinbarung ermorden diese Besatzungstruppen im Irak und Südkurdistan Zivilist*innen und zerstören zivile Siedlungen? Die türkischen Besatzungstruppen benutzen die Basis in Başika wie einen Stützpunkt für ihre Banden, mit denen sie dann Şengal angreifen und Ezid*innen ermorden. Auf Grundlage welcher Vereinbarung geschieht dies? Und auf der Grundlage welcher Vereinbarung werden Gruppen trainiert und ausgerüstet, mit denen Kerkûk und Mosul an die Türkei gebunden werden sollen?

Abd al-Mahdi und sein Vorgänger Abadi haben dutzende Male betont, dass es keine Vereinbarungen zwischen der irakischen Regierung oder Südkurdistan mit der Türkei über die Präsenz türkischer Truppen gibt. Die Abadi-Regierung war an die Macht gekommen, nachdem Nuri al-Maliki 2014 nach dem IS-Einmarsch und dem versuchten Genozid in der Şengal-Region zum Rücktritt gezwungen war. Eine seiner ersten Handlungen war es, die Türkei zum Rückzug aus Başika aufzufordern. Die Türkei lehnte einen Abzug ab, aber Abadi zeigte sich entschlossen und erklärte, dass notfalls Gewalt für die Durchsetzung des Abzugs der türkischen Truppen angewendet werden müsse. Abadi brachte deutlich zur Sprache, dass sich die türkische Armee illegal als Besatzer im Irak und Südkurdistan befindet. Daraufhin erklärte die türkische Seite, man sei aufgrund einer Vereinbarung mit der südkurdischen Regierung ausschließlich für eine Ausbildungsmission im Land. Abadi und die Zentralregierung hatten klar gemacht, dass ein solches Abkommen keine Gültigkeit besitzen könne. Bei den Gruppen, von denen die türkische Regierung erklärte, sie würde sie „ausbilden“, handelte es sich um die radikalsunnitische Hashd al-Watani-Miliz, die von der Türkei insbesondere als Gegengewicht zu den schiitischen Hashd al-Shaabi aufgebaut wurde. Auch wenn dieses Projekt mit der Zeit eingeschlafen zu sein erscheint, sind diese protürkischen sunnitischen Milizionäre immer noch in der Umgebung von Mosul und Kerkûk aktiv.

Einer der Architekten dieser Gruppen ist niemand anderes als der ehemalige irakische Vizepräsident Tariq al-Hashimi. Er gilt als Finanzier und Mitbegründer des IS. Als im Irak ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde, setzte er sich in die Türkei ab. Der andere wichtige Mitbegründer von Hashd al-Watani ist der ehemalige Gouverneur von Mosul, Atheel Nujaifi, der die Stadt kampflos dem IS überlassen hat und sich ebenfalls in die Türkei absetzte.

Wenn man all das zusammenbringt, müssten folgende Fragen an die Türkei gestellt werden: Worauf stützt sich die Türkei, wenn sie behauptet, dass eine Entscheidung des irakischen Parlaments zum Abzug aller ausländischen Kräfte sie nicht betreffe? Es gibt kein offizielles Abkommen mit der irakischen oder südkurdischen Regierung, das es zulassen würde, dass sich die türkischen Besatzungstruppen in Başika, in Südkurdistan oder in der Bradost-Region aufhalten. Im Gegenteil: 2006 hatte das südkurdische Parlament offiziell entschieden, dass sich die türkische Armee aus Südkurdistan zurückziehen müsse. Die gleiche Entscheidung wurde auch vom irakischen Parlament beschlossen. Wenn also sowohl das zentrale wie auch das regionale Parlament bereits zuvor entschieden haben, dass die Besatzungstruppen abziehen müssen, wie kann es dann sein, dass der aktuelle Parlamentsbeschluss die Türkei nicht bindet?

Das ist natürlich nicht möglich. Es ist angebracht zu sagen, dass der Beschluss insbesondere auf die Türkei zutrifft.

Türkische Massaker Thema im irakischen Parlament

Mit seiner Erklärung, die Entscheidung treffe nicht auf ihn zu, kündigt der türkische Staat an, Besatzungsmacht im Irak zu bleiben. Die Diskussionen darum sind aber noch nicht abgeschlossen. Vor drei Tagen versammelte sich das irakische Parlament, um über die Umsetzung des Abzugs der ausländischen Truppen zu sprechen. Auf der Sitzung fehlten die Vertreter Südkurdistans und verschiedener sunnitischer Gruppen. Diese Gruppen hatten auch bereits gefehlt, als die Entscheidung für den Abzug getroffen wurde. An der Sitzung nahm nur eine kurdische Parlamentarierin teil. Diese Parlamentarierin, Yusra Recep (Tevgera Nifşe Nû), ergriff das Wort, als schiitische Gruppen nach der Abwesenheit der Kurden fragten. Recep erklärte, dass sie seit zwei Jahren im Parlament sitze und auf fast jeder Sitzung versucht habe, die Angriffe der türkischen Invasionstruppen auf Şengal, Bradost, Behdînan, Soran und Südkurdistan im Allgemeinen zur Sprache zu bringen. Sie habe versucht die entstandenen Schäden und die getöteten Menschen aus der Zivilbevölkerung in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, aber es habe bisher nie auch nur die geringste Reaktion gegeben. Sie berichtete, dass alleine in den vergangenen zwei Jahren 135 Zivilist*innen bei Angriffen des türkischen Staates auf Südkurdistan und Şengal getötet wurden, aber rein gar nichts deswegen unternommen wurde, obwohl Südkurdistan Teil des irakischen Föderalstaats ist und das Parlament jeden Angriff auf Şengal oder Südkurdistan als Angriff auf sich selbst sehen müsste.

Recep betonte, vor allem die Türkei müsse aus dem Irak und Südkurdistan verschwinden. Sie richtete sich in ihrer Ansprache auch an die südkurdische Regierung und forderte von ihr, dass sie die Forderungen nach Abzug der türkischen Armee aus Südkurdistan nicht behindern solle und die Abkommen, die sie mit der Türkei angeblich geschlossen hat, offenlegen müsse.

Betrachten wir das alles in einem Kontext, dann wird klar, dass die Türkei im Irak und Südkurdistan die eigentliche mörderische Besatzungsmacht ist. Aber es ist auch bekannt, dass diese Kräfte ohne Zustimmung der USA und der internationalen Koalition diese Regionen nicht besetzen können werden.