ENKS, Roj-Peschmerga und Efrîn

Der Kurdische Nationalrat ENKS hat maßgeblich dazu beigetragen, die Besatzung von Efrîn zu legitimieren. Inzwischen begehrt selbst die eigene Anhängerschaft in Efrîn dagegen auf.

Vor einem Jahr wurde der „Afrin-Rat“ in Dîlok (Antep) gegründet. Fuat Aliko, ein führendes Mitglied des sogenannten Kurdischen Nationalrats (ENKS), erklärte am 29. März 2018 vor der Presse, mit der Türkei habe es eine Einigung darüber gegeben, dass die Bevölkerung von Efrîn sich selbst regieren soll. „Damit die Bevölkerung zurückkehren kann, müssen die Türen geöffnet werden. Zweifellos hat die Freie Syrische Armee (FSA) die Türen geöffnet, aber die YPG und das Regime lassen es nicht zu“, sagte Aliko. In seiner damaligen Erklärung teilte er mit, dass es in Efrîn keine demografische Veränderung geben dürfe.

Ein Jahr nach Alikos Erklärung ist Efrîn zum Zentrum von Raub, Diebstahl und Folter geworden, alles Kurdische ist ausgelöscht. Der ENKS fordert jetzt ein Ende der Rechtsverletzungen in Efrîn und setzt gleichzeitig seine Beziehungen zum türkischen Staat weiter fort. Die ENKS-Mitglieder, die in Efrîn geblieben sind, und der „Zivilrat Afrin“ – eine Koproduktion von ENKS und MIT – arbeiten weiter daran, für den türkischen Staat Informationen zu sammeln und Agenten zu gewinnen.

Bei jeder Gelegenheit erklärt der ENKS, dass Nord- und Ostsyrien von der PYD und den YPG unterdrückt werden und die Roj-Peschmerga dort stationiert werden sollten. Obwohl er gezwungenermaßen zugegeben hat, dass die Dschihadistengruppen in Efrîn Unterdrückung betreiben, ist es bisher nie zu der Forderung gekommen, dass die Roj-Peschmerga nach Efrîn kommen sollen.

Die Besatzung legitimieren

Als der türkische Staat mit Dutzenden Flugzeugen, Hunderten Panzern und Raketen, Zehntausenden Soldaten und Dschihadisten die Invasion auf Efrîn gestartet hat, hat die Bevölkerung 58 Tage Widerstand geleistet, es gab Hunderte Gefallene. Der ENKS nahm an der Invasion teil, wobei er die Verbindung geheim hielt.

Der Demokratische Autonomierat Efrîn traf am 16. März 2018 die Entscheidung, den Widerstand in Şehba fortzusetzen, um die Bevölkerung vor einem Massaker zu bewahren. Auf diesen Beschluss hin verließen etwa 65 Prozent der Bevölkerung zwischen dem 16. und 18. März 2018 die Stadt. An dem Tag, an dem der türkische Staat und seine Milizen ins Stadtzentrum eindrangen und die Statur des Schmied Kawa als kurdisches Symbol niederrissen, wurde in Dîlok auf einer Versammlung, die vom MIT und ENKS unter dem Namen „Afrin-Befreiungskongress“ durchgeführt wurde, als Konterorganisationsform der „Regionalrat Afrin“ ins Leben gerufen. Zum Sprecher dieses Rates wurde Hasan Şindi ernannt, der 2013 in Verbindung mit dem ENKS, dem MIT und Dschihadistengruppen den Befehl zu zwei Bombenanschlägen in Efrîn gegeben hat.

Während Şindi erklärte, dass Efrîn von den Menschen aus Efrîn regiert werden solle, wurden weltweit in den Medien die Plünderungen der protürkischen Dschihadisten in Efrîn gezeigt.

Erklärung auf Wunsch des MIT

Bis zur tatsächlichen Besatzung und der Gründung des Konterrates war der ENKS darauf bedacht, seine Unterstützung und Beteiligung an der Besatzung geheim zu halten. Erst nach der Gründung des sogenannten Rates wurde damit begonnen, sich öffentlich zu erklären.

So äußerte Fuat Aliko als ENKS-Führungsmitglied am 29. März gegenüber Rudaw: „Es ist eine Einigung erzielt worden, dass die Bevölkerung von Efrîn sich selbst regieren wird.“ Die FSA habe die Türen für eine Rückkehr der Bevölkerung geöffnet, die YPG hinderten die Menschen jedoch daran, behauptete Aliko.

Ein Informant, der anonym bleiben möchte, erklärte uns gegenüber, dass diese Verlautbarung Elikos auf Wunsch des MIT zur Legitimierung der Besatzung von Efrîn erfolgt ist. Weiter sagte unsere Quelle:

„Am 23. März 2018 fand in Ankara ein Gespräch zwischen einer aus Kamuran Haco, Ibrahim Büro und Hawas Agit bestehenden Abordnung und Mitarbeitern des türkischen Außenministeriums statt. Wie die anderen Gespräche auch erfolgte dieses Treffen im Wissen von Mesut Barzani. Die kurdische Delegation brachte auf dieser Versammlung zur Sprache, dass die von der FSA begangenen Rechtsverletzungen den ENKS und die türkische Armee in eine schwierige Lage brächten. In Efrîn sollten nur die Polizei und der Regionalrat das Sagen haben. Die Türken sagten jedoch nichts dazu, dass diese Forderung erfüllt werden soll. Das einzige, was sie sagten, war, dass sie und der ENKS beim Thema Efrîn Partner seien. Aliko wollte mit seiner Erklärung ausschließlich den türkischen Staat zufriedenstellen und den wachsenden Unmut unter den eigenen Anhängern besänftigen.“

Vor der Besatzung gab es eine demokratische Leitung

Mit seiner Erklärung, dass Efrîn künftig von den Menschen aus Efrîn regiert werden soll, hat Fuat Aliko gezeigt, wie respektlos er ist. Denn bevor Efrîn besetzt wurde, gab es einen Rat, der aus Menschen aus Efrîn bestand. Es gab eine demokratische Leitung. Aliko sprach jedoch von den PYD-feindlichen ENKS-Kurden, von solchen, die im Syrien-Krieg in die Türkei geflohen sind und einigen Angehörigen von Dschihadistengruppen.

Dass der türkische Staat, der die Menschen aus Efrîn getötet und vertrieben hat, selbst den kurdischen Kollaborateuren des ENKS nicht erlauben würde, Efrîn zu regieren, ging jedoch gleich zu Beginn aus einer Erklärung des Konterratssprechers Hasan Şindi hervor. Einerseits tat er so, als ob der gegründete Konterrat nach Efrîn gehen und an der dortigen Regierung teilhaben würde, andererseits sagte er, dass Efrîn an Antakya angebunden werden soll, und gab damit zu, wer Efrîn wirklich regieren wird.

Şindi: Arabisch muss Unterrichtssprache werden

Aus einer Stellungnahme von Hasan Şindi vom 1. April 2018 in der türkischen Tageszeitung Yeni Şafak ging hervor, welche Rolle und Funktion dieser Rat und die kurdischen ENKS-Mitglieder in Efrîn haben sollen: „Die Samen der Aufwiegelung, die die PKK in der Region gesät hat, lassen sich nicht innerhalb von zwei Monaten vollständig beseitigen. Um hier eine kontinuierliche Kampfmethode zu entwickeln und diese Gefahr komplett zu bannen, müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten.“

Laut den Informationen, die uns über den ENKS in Efrîn vorliegen, ist die Rolle der in Efrîn verbliebenen ENKS-Mitglieder darauf beschränkt, Informationen über patriotische Kurden an den türkischen Staat weiterzugeben und außerdem Informationen zu sammeln, um Aktionen der YPG/YPJ zu verhindern.

In derselben Erklärung hat Şindi sich dafür ausgesprochen, dass statt Kurdisch wieder Arabisch als Unterrichtssprache verwendet werden soll, Kurdisch dürfe nur als Wahlfach im Lehrplan bestehen. Der türkische Staat hat Şindi in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. Heute ist kurdischsprachiger Unterricht in Efrîn verboten, Kurdisch zu sprechen ist verboten. Unterrichtssprache, Straßennamen und Schilder sind Türkisch und Arabisch.

Veränderte Demografie

In seiner Erklärung vom 29. März 2018 hatte Fuat Aliko gesagt, dass die Demografie von Efrîn nicht verändert werden darf. Seit dem 18. März 2018 sind jedoch mindestens 70.000 Flüchtlinge aus Ghouta, der Türkei und Idlib nach Efrîn transferiert worden.

Im Moment geht es den Kurden, die noch in Efrîn leben, sehr schlecht. Sie werden ständig aus ihren Häusern vertrieben, an ihrer Stelle werden aus verschiedenen Regionen herbeigebrachte Araber und Turkmenen angesiedelt. Diese Praxis findet vor allem in Bilbilê, Raco und Mabeta statt.

Der türkische Staat hat die Räte, die vor der Besatzung von der Bevölkerung gegründet wurden, mit diesen Flüchtlingen gefüllt. In der Stadt Efrîn, den Stadtteilen, Kreisstädten und Dörfern sind Ortsvorsteher ernannt worden. Für die aus Ghouta und anderen Gegenden importierten Araber ist ein „Rat der Weißbärtigen“ gegründet worden. In einem Gebiet zwischen Bilbilê und dem Dorf Hemamê im Kreis Cindirês sind Turkmenen angesiedelt worden, auch für sie ist ein eigener Rat gegründet worden. Alle diese Räte unterstehen wie der am 18. März gegründete „Zivilrat Afrin“ dem Gouverneur von Hatay. Sie verfügen über keinerlei Eigeninitiative und setzen lediglich die Anordnungen des Gouverneurs um.

Nach den uns vorliegenden Informationen hält sich weder Hasan Şindi noch sonst ein führendes Mitglied des Konterrats in Efrîn auf. Auch ein großer Teil der Anhängerschaft des ENKS hat Efrîn aufgrund des Vorgehens der protürkischen Dschihadisten verlassen. Der türkische Staat hat sie über seine Milizen eingeschüchtert und passiv gemacht. Obwohl es sich um Kollaborateure handelt, ist in Efrîn nicht zugelassen worden, dass etwas Kurdisches mit Außenwirkung Bestand hat. Das zeigt auch die Tatsache, dass Hasan Şindi, der sich in den ersten zwei Monaten nach der Besatzung von Efrîn ständig im Namen des „Regionalrats Afrin“ gegenüber der Presse äußerte, jetzt seit Monaten schweigt.