Im April hat ein französisches Kollektiv namens „Collectif Solidarité Kurdistan.13“ (CSK.13) eine Kampagne für die Entkriminalisierung der PKK gestartet, mit der insbesondere die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste erreicht werden soll. „Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, ihre Verantwortung zu übernehmen: Der Widerstand des kurdischen Volkes geht uns alle an. Wir sind ihm die Legalisierung der PKK schuldig“, heißt es einleitend im Aufruf des Kollektivs.
Der Kölner Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden AZADÎ e.V. hat mit Aktivist:innen des CSK.13 über die Motivation und das Ziel der Kampagne, aber auch darüber, in welcher Form sich die Repression gegen in Frankreich lebende Kurd:innen – im Vergleich zu Deutschland – darstellt, gesprochen. Das Interview ist im aktuellen AZADÎ-Infodienst erschienen.
Was war der Anlass, zum jetzigen Zeitpunkt diese Kampagne zu starten und welche Organisationen waren und sind daran beteiligt? Ist sie begrenzt auf eine bestimmte Region oder frankreichweit?
Das Collectif Solidarité Kurdistan.13 (im Département Bouches-du-Rhône) vereinigt zehn politische und gewerkschaftliche Organisationen und Vereine, die sich aktiv für Menschenrechte einsetzen und seit Jahren Arbeit in die Förderung der kurdischen Sache stecken.
Allerdings wird jeder noch so aufwändig geführte Kampf um eine Lösung der kurdischen Frage an seine Grenzen stoßen, wenn es uns nicht gelingt, diesen schweren Riegel „PKK = Terror“ zu sprengen. Er ist die Hauptursache für die Tragödie, die das kurdische Volk erlebt.
Die Aufführung der PKK auf der EU-Liste der terroristischen Organisationen soll den Zynismus und die Heuchelei der internationalen Gemeinschaft verdecken, die jedoch eine schwere Verantwortung trägt: Das Massaker am kurdischen Volk. Dieser Listeneintrag bedeutet die Genehmigung eines ganzen Arsenals an politischen und juristischen Maßnahmen zur Vernichtung der Opposition und kurdischer Identität. Dem türkischen Staat und seinen Machthaber:innen wird also vollständige Immunität gewährt.
Die Kampagne hat das Ziel, anzuprangern, zu erklären, zu informieren, alle Bereiche der Gesellschaft zu sensibilisieren und darauf aufmerksam zu machen, was die PKK wirklich ist – ein Versuch, die Rollen umzukehren und zu zeigen, wer die wahren Terrorist:innen sind.
Folgende Organisationen aus unserem Département haben den Bündniskonsens des Collectif Solidarité Kurdistan.13 (CSK.13) unterzeichnet: Centre Démocratique Kurde Marseille (CDKM) – Ligue des Droits de l’Homme (LDH) Marseille – Marche Mondiale des Femmes (MMF) 13 Paca – Mouvement contre le racisme et pour l‘amitié entre les peuples (MRAP) 13 – Mouvement de la Paix 13 – Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) 13 – Parti Com-muniste Français (PCF) 13 – Parti de Gauche 13 – Solidarité & Liberté Provence – Union Départementale CGT.¹
Das Kampagnenlogo
In Deutschland sind zur Zeit zehn kurdische Aktivisten wegen Terrorismusvorwurfs in Untersuchungs- oder Strafhaft. Seit die PKK im Jahre 2010 hier als „terroristische“ Vereinigung im Ausland eingestuft worden ist, hat AZADÎ bislang 47 Kurden und Kurdinnen unterstützt. Gibt es auch in Frankreich kurdische politische Gefangene und wenn ja, wie viele? Und werden sie auch bei euch durch verschiedene Gruppen unterstützt?
Aktuell sind neun kurdische Geflüchtete in U-Haft. Diese kann alle sechs Monate verlängert werden. Am 23. März 2021 kam es in Marseille auf Antrag der nationalen Anti-Terror-Staatsanwaltschaft zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen im Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurd:innen in Marseille (CDKM) und auch in privaten Wohnungen von Vereinsvertreter:innen. Von den Festgenommenen sind acht immer noch in Haft.
Auf diese Operation folgte eine Welle der Solidarität mit verschiedenen Demonstrationen in Marseille – initiiert vom CDKM und anderen Organisationen des CSK.13 – und Paris, Lyon, Grenoble und in der Bretagne. Es gab eine Vielzahl von Stellungnahmen sowohl von linken Politiker:innen als auch von linken Gewerkschaften und weiteren Organisationen. Aber die Dauer dieser Aktionen und der Grad der Mobilisierung waren nicht ausreichend, als dass die nationale Presse sie aufgreifen würde. Immer wieder stößt man auf diesen Riegel PKK und den Mangel an Sensibilität und Wissen zum Thema.
Neben der juristischen Verfolgung wurden ungefähr 20 Vertreter:innen kurdischer Vereine die Bankkonten gesperrt. Das CSK.13 und die Coordination Nationale Solidarité Kurdistan (CNSK) haben sich an die französische Regierung gewandt, indem sie das Gespräch mit Départementpräfekten und Vertreter:innen des Innenministeriums gesucht haben. Doch ist das entweder auf Ausweichen oder Verweigerung gestoßen. Die Linie ist eindeutig: bloß nicht der Erdoğan-Regierung auf den Schlips treten.
Im Januar 2020 hat der belgische Kassationshof in einem langjährigen Verfahren ein richtungsweisendes Urteil gefällt und – um es kurz zu formulieren – festgestellt, dass es sich bei der PKK nicht um eine terroristische Organisation handelt, sondern um eine Konfliktpartei in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts. Die deutsche Politik, aber auch die Gerichte in den „Terrorismus“-Verfahren, weigern sich, mit dieser wichtigen Entscheidung zu befassen. Gibt es hierzu in Frankreich auch Erfahrungen, und welche?
Leider hat die belgische Gerichtsentscheidung in Frankreich keinen Widerhall gefunden. Der französische Staat vermeidet sorgfältig, in eine Situation zu geraten, in der er durch ein Gerichtsurteil wie dem belgischen dazu genötigt wäre, eine Rechtsprechung zu Gunsten der PKK und ihrer Aktivist:innen umzusetzen. Das würde für die französische Regierung eine sehr peinliche Situation der Türkei gegenüber bedeuten.
In Deutschland finden regelmäßig Razzien in Privatwohnungen von Kurd:innen und in kurdischen Kultur- und Gesellschaftszentren statt. Wie ist das in Frankreich?
Jede diplomatische Annäherung zwischen Frankreich und der Türkei findet auf dem Rücken der Kurd:innen als Verhandlungsmasse statt – abhängig von den jeweiligen politischen und ökonomischen Interessen. Wir sehen, dass die sich wiederholenden juristischen Maßnahmen der französischen Regierung kurdische Vereine und Aktivist:innen als gefährliche Kriminelle stigmatisieren. Dabei sind ihre Aktivitäten legal und friedlich nach den französischen Gesetzen. Der Eintrag der PKK in der Terrorliste ermöglicht es, die Politik der Kriminalisierung und Repression auch hier, auf französischem Territorium und in Europa gegen kurdische Geflüchtete fortzusetzen.
Die nun 28-jährige Kriminalisierungspolitik hat das Urteil vieler Menschen über die kurdische Bewegung negativ beeinflusst. Das gilt auch für einen Teil der Medien, deren Berichterstattung häufig sehr einseitig und auch diskriminierend ist. Zwar hat sich durch die Revolution von Rojava und den erfolgreichen Kampf der kurdischen Verteidigungskräfte gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ kurzfristig sowohl in der Politik als auch in den Medien etwas gebessert, aber eben nicht wesentlich. Allerdings gibt es seitdem auch eine sehr erfreuliche Zunahme der Solidarität von den unterschiedlichsten Gruppen und Organisationen. Was könnt ihr hierzu für Frankreich feststellen?
Eindeutig hat der Kampf um Kobanê der Welt gezeigt, dass das kurdische Volk für Frieden und Freiheit kämpft und humanistische Werte vertritt, die auch die unseren sind. Leider hat das mediale Interesse schnell wieder abgenommen, auch wenn es sich oberflächlich verbessert hat. Es stimmt zwar, dass die Solidarität und die Unterstützung für das kurdische Volk sich infolge eines wachsenden Bewusstseins verstärkt haben, aber die Bezeichnung der PKK als „terroristisch” wird fortwährend als Bremse wirken, wenn es uns nicht gelingt diese zu lösen. Sie wirkt sich auf eine Ausweitung des Zusammenschlusses von Organisationen aus, die solidarisch mit den Kurd:innen sind, so dass sogar progressive und demokratische Organisationen aufgrund des Terrorismusvorwurfs sehr zurückhaltend sind – ohne unbedingt zu versuchen, die Hintergründe zu verstehen oder sich die Realität in der Türkei und in Kurdistan genauer anzusehen.
Seit 2014 läuft vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg das Klageverfahren der PKK gegen deren Indizierung auf der EU-Terrorliste. Erst am 22. April fand die Revisionsverhandlung statt mit dem Ergebnis, dass das Verfahren an den Gerichtshof zurückverwiesen wurde, weil das Urteil in Teilen unzureichend begründet worden sei. Das Verfahren betrifft die Zeit der Listung von 2014 bis 2017. Es sind aber schon weitere Klagen für die nachfolgende Zeit auf den Weg gebracht worden. Gibt es hierzu in der französischen Öffentlichkeit eine Diskussion, befasst sich die offizielle Politik mit der Thematik oder interessiert das nur „Randgruppen“?
Der Eintrag der PKK auf der Liste der terroristischen Organisationen bleibt ein komplexes und sensibles Thema, das mehr Interesse von Politik, Medien und Zivilgesellschaft verdienen würde. Zahlreiche linke Kollektive und Persönlichkeiten, die dem kurdischen Befreiungskampf verbunden sind, arbeiten daran, aber in Anbetracht des Umfangs dieser Aufgabe reicht es bei weitem noch nicht.
Soll eure Kampagne zeitlich begrenzt sein und welche Aktionen plant ihr?
Angesichts der kolossalen Arbeit hat sich das CSK.13 bisher kein zeitliches Limit gesetzt. Wir bereiten für die Zeit von September bis Ende des Jahres verschiedene Projekte zur Unterstützung von politischen Gefangenen in der Türkei vor, die angeblich „Mitglieder einer terroristischen Vereinigung, der PKK,“ sein sollen. Jede Initiative wird speziell ausgerichtet sein: z.B. auf Künstler:innen, Journalist:innen oder die HDP. Diese Aktionen sollen verschiedene Formate haben wie thematische Kinoabende, eine Theateraufführung mit einem kurdischen Schauspieler oder auch Anfragen für Treffen mit Senator:innen, Parlamentsabgeordneten und anderen gewählten Vertreter:innen. Wir hoffen außerdem, bekannte Persönlichkeiten für die Unterstützung unserer Kampagne zu gewinnen.
Außerhalb Frankreichs haben wir Kontakt aufgenommen mit einer amerikanischen feministischen Organisation, die sich dafür eingesetzt hat, die Huthis im Jemen von der Liste terroristischer Organisationen zu streichen. Wir wollen zum einen die Gelegenheit nutzen, auch neue internationale Kontakte zu knüpfen und hoffen, dass diese dann dazu beitragen, dass unser Anliegen wiederum an andere weitergetragen wird. Zum anderen nehmen wir diesen neuen Kontakt als Anlass, Anfragen an bestimmte Politiker:innen der von Präsident Biden geführten US-Regierung zu stellen.
Wir haben auch Buttons gemacht (auf Französisch und Kurdisch), deren Logo bei jeder Aktion unserer Kampagne wiederverwendet wird und so einen Wiedererkennungseffekt hat.
Wir danken euch für das Gespräch.
¹Kurdisches Demokratisches Zentrum Marseille (CDKM) – Liga für Menschenrechte (LDH) Marseille – Weltfrauenmarsch 13 Paca – Bewegung gegen Rassismus und für Völkerverständigung (MRAP) 13 – Friedensbewegung 13 – Neue Antikapitalistische Partei (NPA) 13 – Kommunistische Partei Frank-reich (PCF) 13 – Linkspartei 13 – Solidarität & Freiheit Provence – Departementverband CGT [CGT – größter französischer Gewerkschaftsbund