Wiener Festwochen: Workshop zur Frauenrevolution in Rojava

Bei den Wiener Festwochen gab es einen Workshop zum Thema Frauenrevolution in Rojava. Da den ursprünglich vorgesehenen Referentinnen die Einreise nach Österreich verweigert wurde, übernahm Sarah Marcha vom Jineolojî-Zentrum das Format.

Was hat Jineolojî mit Revolution zu tun?

Im Rahmen der Wiener Festwochen hat am Sonntagabend ein Workshop mit dem Titel „Revolution der Frauen in Rojava – Konföderales Frauensystem in Nord- und Ostsyrien“ stattgefunden. Da den ursprünglich vorgesehenen Referentinnen Rehan Temo und Remziye Mihemed die Einreise nach Österreich verweigert wurde, erklärte sich Sarah Marcha vom Jineolojî-Zentrum in Brüssel kurzfristig bereit, nach Wien zu reisen und das Format im Volkskundemuseum zu übernehmen.

Die restlos ausgebuchte Veranstaltung begann mit einem kurzen Umriss, den Marcha für die gut dreißig Teilnehmenden über die kulturellen und sozialen Wurzeln kurdischer Frauen in Mesopotamien und ihre Rolle in den Widerständen gegen Besatzung und Genozid im letzten Jahrhundert zeichnete, insbesondere in Rojava. Vor zwölf Jahren begann dort eine Frauenrevolution, in der Frauen nicht nur an allen Fronten vertreten, sondern die treibende Kraft der Revolution sind. Vom System der Ko-Vorsitzenden, der Geschlechterquote und der gesetzlich verankerten Frauenrechte bis hin zur Einrichtung autonomer multiethnischer Frauenstrukturen, -organisationen und -institutionen, die Vorreiterrolle der Frauen ist fest im Gesellschaftsmodell verankert.

Sarah Marcha ist seit 2017 Mitglied des Jineolojî-Zentrums in Brüssel. Geboren 1988 in Nordfrankreich, absolvierte sie fünf Jahre eine Ausbildung in bildender Kunst und entwickelte ihre künstlerische und recherchebasierte Arbeit rund um soziale Fragen. Zwischen 2018 und 2021 nahm sie an verschiedenen Projekten des Andrea-Wolf-Instituts in der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) teil.


Anschließend ging Marcha auf die Grundlagen des Frauensystems in Nord- und Ostsyrien und die Bedeutung der Jineolojî in diesem Zusammenhang ein. Um die Errungenschaften zu gewährleisten, sei auch eine mentale Revolution erforderlich, die mit Jineolojî entwickelt werde. Der Ursprung des Wortes Jineolojî kommt von den Wörtern Jin/Jîn (Frau/Leben im Kurdischen) und Logos im Griechischen (lojî im Kurdischen) für Wissenschaft. Es ist die Wissenschaft der Frauen, die zu einem zentralen Bestandteil der Revolution von Rojava geworden ist. Die Jineolojî betrachtet die individuelle Freiheit der Frau als unabdingbare Voraussetzung für die Freiheit der gesamten Gesellschaft und stellt die Untersuchung von Gesellschaft, Geschichte, Religion, Epistemologie und vielen anderen Bereichen aus Frauenperspektive in den Mittelpunkt. Sie kritisiert das elitäre, patriarchale, positivistische Verständnis von Wissenschaft und bemüht sich darum, einen alternativen ganzheitlichen Ansatz zu entwickeln.

Das 2017 in Brüssel gegründete Jineolojî-Center ist ein Zentrum für human- und sozialwissenschaftliche Forschung, das kollektiv auf der Basis des Wissens und der Erfahrungen von Frauen aus Kurdistan und der ganzen Welt entwickelt wurde. Die Projekte des Jineolojî-Centers zielen darauf ab, die Grundlagen dieser neuen Wissenschaft zu fördern und sie durch die Arbeit seiner Mitglieder in ganz Europa zu bereichern, in Verbindung mit einem breiten Netzwerk lokaler Initiativen und Kollektive, die für die Rechte und die Befreiung der Frauen kämpfen. Anstatt das Leben und die Kultur von Frauen aus der Perspektive eines:r „Außenstehenden“ zu studieren, lädt Jineolojî Frauen aus verschiedenen Communities ein, ihre Geschichte zu erforschen und (neu) zu schreiben und ihre Anliegen und Interessen zu definieren, damit sie gemeinsam handeln können. Die Mitglieder des Jineolojî-Centers organisieren und beteiligen sich an Ausstellungen, Seminaren, Fortbildungskursen und Workshops und schreiben und veröffentlichen Artikel und Bücher, die auf dem Austausch von Wissen, Begegnungen und Debatten basieren. Die Forschungs-, Analyse- und Aufklärungsarbeit des Zentrums zielt darauf ab, Frauen und die Gesellschaft zu informieren, damit sie gegen Gewalt und das patriarchale System vorgehen und gleichzeitig einen Kampf für den gesellschaftlichen Wandel führen können.


Marcha zeigte den Teilnehmenden ein Video über die Kongra Star. Das ist der Dachverband der seit 2005 in Nordostsyrien existierenden Frauenbewegung, die die Gesellschaft verändert hat. Sie folgt der Maxime, dass keine Frau ohne Organisierung zurückgelassen werden soll. In dem Kurzfilm wurden einige der Heldinnen der Frauenrevolution von Rojava und die verschiedenen Strukturen der Kongra Star vorgestellt, durch die Bedürfnisse der Frauen und der Gesellschaft in Bereichen wie Bildung, Ökonomie und Gerechtigkeit gedeckt werden. Es folgte eine Diskussion mit den Teilnehmenden, die erfahren wollten, wie Frauen in Nord- und Ostsyrien dafür gesorgt haben, dass ihre Autonomie von der gesamten Gesellschaft akzeptiert wird, und wie es ihnen gelungen ist, einen Mentalitätswandel gegenüber hegemonialen staatlichen Kräften und dem Patriarchat zu bewirken.

Ein besonderer Schwerpunkt des Interesses lag auf ökologischen und gesundheitlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Syrien-Krieg, dem Embargo gegen die Autonomieverwaltung und den jüngsten Angriffen der türkischen Armee. Die Frage der Unterstützung von Frauen- und Gemeinschaftseinrichtungen und -projekten sowie der Wunsch, wirtschaftliche, soziale und politische Verbindungen zu anderen Ländern und Organisationen herzustellen, standen im Mittelpunkt der gemeinsamen Überlegungen. Der Workshop endete mit einem Geist der Solidarität und des Interesses an der Revolution der Frauen.