Nach der Ankündigung des türkischen Innenministers Süleyman Soylu, deutsche Urlauber*innen bei der Einreise in die Türkei festzunehmen, die sich an türkeikritischen Demonstrationen in Deutschland beteiligen, ist die Aufregung in der Politik und den Medien groß.
Dabei verhält sich die deutsche Bundesregierung im Umgang mit kurdischen Demonstrationen und Veranstaltungen im Prinzip nicht anders. Der türkische Innenminister richtete seine Drohung an potentielle Urlauber*innen, die sich an Kundgebungen von „Terrororganisationen“ in Deutschland beteiligen. Damit liegt er auf der Linie des Bundesinnenministeriums. Auch Deutschland betrachtet jede Demonstration, aber auch kulturelle Veranstaltung mit Bezug auf Kurdistan, pauschal als von der PKK gesteuert. Entsprechend hagelt es von Auflagen, Verboten und Einschüchterungsversuchen, die es Kurd*innen und mit ihnen solidarischen Menschen fast unmöglich machen, von ihrem Demonstrationsrecht und dem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen. Zensiert werden in zunehmendem Maße Transparente, Bilder, Kleidungsstücke, Fahnen, Lautsprechermusik, Parolen und politische Forderungen. Polizei, Verfassungsschutzämter und ihre Spitzel registrieren akribisch, wer sich an solchen legalen Aktionen beteiligt. Teilnehmer*innen ohne deutschen Pass kann das schnell zum Verhängnis werden, indem ihnen Einbürgerungen verweigert werden oder ihr Aufenthaltsstaus widerrufen wird. Dies scheint die Öffentlichkeit als normal zu finden. Zum Skandal wird das ganze erst jetzt, wenn der türkische Geheimdienst das gleiche Spiel betreibt.
Erst vor kurzem wurden der Mezopotamien Verlag und die MIR Multimedia GmbH, beide vertreiben Bücher und Musik-CDs in kurdischer Sprache oder mit Bezug zu Kurdistan, vom Bundesinnenminister als Teilorganisationen der PKK verboten. Es ist wenig glaubwürdig, dies zu ignorieren, sich aber über mangelnde Presse- und Kulturfreiheit in der Türkei zu entrüsten.
Auch außenpolitisch gibt es Übereinstimmung. Seit Wochen droht der türkische Präsident Erdoğan damit, völkerrechtlich in Nordsyrien einzumarschieren, um die Region von den „Terroristen“ der YPG zu säubern. Auch hier kann sich die Türkei sicher sein, dass die Bundesregierung ihre Einschätzung in der Bewertung der YPG teilt. Seit März 2017 sind die Symbole der YPG und anderer kurdischer Organisationen de facto auch in Deutschland verboten. Es hagelt Ermittlungs- und Strafverfahren, wenn diese Symbole auf der Straße oder in sozialen Netzwerken Verwendung finden.
Das zentrale kurdische Frühjahrsfest Newroz sollte im letzten Jahr in Hannover ganz untersagt werden. Die Verbotsbegründung lässt sich mit den oben zitierten Worten des türkischen Innenministeriums zusammenfassen: „Kundgebung von Terrororganisationen“. Das diesjährige Fest findet am 23. März in Frankfurt statt. Auch hier ist davon auszugehen, dass die verantwortlichen Behörden alles unternehmen werden, um einen ungestörten Ablauf zu verhindern. Wer im Zusammenhang mit der Unterdrückung von Kurdinnen und Meinungsfreiheit über Erdoğan redet, darf über Merkel und Seehofer nicht schweigen.