Kommentar: Protürkische Milizionäre zu Besuch bei Barzanî

Direkt nach seinem Besuch in Jordanien traf sich der kurdische Ex-Präsident Mesûd Barzanî (PDK) mit einer Delegation der „Istanbuler Opposition“ von ETILAF. Hinter diesen Treffen stehen politische und militärische Pläne.

Vor zwei Tagen besuchte der Vorsitzende der von den Muslimbrüdern dominierten syrischen „Nationalen Koalition“ ETILAF, Naser al-Hariri, Mesûd Barzanî in Hewlêr (Erbil). Danach traf sich die Delegation mit der PDK-Fraktion im südkurdischen Parlament. Die Erklärungen nach den Treffen lassen einen Blick auf einen Teil des Inhalts dieser Zusammenkünfte zu. Der Besuch des Vorsitzenden des Verhandlungskomitees von ETILAF, Naser al-Hariri, und der ihn begleitenden Delegation, kommt direkt nach dem Staatsbesuch Barzanîs in Jordanien. Diese Einladung fällt in eine Phase, in der sich die Länder der Arabischen Liga unter der Führung von Saudi-Arabien, Ägypten, Marokko, Tunesien, Jordanien und Libyen sich zu reorganisieren beginnen. Saudi-Arabien, aber auch Ägypten, Marokko und Libyen, fühlen sich insbesondere in der letzten Zeit durch Erdoğans Politik gegenüber den arabischen Staaten gestört.

Die Türkei unterstützt die Muslimbruderschaft intensiv und versucht auch ihren Einfluss in Libyen auszudehnen. So wurde ein Schiff aus der Türkei voller Waffen für Milizen in Libyen aufgebracht. Auch Marokko hatte offen gewarnt, die Türkei solle sich aus der Innenpolitik des Landes heraushalten. Die Massaker des AKP-Regimes in Syrien, ihre offene Unterstützung für dschihadistische Milizen, den IS und al-Nusra eingeschlossen, und die Zusammenarbeit mit der Dschihadistengruppe Ahrar al-Sham sind bekannt. Die Einladung des ehemaligen kurdischen Präsidenten Mesûd Barzanî, der über keinerlei öffentliches Amt oder Funktion verfügt, nach Jordanien gibt in diesem Zusammenhang zu denken. So begann nach einem Treffen in der jordanischen Hauptstadt Amman im Jahr 2014 die Offensive des sogenannten Islamischen Staat im Irak und in Syrien. Daher ist man neugierig, welche Abkommen dieses Mal in Jordanien getroffen worden sind. Es heißt, die Haltung Jordaniens sei eine andere als 2014 gewesen. Jordanien soll stattdessen Barzanî eine Nachricht der Staaten, die über Erdoğans Politik gegenüber den arabischen Staaten verärgert sind, übermittelt haben. Vertrauenswürdige Quellen erklären, Barzanî sei gewarnt worden, dass man die Türkei aus Syrien herauswerfen werde und sich die PDK in einer solchen Situation nicht an ihre Seite stellen solle. Wie sich der Erdoğan-Alliierte Barzanî letzten Endes verhalten wird, ist noch unklar. Das bleibt ihm und seiner Partei PDK überlassen und wird sich in den nächsten Tagen klären.

Immer das gleiche Ritual …

Direkt nach dem Besuch Barzanîs in Jordanien traf er mit der ETILAF-Delegation zusammen, die sich danach auch mit der PDK-Fraktion im südkurdischen Parlament zusammen setzte. Diese Delegation hatte keinerlei offiziellen Charakter. Aber die PDK-Fraktion und Mesûd Barzanî empfingen sie hochoffiziell und sandten damit eine Botschaft aus. Die Delegation der türkeitreuen Opposition wurde höchstwahrscheinlich von Erdoğan geschickt und bestand aus einer illustren Zusammenstellung von Vertretern verschiedener dschihadistischer und protürkischer Milizen. Ihnen wird so von der PDK ein offizieller Charakter verliehen. Dieser Besuch ist Ausdruck und Ritual der seit acht Jahren andauernden strategischen Komplizenschaft zwischen PDK und AKP in der Syrienpolitik.

Das Ritual ist folgendes, die Vorsitzenden von ETILAF, der syrischen Nationalkoalition, werden in Istanbul gewählt und fahren dann zum Antrittsbesuch zu Mesûd Barzanî. Wenn wir die ersten Vorsitzenden der Nationalkoalition, Burhan Ghalioun und Abdulbasit Seyda, betrachten, dann können wir dies deutlich beobachten. Jeder der gewählten Vorsitzenden besuchte Hewlêr. Danach wurden neue Pläne gegen Nordsyrien und Rojava umgesetzt. Nach dem Besuch von Abdulbasit Seyda wurde im Oktober 2012 Qestel Cindo in Efrîn angegriffen. Danach kam der Angriff auf Serêkaniyê. Der Nachfolger von Abdulbasit Seyda, Ahmed Muaz el-Hatip, war nicht lange im Amt. Denn entgegen der Politik von Erdoğan und AKP versuchte er, die Probleme in Syrien mit Hilfe der inneren Dynamiken Syriens zu lösen. Außerdem wollte er sich auch mit der Selbstverwaltung von Rojava in Hewlêr treffen. Die Selbstverwaltung von Rojava lud Hatip nach Qamişlo ein. Hatip nahm die Einladung positiv auf, wurde aber dann binnen einer Woche des Amts enthoben. Aber auch Hatip besuchte als Vorsitzender der Nationalen Koalition zuerst Hewlêr und Mesûd Barzanî.

Nach Hatip kam dann Ahmed el-Cerba ins Amt des Vorsitzenden. Auch er besuchte direkt nach seiner Wahl Hewlêr und Mesûd Barzanî. Er erklärte, die Beziehungen mit Barzanî seien strategischer Natur. Nach Cerba kam der Kader der Muslimbruderschaft aus Damaskus – aber mit türkischer Staatsbürgerschaft – Khaled Khoja an die Spitze von ETILAF. Dann folgte Enes al-Ebda. Und auch diese beiden folgten so wie ihre Nachfolger dem beschriebenen Ritual. Das deutet auf eine kontinuierliche Koordination zwischen Barzanî und Erdoğan im Bezug auf ihr Vorgehen gegen Nordsyrien und Rojava hin.

Erst Besuch, dann Angriff

Denn nach solchen Besuchen kam es immer wieder zu Angriffen auf Nord- und Ostsyrien und Rojava. Dass dieser Besuch nun in einer Zeit stattfindet, in der der türkische Regimechef selbst die Gebiete östlich des Euphrat bedroht, und ein solcher Angriff vorbereitet wird, deutet darauf hin, dass er von Barzanî und dem mit ihm verbundenen ENKS erwartet, eine entsprechende Haltung an der Seite der Türkei einzunehmen. Bleibt noch, dass ganz offen erklärt wird, dass Ibrahim Biro, Fuat Aliko und Abdulhakim Bashar und sein Team an den Angriffsplänen teilnehmen. Die Angriffe und Massaker in Efrîn sind ein entsprechendes Beispiel dafür.

Nach diesem Besuch ist ein Angriff auf Nord- und Ostsyrien sowie auf Rojava zu erwarten. Aber dieses Mal ist es möglich, dass es sich nicht um einen militärischen Angriff handelt. Natürlich ist klar, dass auch zu jeder Zeit mit einem militärischen Angriff zu rechnen ist. Dieses Mal kann es aber sein, dass man auf Initiative des Nachfolgers des Syrien-Sonderkoordinators Da Mistura eine Lösung auf einer internationalen Plattform wie in Genf suchen wird. Die Personen, die von Barzanî auf diesen Plattformen abhängig zu sein scheinen, arbeiten auch mit dem MIT zusammen und man erwartet die Bestätigung, mit ihnen gemeinsam vorzugehen. Diese Personen stellen auch die Verbindung zu den Dschihadisten dar.

Die Bedeutung der Treffen für die PDK

Für den Empfang dieser Delegation gibt es auch von Seiten Mesûd Barzanîs etliche Gründe. Dass die Delegation von Erdoğan selbst geschickt wurde, hat eine Bedeutung für die Beziehung zwischen den Barzanîs und dem türkischen Regimechef. Aber auch die in der Türkei und in Südkurdistan vom MIT ausgebildete Roj-Peschmerga-Miliz soll bei einem Angriff der Türkei eine Rolle übernehmen. Darauf oder dass es bezüglich der Pufferzone Gespräche mit den USA gegeben hat, deuten die Äußerungen des ETILAF-Vorsitzenden Naser al-Hariri hin. Er sagte nach dem Treffen über die sog. Roj-Peschmerga: „Sie sollten nach Rojava zurückkehren und an der Grenze Posten beziehen, um die Sicherheitsbedenken der Türkei zu zerstreuen.“

Der Delegation klebt Blut an den Händen

Es ist auch interessant die Personen, die an der Delegation teilnahmen, zu betrachten. Naser al-Hariri ist für seine Nähe zu dschihadistischen Gruppen bekannt. Er hat etliche Erklärungen veröffentlicht, in denen er IS und al-Nusra verteidigt.

Ein anderer Teilnehmer der Delegation ist Abdul Jabbar al-Oqaidi. Er war 2013 Kommandant von Liwa el-Tawhid für Aleppo. Bei Liwa al-Tawhid handelte es sich damals um die Gruppe mit den engsten Verbindungen zur Türkei. Sie war in Marea, einem der wichtigsten Zentren der Muslimbrüder, in der Umgebung von Aleppo gegründet worden. Unter der Verantwortung a-Oqaidis trafen sich 60 FSA-Kommandanten auf einem vom MIT organisierten Treffen in Dîlok (Antep). Auf dem Treffen forderte der Muslimbruder nach der Vertreibung eines Großteils von al-Nusra, ISIS und FSA aus Serêkaniyê 2013: „Ich habe Liwa al-Tawhid benachrichtigt. So viel militärisches Material wir auch haben, sie sollen alles nehmen. Jedes Mal, wenn wir uns mit der PKK ins Vernehmen setzen, fallen sie uns in den Rücken ... Von nun an werden wir kein Mitleid mehr haben. Es wird keine Gnade geben. Wenn es im Bereich unserer Möglichkeiten liegt, werden wir sie an den Wurzeln austrocknen.“

Die Nachrichtenagentur ANHA berichtet sogar von Äußerungen, dass nun die Zeit gekommen sei, die Kurd*innen aus den kurdischen Gebieten Syriens zu vertreiben und sie zu vernichten. Diese Nachricht wurde von einer Videobotschaft eines anderen Mitglieds des Militärrats der FSA, Abdulcabbar El-Ikeli, untermauert, welcher der kurdischen Bevölkerung mit Vernichtung droht. Diese Worte wurden nach den Erklärungen im Juli in den Orten Till Aran und Till Hasil in die Tat umgesetzt, wo Dutzende vielleicht sogar mehrere Hundert Kurd*innen massakriert worden sind. Ein Überlebender berichtete damals über das Massaker: „Nun zogen al-Nusra und FSA weiter in den Nachbarort Til Hasil und verkündeten dort über die Moscheelautsprecher, dass kurdische Frauen, kurdische Häuser und kurdischer Besitz ‚halal‘ seien. Daraufhin haben sie Til Hasil und Til Haran umstellt. Niemand konnte den Ort verlassen. Sie haben Frauen entführt, gefoltert und vergewaltigt. Sie haben geplündert, sogar die Kinder getötet. Sie haben nicht einmal gefragt ob man Apoist wäre, es hat gereicht, Kurde zu sein.“ An al-Oqaidis Händen klebt Blut kurdischer Zivilist*innen. Er kooperierte mit al-Nusra. Es waren daran auch Milizen, die dem kurdischen Nationalrat ENKS nahestehen, beteiligt. Barzanî sieht folglich das Massaker von Abdul Jabbar al-Oqaidi in Till Haran und Til Hasil nicht als Massaker. Er hat dies offen erklärt. Und al-Oqaidi ist einer der Favoriten Erdoğans unter den Milizkommandanten.

Wenn man all dies zusammenbringt, dann wird klar, dass der Besuch der ETILAF-Delegation bei Barzani Teil eines politischen und militärischen Plans zwischen Hewlêr und Ankara ist. Es geht darum, die Revolution zu vernichten und diese Pläne bis zum Ende zu verfolgen.