Das Massaker von Cizîr ist nicht vorbei

Bei den Ausgangssperren in der nordkurdischen Stadt Cizîr im Jahr 2015 und 2016 sind mindestens 288 Personen gestorben. Die Leichen von 14 Personen sind noch immer verschwunden.

Die Wunde, welche die Zerstörung großer Teile von Cizîr (türk. Cizre) in Nordkurdistan gerissen hat, blutet auch nach fünf Jahren weiter. Mindestens 288 Personen sind während der 79-tägigen Ausgangssperre vom 14. Dezember 2015 bis zum 2. März 2016 gestorben. Viele wurden direkt von Sicherheitskräften getötet, andere starben, weil sie aufgrund der Ausgangssperren nicht ins Krankenhaus gebracht werden konnten. Elf Siedlungen und die von 131.000 Menschen bewohnte Stadt waren abgeriegelt und die Strom-, Internet- und Telefonverbindungen gekappt worden. Lehrkräfte und Beamte waren vor Beginn der Ausgangssperre in den unbefristeten Urlaub geschickt worden. Auf den Erhöhungen in der Stadt wurden Panzer und Haubitzen aufgestellt, von denen aus die Stadtviertel Cûdî, Nûr, Sûr und Yafes beschossen wurden.

Die Bewohner*innen der Stadt durften nicht einmal mehr ihren Tagesbedarf decken. Menschen, die einfach nur Wasser holen gingen, wurden von Scharfschützen des Regimes ins Visier genommen und erschossen. Bis zum 20. Tag des Verbots befanden sich etwa 120.000 Menschen in der Stadt. In den folgenden Tagen wurden die Einwohner*innen mit Gewalt aus den Häusern getrieben und die Häuser wurden zum Schlachtfeld des Militärs.

Die Todeskeller von Cizîr

Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen sind in den „Todeskellern von Cizîr“ mindestens 177 Personen bei lebendigem Leib von Sicherheitskräften verbrannt oder erschossen worden. Insgesamt starben mindestens 288 Menschen. Während in einigen Kellern die darin schutzsuchenden Personen verbrannt wurden, als das Militär Benzin in die mit Menschen gefüllten Keller leitete, erstürmten türkische Truppen andere Keller und erschossen die Anwesenden, bevor sie sie verbrannten. Die Leichen von 14 in den Todeskellern von Cizîr getöteten Menschen sind bis heute verschwunden. Bei den Verschwundenen handelt es sich um Feride Yıldız, Mardin Çelebi, Hacer Aslan, Osman Gökhan, Hüseyin Derviş, Servet Aslan, Idris Susin, Ali Aslan, Cemal Pürlek, Emrah Aşkan, Osman Esmeray, Mustafa Keçanlu, Emrah Aşkın und Sakine Durmiş. Sieben von ihnen sollen auf anonymen Friedhöfen in anderen Städten beigesetzt worden sein.

110.000 Menschen vertrieben

Die schwerste Zerstörung wurde in den Stadtvierteln Cûdî, Yafes, Sûr und Nûr angerichtet. 80 Prozent der genannten Viertel wurden dem Erdboden gleich gemacht. 500 Gebäude wurden vollständig zerstört und 2.000 Häuser wurden schwer beschädigt. Nach 20 Tagen wurden 110.000 Menschen mit Gewalt aus der Stadt vertrieben. Daraufhin wurde die Zerstörung ausgeweitet, 500 weitere Häuser wurden von der staatlichen Baubehörde TOKI abgerissen. Die verwinkelten Altbauten wurden vernichtet und es wurden 6.500 Wohnungen in militärisch kontrollierten Plattenbauten errichtet.

Ermittlungen in 121 Todesfällen werden verschleppt

Obwohl bereits fünf Jahre vergangen sind, gibt es keine Fortschritte in den Ermittlungen zu den Todesumständen von 121 Personen. 83 der Verfahren wurde eingestellt. Von diesen 83 wurde in 51 Fällen ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beantragt. Weitere vier Verfahren wurden eingefroren und bei 34 Verfahren auf „Nichtzuständigkeit“ entschieden.