„Es geht um vollständige und dauerhafte Aufhebung der Isolation“

Mustafa Karasu vom KCK-Exekutivrat schreibt in der Tageszeitung Özgür Politika über den Widerstand gegen die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan: „Es geht um vollständige und dauerhafte Aufhebung der Isolation.“

Mustafa Karasu, Mitglied des KCK-Exekutivrats, schreibt zum Hungerstreik: „Die Aufhebung der Isolation ist für das kurdische Volk sehr wichtig. Das kurdische Volk und die Widerstandsaktivistinnen und -aktivisten kämpfen nicht um einen Anwalts- oder Familienbesuch. Es geht um die vollständige Aufhebung der Isolation.

Seit Monaten befinden sich Leyla Güven, tausende Gefangene und viele Revolutionärinnen und Revolutionäre in Europa und Kurdistan im unbefristeten Hungerstreik für die Aufhebung der Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan. Ab dem 30. April sind 30 revolutionäre Gefangene ins Todesfasten getreten. Manche von ihnen befanden sich vorher seit über drei, andere seit über zwei Monaten im Hungerstreik. Bei ihrem Hungerstreik über eine Dauer von 15–20 Tagen zu berichten ist nicht richtig. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass beim Todesfasten sehr bald Hungerstreikende fallen. Aber der Widerstand gegen die Isolation ist nicht nur auf die Hungerstreikenden und Todesfastenden beschränkt. Der Kampf der kurdischen Mütter mit den weißen Kopftüchern gegen die Isolation ist von allergrößter Bedeutung. Darüber hinaus haben die demokratischen Kräfte in der Türkei und außerhalb des Landes ihre Haltung zur Isolation deutlich gezeigt. Der Kampf gegen die Isolation hat das Niveau eines legitimen und wirksamen Widerstands erreicht. Die Legitimität und Berechtigung der Aktionen wurde von breiten gesellschaftlichen und politischen Bereichen akzeptiert. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen und Jurist*innen, die verschiedensten politischen Bereiche haben ihre Haltung für die Aufhebung der Isolation deutlich gemacht.

Anwaltstreffen war taktischer Schritt der AKP

Die Aufhebung der Isolation ist für das kurdische Volk sehr wichtig. Es ist nicht bereit, mit der Isolation zu leben. Leyla Güven, der Widerstand in den Gefängnissen und die Mütter drücken dies deutlich aus. Das kurdische Volk und die Widerstandsaktivist*innen kämpfen nicht um einen Anwalts- oder Familienbesuch. Sie leisten Widerstand für die vollständige Aufhebung der Isolation. Der seit Monaten andauernde Widerstand Tausender Menschen trägt diese Bedeutung. Die Kraft des Widerstands in den Gefängnissen und draußen und der demokratischen Kräfte hat dafür gesorgt, dass ein Treffen zwischen Öcalan und seinen Anwälten zustande kam. Aber dieses Treffen bedeutet nicht, dass die Isolation vollständig zerschlagen ist. Im Gegenteil, es handelte sich dabei um einen taktischen Schritt, der unter dem Druck des Widerstands stehenden AKP-MHP-Allianz, um die Legitimitätsgrundlage des Widerstands zu schwächen. Der Vorsitzende Apo hat klar gemacht, dass er, wenn er auf dem Treffen seine Gedanken klar machen kann, daran teilnehmen werde, und so lief es dann auch ab. Die sieben Punkte für die Demokratisierung der Türkei und die Lösung der kurdischen Frage, die der Vorsitzende Apo auf diesem Treffen als Nachricht übergab, sind ein Ausdruck dessen. Warum sonst ist eine solche Nachricht nicht für den Frieden und den Dialog herausgekommen. Die AKP-Regierung stand unter dem hohen Druck des Widerstands und erlaubte dieses Treffen, weil sie davon ausging, dass es auch ihr nützen könnte.

Widerstand hat Justizminister zur Erklärung gezwungen

Ohne Zweifel gibt es Gründe dafür, warum nach acht Jahren wieder ein Anwaltstreffen stattgefunden hat. Aber sie haben es nicht aufgrund einer demokratischen Haltung oder zur Entspannung für eine Lösung der kurdischen Frage getan. Wir müssen nochmals betonen, dass der große Widerstand den Justizminister dazu gezwungen hat zu erklären, die Isolation sei aufgehoben. Es wäre oberflächlich zu behaupten, dass es dabei darum gegangen wäre, Erkem Imamoğlu (dem CHP-Kandidaten für Istanbul) die Stimmen, die er am 31. März gewonnen hatte, wegzunehmen. Es kann darum gegangen sein, die Wut auf die AKP-Regierung zu dämpfen, und vielleicht hofften sie daraus Profit zu ziehen. Aber das war sicher nicht der Hauptgrund, der sie zur Erlaubnis dieses Treffens zwang.

Sie haben ihre Körper nicht zum Sterben niedergelegt, damit nur ein Treffen stattfindet

Die Widerstandsaktivist*innen haben klar gemacht, dass sie wegen eines Treffens die Isolation nicht als aufgehoben ansehen. Der Justizminister sagt, das Verbot sei aufgehoben. Er hat damit zugegeben, dass acht Jahre lang eine Straftat begangen worden ist. Als sie ihre Heldentat verkündet haben, haben sie ihr Verbrechen eingeräumt. Wenn das Verbot wirklich aufgehoben wäre, dann sollte der Justizminister erklären, dass die Anwälte und die Familienangehörigen ohne irgendwelche Hindernisse den kurdischen Vordenker Apo sehen können. Denn heute können sie ein Treffen erlauben und es dann wieder jahrelang verbieten. Das haben die Bevölkerung und auch die Gefangenen gesehen. Vor zweieinhalb Jahren hatte es ebenfalls einen Hungerstreik gegeben, weil die Situation auf Imralı vollkommen unbekannt war. Dann haben sie den Bruder des Vorsitzenden nach Imralı geschickt. Aber in den folgenden zweieinhalb Jahren wurde kein Familienbesuch – und schon gar keinen Anwaltsbesuch – zugelassen. Als Leyla Güven in den unbefristeten Hungerstreik trat und ein großer Widerstand in den Gefängnissen begann, haben sie Mehmet Öcalan wieder nach Imralı geschickt. Man kann aber aus zwei Treffen nicht schließen, dass die Isolation aufgehoben ist. So etwas muss öffentlich garantiert werden. Das muss der Justizminister tun, wenn das Verbot aufgehoben sein sollte. Die Widerstandsaktivist*innen haben ihre Körper nicht zum Sterben niedergelegt, damit nur ein Treffen stattfindet.

Die sieben Paragraphen richten sich gegen AKP-MHP-Regierung

Dass der Vorsitzende Apo sich mit seinen Anwält*innen trifft und sieben Punkte übermittelt, steht in keinerlei Zusammenhang mit den Wahlen am 23. Juni [in Istanbul]. Der Vorsitzende hat deutlich gemacht, was für eine Türkei und was für ein Kurdistan er vorschlägt. Das was er vorgeschlagen hat, entspricht einer vollkommen gegen die Politik und die Praxis der AKP-MHP-Regierung gerichteten Haltung. Diese sieben Paragraphen fordern dazu auf, gegen die AKP-MHP-Regierung Haltung zu beziehen und dafür zu sorgen, dass die faschistische AKP-MHP-Allianz am 23. Juni verliert. Wenn man diese sieben Paragraphen logisch und genau betrachtet, dann ist dies der einzige Schluss, der daraus gezogen werden kann. Ohne den AKP-MHP-Faschismus zurückzudrängen, ohne dafür zu sorgen, dass sie die Wahlen in Istanbul verlieren, kann keine politische Basis für die Umsetzung der sieben Paragraphen geschaffen werden. Das was diesen sieben Punkten entgegensteht, ist die AKP-MHP-Allianz und die von ihr geschaffenen politischen Rahmenbedingungen.

Botschaft dient der Stärkung der demokratischen Kräfte

Der Vorsitzende Apo würde niemals eine Haltung an den Tag legen, die nicht dem Wohl der kurdischen Freiheitsbewegung und der demokratischen Kräfte dient. Denn die kurdische Frage in der Türkei wird nur und ausschließlich durch den Kampf um Demokratie und durch Demokratisierung gelöst. Weder die kurdische Freiheitsbewegung noch der Vordenker Apo können mit irgendetwas, das diesen Kampf um Demokratie schwächt, in Verbindung gebracht werden. Der Vorsitzende hat mit seiner Botschaft die AKP-MHP-Allianz und ihre Politik gegenüber der Bevölkerung der Türkei geschwächt und den demokratischen Kräften Kraft gegeben und ihre Stellung gefestigt.

Das Anwaltstreffen mit den Wahlen in Verbindung zu bringen, ist Narretei

Das Treffen zwischen dem Vorsitzenden und seinen Anwälten in Verbindung mit den Wahlen zu bringen, ist Narretei. Ein Treffen mit den Anwälten oder den Familien ändert die Haltung der HDP oder der Kurd*innen bei den Wahlen nicht. Familien- und Anwaltsbesuch ist sein juristisch verbrieftes Recht. Ein solches verbrieftes Recht kann nicht in den Kontext einer politischen Haltung gestellt werden. So wie der Widerstand gegen die Isolation darauf abzielt den AKP-MHP-Faschismus zurückzudrängen, so tut es auch die politische Haltung bei den Wahlen. Daher ist es nicht möglich, beides gegeneinander zu stellen. Im Gegenteil, das eine stärkt das andere. Die Hauptaufgabe des kurdischen Volks und der demokratischen Kräfte ist es, gegen die AKP-MHP-Regierung mit ihrer faschistischen Repression zu kämpfen. Die AKP-MHP-Allianz bei den Wahlen am 23. Juni scheitern zu lassen, ist ein Teil dieser Aufgabe. Alles andere sind Behauptungen und Spekulationen oder wurde in niederer Absicht fabriziert.

Im Moment ist es nicht nur die Aufgabe des kurdischen Volkes und der HDP, sondern aller demokratischen Kräfte, für die sieben Paragraphen des Vorsitzende einzutreten und für eine Verwirklichung der Ziele dieser Botschaft zu kämpfen. Dies würde zur größten Erfolgsgeschichte der demokratischen Kräfte werden. Dafür kann gesorgt werden, wenn die demokratischen Kräfte nicht nur gegen die von der AKP-MHP angeführte Republikanische Allianz, sondern auch gegen die Politik der AKP-MHP gegen die Kurd*innen und die demokratischen Kräfte zusammen eintreten.

Die Haltung der Kurd*innen bei den Wahlen kann vom Regime nicht geändert werden

Die von der AKP-MHP angeführte Republikanische Allianz gründet auf Kurdenfeindschaft und dem Genozid an den Kurd*innen. Kann die Politik der AKP denn bestehen, wenn die sieben Paragraphen des Vorsitzenden in die Praxis umgesetzt werden? Insbesondere diese sieben Paragraphen können weder von der Republikanischen Allianz, noch von der AKP umgesetzt werden, sondern nur und alleine von den demokratischen Kräften. Daher ist es nicht gerade eine schlaue Entscheidung, absurde Kommentare über diese sieben Paragraphen abzugeben. Die Haltung der Kurd*innen bei der Wahl am 23. Juni ändert sich nicht und wird sich auch in keiner Weise ändern. Es sei denn, die AKP-Regierung macht eine vollkommene Kehrtwende für die Demokratie und geht genau in die entgegengesetzte Richtung, indem sie Haltung gegen Kurdenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit bezieht! Dass dies nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Das wissen die Kurd*innen und die demokratischen Kräfte am besten.“