Nach der Durchsuchung der Räumlichkeiten des Mezopotamien-Verlags und der Musikfirma MIR Multimedia am 12. Februar 2019 in Neuss verkündete das Bundesinnenministerium, dass beide Einrichtungen verboten worden sind. Bei der Razzia, an der Polizeieinheiten aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen beteiligt waren, wurde sämtliches Inventar beschlagnahmt.
Nach Angaben von Ali Kaya als Direktor von MIR Multimedia und Mezopotamien-Verlag geht es um eine Größenordnung von 10.000 Büchern in kurdischer, türkischer, deutscher, arabischer und persischer Sprache. Außerdem wurden sämtliche Computer und drei Fahrzeuge beschlagnahmt. Bei MIR Multimedia nahm die Polizei alle Musikinstrumente, CDs, Aufnahmegeräte und sogar traditionelle Kleidungsstücke mit. Bereits bei der ersten Durchsuchung am 8. März 2018 waren ganze Lastwagen voller Bücher und Musikalben sowie das Musikarchiv abtransportiert worden.
Fehlende Akteneinsicht
Eine der Rechtsanwälte, die den Verlag und die Musikproduktionsfirma juristisch vertreten, ist Berthold Fresenius. Gegenüber der Tageszeitung Yeni Özgür Politika wies er darauf hin, dass es bisher keine Akteneinsicht gegeben hat: „Die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat datiert vom 1. Februar 2019. Exekutiert wurde diese am 12. Februar 2019. Gegen diese Verfügung werden die Verlage den Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht bestreiten. Direkt erging gegenüber dem Innenministerium Antrag auf Akteneinsicht, dieser wurde bis heute noch nicht umgesetzt. Die Verfügung verweist auf 60 als Beweis titulierte Anlagen, diese waren der Verfügung nicht beigelegt und sind uns auch bis heute nicht bekannt. Damit liegt uns bis heute ein wesentlicher Teil der Verbotsverfügung nicht vor, sodass auch ein Eingehen auf einzelne Punkte der Verfügung noch nicht erfolgen kann.“
„Schlicht erschreckend“
„Mit der Verfügung wurden beide Verlage aufgelöst, das heißt, alle Bücher, CD’s und auch die gesamte Büroeinrichtung wurden beschlagnahmt. Zu erinnern ist, dass bereits im März 2018 eine Durchsuchung der Verlage erfolgt ist, wobei auch damals alle Bücher und Musikträger sichergestellt wurden. Das Verbot eines Verlages ist grundsätzlich ein gravierender Eingriff in die Meinungs-und Publikationsfreiheit. Das Verbot eines Verlages und die Beschlagnahme von Büchern auch von Yaşar Kemal, Orhan Pamuk und Aslı Erdoğan können schlicht nur erschrecken“, so der Rechtsanwalt.
Defizitärer Verein finanziert die PKK?
Hinsichtlich der Verfügung stellt Fresenius bereits jetzt aufgrund der dort enthaltenen Ausführungen fest, dass die Argumentation des Innenministeriums in der Sache widersprüchlich ist: „Das Innenministerium begründete das Verbot gegenüber den Medien damit, dass die Verlage ‚mit ihrem wirtschaftlichen Ertrag die Aktionsmöglichkeiten der Terrororganisation in Deutschland und Europa nachhaltig gestärkt‘ hätten. In der Verbotsverfügung ist jedoch davon die Rede, dass die Verlage defizitär gearbeitet hätten und zur Aufrechterhaltung Gelder von der PKK erhalten hätten – also genau das Gegenteil der zuvor dargestellten Argumentation.“
Kriminalisierung kurdischer Kultur zur Terrorabwehr
Die Bewertung eines Buchverlages mit breitem Angebot und eines vorwiegend kurdischen Musikvertriebes als ‚Teilorganisation der PKK‘ bewertet der Rechtsanwalt „erkennbar einen Angriff auf die Meinungs- und Kunstfreiheit“. Unter dem Vorwand einer sogenannten Terrorbekämpfung werde ein Teil der kurdischen Kultur kriminalisiert. „Es ist die Übernahme der repressiven Politik des Erdoğan-Regimes gegen oppositionelle, gegen die kurdische Kultur nach demselben Muster. Jede nicht staatlich genehme Kultur wird als Terror oder Terrorunterstützung verfolgt und verboten. Die wiederholten Aufforderungen des türkischen Regimes an die Bundesregierung, oppositionelle kurdische Kräfte in Deutschland zu verfolgen, sind bekannt und berüchtigt. Faktisch werden das Innenministerium und die sogenannten Sicherheitsbehörden in Deutschland hier als verlängerter Arm Erdoğans tätig. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Bundesregierung sich als Verbündete des Erdoğan-Regimes sieht und auch eigene Interessen in der Bekämpfung fortschrittlicher Bewegungen und Ideen verfolgt.“
Seit langer Zeit praktizierte deutsch-türkische Zusammenarbeit
Zu der Frage, ob es sich bei dem Verlagsverbot um ein Geschenk an die Gäste aus der Türkei bei der Münchner Sicherheitskonferenz gehandelt habe, erklärte Rechtsanwalt Fresenius:
„Es handelt sich hier um eine seit sehr langer Zeit praktizierte Zusammenarbeit des türkischen Regimes und der deutschen Regierung. Es bedarf von daher keiner konkreten – aktuellen – Aufforderung des türkischen Regimes oder eines anstehenden Zusammentreffens der Repräsentanten beider Regierungen, um ein Vorgehen der deutschen Regierung zu erklären. Die Sicherheitskonferenz in München mag einen Faktor für die zeitliche Umsetzung der Verfügung dargestellt haben, eine Begründung des Verbots ist aber daraus nicht herzuleiten.“