Versuchter Feminizid in Alfeld

Im niedersächsischen Alfeld hat ein Mann versucht, seine schlafende Frau zu erstechen. In Hildesheim haben Aktivist:innen mit einer öffentlichen Kundgebung auf die alltägliche Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht.

Kundgebung in Hildesheim

Letzten Mittwoch, am 17. Juli, hat ein Mann in Alfeld (Leine) versucht, seine schlafende Frau mit einem Messer zu ermorden. Nachdem sie in das Nachbarhaus flüchten konnte, beging der Täter Selbstmord. Anlässlich dieses Feminizid-Versuchs hatte die Gruppe „Zora“ in Hildesheim zu einer Kundgebung aufgerufen.

Die lokalen Medien berichten über diesen versuchten Feminizid bisher eintönig als „Familientragödie“. Diese Art der Berichterstattung ist leider nach wie vor weit verbreitet und verschleiert die systematische Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Um die strukturellen Ursachen dieses Problems sichtbar zu machen, hat die Feministin Diana E.H. Russel den Begriff Femizid eingeführt, der die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts beschreibt. In den 1990ern wurde der Begriff von der mexikanischen Anthropologin Marcela Lagarde durch den Begriff „Feminizid“ ersetzt. Im Kontext der in Mexiko verbreiteten Straflosigkeit schließt dieser Begriff die Rolle des Staates mit ein.

Auch in Deutschland trägt der Staat Verantwortung bei der Prävention von Feminiziden und bei der Rechtsprechung. Dabei sind die Zahlen aus Deutschland erschreckend: jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin zu ermorden, und jeden zweiten bis dritten Tag kommt es zu einem Feminizid. Besonders seit dem Lockdown während der Corona-Pandemie kam es zu einer starken Zunahme sogenannter häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder. Auch vier Jahre nach der Pandemie ist die Tendenz nach wie vor steigend: Innerhalb der letzten fünf Jahre gab es eine Zunahme von fast 20 Prozent. Die Zeit des Lockdowns hat deutlich gezeigt, dass das eigene Zuhause für viele Frauen und Kinder kein sicherer Ort ist.

An der Kundgebung in der Innenstadt Hildesheims beteiligten sich etwa 20 Personen. Der Ort der Veranstaltung war dabei bewusst gewählt: genau hier kam es ein Jahr zuvor auf offener Straße zu einer Vergewaltigung. Seitdem finden an diesem Ort immer wieder Protestaktionen nach patriarchaler Gewalt statt. „Als Frauen spüren wir die Gewalt tagtäglich. Sie ist immer präsent. Und es zeigt sich immer wieder: weder die Polizei noch der Staat bieten uns Schutz. Es ist das kapitalistische, patriarchale System, welches Männer schon früh dazu sozialisiert, Macht auszuüben“, benannte eine Rednerin das Problem patriarchaler Gewalt.

Während der Kundgebung kam es immer wieder zu Pöbeleien durch vorwiegend junge Männer. Wenige Passant:innen blieben an diesem Nachmittag stehen, das Thema scheint wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Umso wichtiger erscheint es, das Schweigen zu brechen und den Widerspruch in die Öffentlichkeit zu tragen. Erst vor zwei Jahren kam es in Einbeck, einer Kleinstadt unweit von Alfeld, zu einem Feminizid. Der Täter wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt, jedoch entschied das Gericht, die Tötung nicht als geschlechtsspezifische Gewalt einzuordnen. „In der Begründung des Urteils war immer wieder die Rede von der zerrütteten Ehe und dass beide Eheleute eine tiefe gegenseitige Abneigung gehegt hätten. Diese Darstellung verschleiert, dass Besma A. von ihrem Ehemann geschlagen, getreten, bedroht und gedemütigt wurde. Nichts dergleichen fand umgekehrt statt. Von einer vermeintlichen ,Beidseitigkeit kann keine Rede sein“, so Jana Faber von der AG Prozessbegleitung.

Nur durch einen Offenen Brief verschiedener Fraueninitiativen 2020, die enge Begleitung der AG Prozessbegleitung und den Mut von Angehörigen wurde die Dimension der Gewalt und das Leid von Besma A. sichtbar gemacht und nach außen getragen. Viele Juristinnen, so zum Beispiel der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb), fordern aufgrund dieser Sachlage verpflichtende Fortbildungen für Richter:innen zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt.